Die Vertreterinnen und Vertreter der SVP feierten sich letzte Woche selbst. Anlass dazu gab der Bundesrat: Er eröffnete am Mittwoch formell die Parlamentsdebatte über einen unscheinbaren Vorstoss des SVP-Nationalrates Jean-Pierre Grin. Dieser will, dass Bürgerinnen und Bürger künftig noch mehr Krankenkassen-Kosten bei der Steuererklärung abziehen können.
Der Vorstoss klingt verlockend angesichts der hohen Krankenkassen-Prämien: Sie steigen seit Jahren und haben, was das Anstiegstempo betrifft, die Teuerung überholt. Das führte dazu, dass manche Haushalte über ein Achtel ihres Einkommens allein für die Krankenkasse aufwenden müssen.
Dieses Problem müsste eigentlich durch die Prämienverbilligung entschärft werden: Der Staat soll für ärmere Haushalte einen Teil der Prämien übernehmen – so war es zumindest 1994 gedacht, als das heutige Krankenkassen-System eingeführt wurde. Änderungen hier sind aber hochkomplex: Will man über höhere Prämienverbilligungen mehr Haushalte entlasten, braucht es in der Regel Gesetzesänderungen in allen 26 Kantonen.
Die SVP dachte sich wohl deshalb, dass ein anderer Weg zielführender wäre: Steuerzahlende müssten über die Steuerrechnung entlastet werden. Davon sollten für einmal alle profitieren, nachdem «besonders Bedürftigen» schon mit der Prämienverbilligung geholfen wurde. Gefordert hatte das der Waadtländer SVP-Nationalrat Jean-Pierre Grin schon im Jahr 2017. In seiner Begründung schreibt er: «Weniger Steuern bedeuten mehr finanzielle Unabhängigkeit am Ende des Monats und eine Steigerung der Kaufkraft für die Steuerpflichtigen.»
Grin hatte dank Stimmen der FDP, CVP (heute: die Mitte) und seiner eigenen Partei Erfolg: Der Bundesrat, der zuvor den Vorstoss ablehnte, musste sich an die Arbeit machen und eine konkrete Gesetzesänderung ausarbeiten. Der Vorschlag ist seit dieser Woche publik und wird auf 17 Seiten ausführlich erklärt.
Dort äussert sich der Bundesrat unter anderem zu den Auswirkungen auf die Staatskasse: Geschätzt wird, dass Grins Vorstoss jedes Jahr mindestens 400 Millionen Franken an Steuereinnahmen kosten könnten. Tendenz steigend.
Davon betroffen wäre nicht nur die Bundeskasse, sondern auch die Kantone: Diese müssten rund einen Fünftel, also rund 85 Millionen Franken, übernehmen. Das sei aber nicht so schlimm, wie es die Zahlen zeigen würden, so der Bundesrat: Schliesslich würden die Menschen mehr konsumieren und damit mehr Mehrwertsteuern zahlen, womit die geschätzten Steuerausfälle von 400 Millionen Franken «etwas verringert» werden. Um wie viel genau, sagt der Bundesrat aber nicht.
Er vermutet aber, dass manche Steuerzahlende derart stark von der Steuersenkung profitieren, dass sie weniger arbeiten müssten. Bis zu dieser Stelle liest sich die sogenannte «Botschaft» des Bundesrates wie eine Lobeshymne an den Vorstoss: Die Ausfälle seien nicht so schlimm, ausserdem gebe es viel mehr Freizeit!
Ab Seite 13 begann der Bundesrat aber auszurechnen, wer tatsächlich vom Vorstoss profitieren würde. Dafür rechnete er alle 4'628'629 «normalen» Steuererklärungen fiktiv durch, um die effektiven Einsparungen benennen zu können. Das Ergebnis wird in einer Grafik angezeigt: Dort sei ersichtlich, «dass die steuerliche Entlastung sich stark auf die oberen Einkommensgruppen konzentriert».
Die Mathematik dahinter ist einfach und hängt mit der sogenannten «Steuerprogression» zusammen: Wer mehr verdient, zahlt prozentual mehr Steuern. Diese wirken sich auch beim Abzug aus – und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits führen höhere Steuerabzüge dazu, dass sie anteilsmässig stärker die Steuerrechnung senken. Andererseits führen Steuerabzüge dazu, dass jemand in eine tiefere Steuerklasse fällt und generell noch weniger Steuern bezahlen muss.
Das Ganze in konkreten Zahlen: Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung werden im Schnitt 258.49 Franken weniger Steuern bezahlen müssen. Der Grossteil der Bevölkerung kommt nicht einmal ansatzweise in die Nähe eines Gewinns, der so gross ist, dass das Arbeitspensum ernsthaft reduziert werden kann. Wer jedoch beispielsweise 82'000 Franken im Jahr versteuert, hätte zumindest die Auswahl: Er oder sie könnte monatlich entweder die Arbeitszeit um eine Stunde (pro Monat) reduzieren oder sich zwei «Café Crème» auswärts gönnen.
Für die SVP hingegen reicht das aus: Sie schrieb letzte Woche, dass mit dem Vorstoss die «hart arbeitenden Schweizer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler» entlastet werden und ihnen damit «mehr im Portemonnaie» bleibe. Letzteres bedeutet für die Mehrheit der Bevölkerung konkret einen Zweifränkler pro Monat, während sich die Wohlhabendsten schon mal einen Kurztrip mit Hotelübernachtung leisten könnten.
SVP-Nationalrat Grin sagt auf Anfrage, dass es bei seinem Vorstoss dennoch um «Steuergerechtigkeit» gehe. Heute subventioniere der Staat tiefere Einkommensempfänger bereits. Es sei daher «normal», wenn wohlhabenderen Steuerzahlern angesichts der jährlichen Versicherungskosten von über 10'000 Franken der Steuerabzug auf 6000 Franken erhöht werde.
Wenig überraschend führte das in der Vordebatte zu Kritik, wonach vom SVP-Vorstoss höhere Einkommen stärker profitieren. Die Kritik kam aber nicht nur von linker Seite, sondern auch vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Er schreibt wörtlich: «Die Verteilungswirkung von (höheren) Abzügen entspricht jedenfalls nur bedingt dem Anliegen, den Mittelstand zu entlasten.» Die wirtschaftsliberale Organisation forderte daher andere Massnahmen, um den Anstieg der Gesundheitskosten einzudämmen.
Auch die SP wehrt sich gegen den Vorstoss. Parteipräsidentin Mattea Meyer sagt: «Was ist SVP da fordert, schadet der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung.» Sie kritisiert, dass die Bürgerlichen es erneut wagen würden, eine «Politik für die Reichsten und Millionäre» als «Entlastung des Mittelstandes» verkaufen zu wollen. Die Sozialdemokratin stellt klar: «Wir werden uns dagegen wehren – notfalls auch mit einem Referendum.»
Diese Ansage richtet sich auch an die Mitte-Partei: Die Christdemokraten lehnen den SVP-Vorstoss nicht grundsätzlich ab – sie unterstützten ihn sogar teilweise im Parlament, obwohl die Mitte und die SP in einem Punkt einig sind: Die Entlastung der Haushalte bei den Krankenkassen-Kosten müsste durch höhere Prämienverbilligungen erfolgen. Meyer sagt dazu: «Wenn die Mitte dieses Bekenntnis ernst meint, dann braucht es Massnahmen, die wirklich der Bevölkerung zugutekommen.»
Ja! Und so soll es auch sein! Ich habe das Glück, dass ich einen Job habe, der es meiner Familie erlaubt, sorgenfrei gegen das Ende des Monats zu schauen. Also sollen meine höheren Steuerabgaben dazu genutzt werden, dies auch anderen Familien zu ermöglichen.
Isch doch nid so schwär gopferdaminomou!