Bis gestern Abend gab es zwei offizielle Kandidaten für die Nachfolge von SVP-Präsident Albert Rösti: Die Nationalräte Andreas Glarner (58, AG) und Alfred Heer (59, ZH). Doch den tonangebenden Kräften in der Partei waren die beiden offensichtlich nicht genehm: Über Wochen kursierten immer wieder neue Namen von potenziellen Anwärtern, mit welchen die Findungskommission Gespräche führte. Einer nach dem anderen fiel aus dem Rennen. Kein Interesse, keine Zeit, falscher Zeitpunkt, so die Begründungen.
Am Donnerstagabend zauberte die Findungskommission dann mit Marco Chiesa einen Namen aus dem Hut, mit dem kaum jemand gerechnet hatte. Der 45-jährige Tessiner Ständerat sei «von Anfang an als Wunschkandidat auf unserer Liste gestanden», sagte der frühere SVP-Fraktionschef Caspar Baader, Präsident der Findungskommission, gegenüber Radio SRF. Nachdem er Ende Februar aus beruflichen Gründen abgesagt hatte, steht Chiesa nach der Kündigung seiner Stelle als Leiter eines Alterszentrums nun doch zur Verfügung.
In der Freitagsausgabe des «Corriere del Ticino» sagte Chiesa, er habe mit Glarner und Heer gesprochen, die nicht nur Ratskollegen, sondern Freunde seien. Beide hätten sich befürwortend zu seiner Kandidatur geäussert. Gegenüber den Online-Portalen von Tamedia tönte Chiesa am Freitagnachmittag dann schon etwas vorsichtiger. Wenn Heer und Glarner den Weg für eine Einerkandidatur frei machen, freue ihn das: «Es wäre aber auch kein Problem, wenn einer der beiden gegen mich antreten würde».
Während Andreas Glarner noch am Donnerstagabend öffentlich wiederholte und den Rückzug seiner Kandidatur bekannt gegeben hat, bleibt Alfred Heer bisher stumm. Telefonisch ist er am Freitag nicht zu erreichen. Auch eine Anfrage bei Benjamin Fischer bleibt unbeantwortet. Fischer ist Präsident der SVP des Kantons Zürich, die Heer offiziell nominiert hat.
Der Entscheid der Findungskommission dürfte nächste Woche vom Parteileitungsausschuss bestätigt werden. Dennoch könnte die Zürcher SVP an der Delegiertenversammlung vom 22. August Heer als Kandidaten vorschlagen.
Einer, der Heer schon seit Jahrzehnten kennt, ist der Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena. Gemeinsam betreiben die beiden eine IT-Firma. Zwar sei Chiesa unbestritten ein guter Kandidat. «Aber ich hätte mir eine Auswahl gewünscht», bedauert Tuena.
Die Findungskommission hätte Heer ebenfalls zuhanden der Delegiertenversammlung nominieren sollen, kritisiert Tuena. «Denn Heer ist ebenfalls ein hervorragender Kandidat, der das nötige Format hat». Schliesslich habe er die Zürcher SVP als Präsident von 2009 bis 2016 äusserst erfolgreich geführt. Es sei nun an Heer zu entscheiden, ob er dennoch antreten wolle.
Anders tönt es bei Heers Zürcher Nationalratskollegin Barbara Steinemann. Sie sei positiv überrascht gewesen von der Nominierung Chiesas: «Ich rechne ihm seine Bereitschaft hoch an, das Amt trotz seiner beiden kleinen Kinder zu übernehmen.»
Gemäss Steinemann bringe Chiesa alle nötigen Voraussetzungen mit, um ein erfolgreicher Parteipräsident zu werden: «Wie Toni Brunner ist er einer, der auf die Leute zugehen kann.» Chiesas Kandidatur sei ein Signal des Aufbruchs, dass all jene Lügen strafe, welche der SVP hämisch ein Personalproblem unterstellt hätten.
Während sich Steinemann einen Parteipräsidenten Andreas Glarner von Anfang an nicht vorstellen konnte, hätte sie mit Alfred Heer leben können. Allerdings gehöre dieser eine Generation an, die keine Aufbruchstimmung verbreite. (bzbasel.ch)
vom Aufbruch in die Vergangenheit?