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Interview

Marcel Tanner im Interview: Maskenpflicht dürfte noch länger bleiben

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«Wer vorher schon skeptisch war, wird sich jetzt noch weniger an Massnahmen halten»

Der Basler Epidemiologe Marcel Tanner spricht im Interview über die Lockerungen der Corona-Massnahmen. Für ihn ist klar: Schrittweise ist besser als schlagweise.
02.02.2022, 12:08
Bruno Knellwolf / ch media
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marcel tanner
Der Basler Epidemiologe und ehemaliger Direktor des Tropen- und Public-Health-Instituts Marcel Tanner.Bild: Juri Junkov / bz Zeitung für die Region

Der Bundesrat will heute die Corona-Massnahmen lockern. Ist das aus epidemiologischer Sicht richtig?
Marcel Tanner: Die Variante Omikron ist zwar sehr infektiös, wirkt sich aber nicht so krankmachend aus wie alle Vorgängerinnen. Durch Omikron werden wir in die endemische Phase getragen. Trotzdem wäre es epidemiologisch wichtig, nicht auf einen Schlag das ganze Gesundheitssystem zu strapazieren. Die Öffnung müsste genauso schrittweise erfolgen, wie die Einführung der Massnahmen. Allerdings gibt es wie immer in der Pandemie nicht nur die epidemiologische Sicht, sondern auch die sozial-politische.

Und was bedeutet das? Die Sorglosigkeit in der Bevölkerung wächst mit der Ankündigung des Endes der Massnahmen.
Das ist ein Problem. Aber diese Sorglosigkeit hat sich schon länger eingeschlichen. Das ist das Gegenargument zur schrittweisen Lockerung. Wenn man heute sagt, jetzt fallen die Massnahmen weg, wird sich vor allem der Teil, der schon jetzt eher skeptisch war, noch weniger daran halten. Fährt man also epidemiologisch korrekt schrittweise zurück, sich aber nur die Hälfte daran hält, ist die Wirksamkeit der Massnahmen sehr stark reduziert. Deshalb kann man sich gar überlegen, rasch aufzuhören. Ein langsames, schrittweises Aufhören ist womöglich nur noch kontraproduktiv. Aber es fallen sowieso nicht alle Massnahmen weg, wie fälschlicherweise behauptet wird.

«Ein langsames, schrittweises Aufhören ist womöglich nur noch kontraproduktiv.»

Sondern?
Die Maskenpflicht an bestimmten Orten wie zum Beispiel im öffentlichen Verkehr könnte noch länger bestehen bleiben. Auch wenn man die einschränkendsten Massnahmen aufhebt, bleibt der Bund in der Pflicht, das Pandemiegeschehen weiterhin zu überwachen. Auch wenn wir in eine Endemie übergegangen sind. Dazu gehören das Bereitstellen von Impfungen und Boostern, wie auch die kontinuierliche Überwachung des Infektionsgeschehens und die Information der Bevölkerung. Auch das sind Corona-Massnahmen und diese müssen noch bestehen bleiben.

Die Massnahmen wurden eingeführt, um die Omikronwelle zu glätten. Ist das nicht mehr nötig?
Die Massnahmen hat man vor Weihnachten in Kenntnis von Omikron getroffen. Damit nicht alle positiven Fälle zum selben Zeitpunkt anfallen, sondern so wie jetzt mit täglich zwischen 30'000 bis 40'000 Fällen. Diese gelungene Glättung der Welle ist auch ein Argument dafür, die Massnahmen schrittweise abzubauen. Vor allem dort, wo viele Ansteckungen stattfinden. Das wäre das vorsichtigere, aber epidemiologisch gerechtfertigte Vorgehen. Aber dem steht die vorhin genannte sozial-politische Situation entgegen, die der Bundesrat abwägen wird.

Die Zahl der Spitaleintritte ist zwar stabil, aber jeden Tag landen weiterhin Covid-Patienten im Spital.
Deshalb heisst zurück zur neuen Normalität nicht, dass wir jetzt gleich gar nichts mehr machen. Aber der Bund gibt mit dem Wegfall der Massnahmen die Verantwortung zurück an den Einzelnen. Auch ein Veranstalter kann sein Konzert noch sicherer machen, wenn er weiterhin auf die Maskenpflicht setzt. Nicht aus Angst, sondern als Beitrag zur rascheren Beendigung der Pandemie und des Sicherns der endemischen Lage. Auch ein Wirt sollte sich überlegen, das Restaurant nicht gleich wieder zu überfüllen, um später nicht wieder unter einer schlechteren Situation zu leiden.

Könnte sich die Omikron-Welle wieder erhöhen?
Zu einer Welle wird es dank des Immunisierungsgrad wohl nicht mehr kommen. Aber in einer endemischen Situation werden wir weiterhin Ausbrüche sehen. Schon jetzt verbreitet sich das Virus unterschiedlich in der Population. Ungeimpfte werden anders erfasst als Immunisierte.

«Aus epidemiologischer Sicht würde ich nicht gleich sofort aufhören, sondern noch einen Monat warten.»

Wann könnte man mit der Zertifikatspflicht aufhören?
Das ist ein Teil des schrittweisen Stopps der Massnahmen. Aus epidemiologischer Sicht würde ich nicht gleich sofort aufhören, sondern noch einen Monat warten. Dann kann abschätzen, wie sich die zuvor gestoppten Massnahmen auswirken.

Im Moment läuft alles auf eine Durchseuchung heraus.
Ja, das ist so. Der Begriff Durchseuchung ist allerdings in diesem Zusammenhang falsch. Davon spricht man, wenn sich ein Virus in einer nicht immunisierten Bevölkerung stark verbreitet. Jetzt aber haben wir einen hohen Immunstatus mit Impfung, Auffrischimpfung und den Geheilten. Dabei wirkt der Impfschutz gut gegen eine Omikron-Erkrankung. Über die Durchseuchung hat man anfangs der Pandemie diskutiert, als noch kein Impfstoff und kaum Genesene da waren. Wenn man dann eine Durchseuchung zulässt, beachtet man die Risikogruppen nicht und nimmt die Toten in Kauf. Das ist jetzt trotz der starken Übertragung des Virus nicht der Fall dank der Immunisierung. Eine Infektion wirkt jetzt im immunisierten Grossteil der Bevölkerung sogar wie ein Booster. (aargauerzeitung.ch)

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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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AltaLumina
02.02.2022 12:27registriert Mai 2015
Wenn der Bundesrat keine Massnahmen verlangt, wird der Wirt um die Ecke sicher nicht eine Maskenpflicht und das Zertifkat sehen wollen...
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jon_caduff
02.02.2022 12:24registriert Dezember 2020
Der Wirt oder der Veranstalter, der seine Kapazität nicht ausnutzt, obwohl das Gesetz die volle Nutzung zulässt, läuft Gefahr, dass er in eine Situation läuft, wo die weniger verantwortungsbewussten Konkurrenz ihre Dienstleistung günstiger anbieten kann. Das Szenario des verantwortungsbewussten Veranstalters ist aus meiner Sicht nur realistisch unter der Voraussetzung, dass Subventionen für Verantwortungsbewusste bereit gestellt werden.
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Salvatore_M
02.02.2022 12:24registriert Januar 2022
Die schweizerische Corona-Krise war durch schlagartige Maßnahmen (z.B. die Schulschliessungen im März 2020) wie auch durch schrittweises Vorgehen geprägt. Jetzt auf einen Schlag alles wieder zu öffnen, scheint mir zu voreilig. Öffnen ist gut und richtig, jedoch erscheint mir ein schrittweises Öffnen als der vernünftigere Weg.
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