In der Schweiz fühlten sie sich sicher. Hier lebten sie, hier kauften sie Häuser, Luxusautos. Und von hier aus betrogen sie mutmasslich andere Menschen zusammengerechnet um über 220 Millionen Dollar: Roger Knox und John Willis*, zwei Briten.
Heute warten Sie beide mit einer elektronischen Fussfessel um den Knöchel in den USA auf ihren Prozess. Knox hat sich schuldig bekannt. Im Rahmen eines Deals wird er zu 12 bis 15 Jahren Haft verurteilt werden. Willis bestreitet alle Vorwürfe. Über ihm hängt wie ein Damoklesschwert die maximal mögliche Strafe von 145 Jahren Haft.
Gemäss US-Staatsanwälten hatten sie beide das gleiche Geschäftsmodell. Sie hätten für reiche Auftraggeber im Geheimen riesige Mengen an Aktien von kleinen Firmen aufgekauft, die Kurse manipuliert und dann alle Aktien aufs Mal auf den Markt geworfen, womit die Ramschpapiere sofort wertlos wurden.
Ihre Auftraggeber sassen meist in den USA, die manipulierten Firmen wurden an US-Börsen gehandelt und auch die Opfer sind Amerikaner. Doch die mutmasslichen Betrüger: Sie waren in der Schweiz. Knox hatte ein Büro in einem Walliser 400-Seelen Dorf, Willis Firma war in einem Hangar für Privatjets am Genfer Flughafen angemeldet.
Es waren nicht nur Briefkastenfirmen. Das Geschäft lief ohne Zweifel von hier aus. Knox haben Nachbarn täglich in seinem Büro gesehen, Willis war britisch-schweizerischer Doppelbürger und hat hier gelebt. Es handelt sich um internationale Betrugsfälle von riesigem Ausmass, verübt in der Schweiz. Und doch ist die Antwort der Bundesanwaltschaft zu den Betrugsfällen kurz und knapp: «Die Bundesanwaltschaft führt zurzeit kein Strafverfahren in diesem Zusammenhang.»
Tatsache ist: Die Amerikaner brachten Willis und Knox ohne Unterstützung der Schweizer Behörden zur Strecke. Es gab aus den USA bis zur Verhaftung keine Rechtshilfeersuchen.
«Es ist peinlich, wenn die Schweiz in solchen Fällen aussen vor gelassen wird», sagt Lucius Richard Blattner. Der Rechtsanwalt vertrat 150 Geschädigte des Jahrhundertbetrügers Dieter Behring, war Staatsanwalt in Zürich, und führt seit zwanzig Jahren eine auf Wirtschaftstrafrecht spezialisierte Kanzlei mit vielen internationalen Fällen. «Bei grenzüberschreitender Kriminalität ist Kooperation zwischen Staaten das A und O. Es ist wirklich bedenklich, wenn das einfach an den Schweizer Behörden vorbeiläuft», sagt Blattner.
Die Schweiz überliess die Strafverfolgung den Amerikanern. Und die US-Börsenaufsicht führte die Schweiz in einer Medienmitteilung regelrecht vor. Sie dankt darin 19 ausländischen Behörden für ihre Hilfe in der Untersuchung gegen Knox. Keine einzige Schweizer Behörde findet sich auf der Liste. Nicht die Bundesanwaltschaft, nicht die Aufsichtsbehörde Finma. Dafür die «Mauritius Financial Services Commission», die «Malta Financial Services Authority», oder die «Panamanian Superintendencia del Mercado de Valores». Genau dasselbe passierte bei der Anklage gegen Willis.
Die Bundesanwaltschaft sagt auf Anfrage, sie sei nicht zuständig. Börsendelikte in Zusammenhang mit Aktien, die in der Schweiz nicht gehandelt werden, würden nicht unter die Zuständigkeit der Bundes-Strafverfolger fallen. Eine Erklärung, die Anwalt Blattner nicht gelten lässt: «Es kommt darauf an, von wo aus die strafbaren Handlungen begangen wurden. Wenn sie von der Schweiz aus tätig und mehrere Kantone involviert waren, gäbe es sehr wohl einen Anknüpfungspunkt für Strafverfolgung durch die Bundesanwaltschaft.» Er sieht einen anderen Grund für die Untätigkeit der Bundes-Strafverfolger:
Die Schweizer Behörden wussten seit 2015 über die krummen Geschäfte von Knox Bescheid. Damals schickte die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Rechtshilfeersuchen nach Bern. Das Gesuch wurde aber erst zwei Jahre später vollzogen. Laut US-Fallakten führte Knox fast alle seiner über hundert Betrügereien nach 2015 durch. Offenbar ungestört.
Auch bei der Verhaftung der Betrüger blieb die Schweiz aussen vor. Die US-Behörden sammelten im Hintergrund Beweise und formulierten eine schlagende geheime Anklage. Eine typische Vorgehensweise. Der Staatsanwalt sitzt dann in seinem Büro und wartet wie die Katze vor dem Mausloch.
Sobald die Zielperson sich in die Einflusssphäre der USA begibt, schlagen die Behörden zu. Die Anklage wird entsiegelt, die Handschellen klicken, die Designer-Klamotten werden gegen einen orangen Overall ausgetauscht. Der Staatsanwalt kippt dem Beschuldigten bald darauf einen Berg an Beweisen über den Kopf. Meistens gehen die Betrüger schnell einen Deal ein.
Knox wurde im Oktober 2018 am Flughafen von Boston verhaftet. Willis im Januar 2020 in Grossbritannien. Vor wenigen Wochen wurde er an die USA ausgeliefert. Beide Briten führten ein wahrlich globales Geschäft. Um Willis’ Firma spannt sich gemäss Daten aus den Panamapapers ein Netzwerk aus 14 Briefkastenfirmen auf der Mini-Karibikinsel Britisch-Anguilla und dem Pazifikstaat Samoa. Knox hatte nicht nur Konten bei der St. Galler Kantonalbank, sondern auch in Dubai und Mauritius. Er kaufte ein Luxusapartment im französischen Chamonix am Fusse des Montblanc. Sein Geschäft gründete er aber ennet der Grenze in Finhaut VS.
Sie hätten sich also überall niederlassen können – und doch wählten sie für ihre Geschäfte die Schweiz. Warum? «Die Schweiz hat für Betrüger als Standort diverse Vorteile», sagt Anwalt Blattner. «Zum Beispiel haben wir den Ruf, ein gut organisierter Rechtsstaat zu sein.» Knox und Willis mussten Compliance-Abteilungen von internationalen Aktienbrokern überzeugen, dass ihre höchst verdächtigen Millionen-Deals legitim sind. Blattner sagt:
In der Schweiz sind neue Firmen ausserdem schnell gegründet. Innert Tagen, nicht Wochen, wie im Ausland. Blattner: «In Tiefsteuer-Kantonen wie Zug gibt es zudem so viele Briefkastenfirmen, dass eine mehr oder weniger nicht auffällt.» Weiter habe die Schweiz viele Landbanken, die bei grossen Beträgen nicht so genau hinschauen würden wie ihre grösseren Konkurrenten, sagt Blattner.
Blattner hat eine Idee, wie die Schweiz für Betrüger unattraktiver werden könnte. «Nützlich wäre, wenn jede im Finanzbereich tätige Firma online den Namen und die Adressen der tatsächlich handelnden Personen publizieren müsste. Da würden sich auch die Schweizer Treuhänder zweimal überlegen, ob sie wirklich als Strohmänner für dubiose Leute fungieren wollen, könnten sie doch schneller kontaktiert und belangt werden.»
Knox und Willis suchten die Schweiz als sicheren Hafen auf. Dennoch begaben sie sich in die gefährlichen amerikanischen und britischen Gewässer. Das wurde Ihnen zum Verhängnis. Blattner kennt die Psyche von Betrügern gut und sagt:
Oft ist das Ganze banal: «Sie wollen mit einer Escortdame ans Pferderennen, nach New York. Der Betrug macht ja keinen Spass, wenn man das Geld nicht ausgibt.»
Wegen des in US-Gefängnissen grassierenden Coronavirus warten die beiden in Hausarrest auf ihre Prozesse. Das Gericht setzte für Willis eine Million Dollar als Kaution fest. Er zahlte stilgemäss: Mit Bürgschaften auf Schweizer Häusern und fünf Diamantringen im Wert von 129000 Dollar.