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Wiederausfuhr von Kriegsmaterial: Trotz Kompromiss gescheitert

Wiederausfuhr von Kriegsmaterial: Wie es trotz eines Kompromisses zum Scherbenhaufen kam

«Das war keine Sternstunde parlamentarischen Schaffens», sagt selbst SP-Co-Präsident Cédric Wermuth zu den Debatten über die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial. Ob die Situation gerettet werden kann, ist unklar.
11.03.2023, 20:25
Othmar von Matt / ch media
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FDP-Präsident Thierry Burkart und SP-Co-Präsident Cédric Wermuth. Wiederausfuhr von Kriegsmaterial: Wie es trotz eines Kompromisses zum Scherbenhaufen kam
Schulter an Schulter: FDP-Präsident Thierry Burkart und SP-Co-Präsident Cédric Wermuth schlossen zwar einen Kompromiss. Doch der hat Nebenwirkungen.Bild: az/Severin Bigler

Die Erwartungshaltung, die FDP-Präsident Thierry Burkart schürte, war hoch. Das Parlament solle die zwei Motionen zur Wiederausfuhr von Kriegsmaterial annehmen, die im Parlament anstünden, sagte er am Montag bei CH Media. «Sonst ist der Schaden für unser Land gegenüber den westlichen Partnerstaaten gigantisch.»

Jetzt, am Ende dieser Woche, ist der Flurschaden tatsächlich gross. Der Ständerat lehnte Burkarts Motion mit 18:23 Stimmen ab. Sie wollte die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial für 25 Staaten erlauben, die ein ähnliches Wertesystem haben wie die Schweiz.

Der Nationalrat wiederum kippte bei einer SP-Motion der sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Nationalrats einen wesentlichen Pfeiler. Sie will eine Wiederausfuhr ermöglichen, sobald eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats oder eine Zweidrittelmehrheit der UNO-Vollversammlung einen Angriffskrieg ablehnt. Die Zweidrittelmehrheit fiel mit 78:118 Stimmen durch - die FDP sperrte sich.

Der Katzenjammer ist gross. Wie konnte es zu diesem Scherbenhaufen kommen, wo doch ausgerechnet FDP-Präsident Burkart und SP-Co-Präsident Cédric Wermuth einen Kompromiss eingefädelt hatten?

Am Montag ist es SP-Ständerat Daniel Jositsch, der mit seiner Lobrede auf die Neutralität selbst die SP überrumpelt. Die «Weltwoche» veröffentlicht die Rede online. Sieben von acht SP-Ständeratsmitgliedern stimmen im Zuge dieser Rede gegen Burkarts Motion, was zu roten Köpfen in der FDP-Fraktion führt.

Dienstagnachmittag, Zimmer 3 im Bundeshaus. FDP-Fraktionschef Damien Cottier betont an der Fraktionssitzung, die FDP sei nicht mehr verpflichtet, der SP-Motion im Nationalrat zuzustimmen - da die SP Burkarts Motion im Ständerat abgelehnt habe.

Es entbrennt eine Diskussion, ob für die FDP das westliche Wertesystem oder die Neutralität massgebend seien. Aussenminister Ignazio Cassis warnt, die Zweidrittelmehrheit sei völkerrechtlich nicht verbindlich.

Burkart selbst schweigt. Er hat das Projekt Wiederausfuhr so entschieden vorangetrieben, dass im Rat auch von «Ego-Projekt» die Rede ist. Erst als Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann moniert, die Neutralitätsdiskussion schade der FDP, interveniert er. Burkart betont, seine eigene Motion sei neutralitätskonform - und er will wissen, was die Fraktion dazu denke.

Die Frage bleibt im Raum stehen. Die Fraktion will im Rat getrennt über Absatz 3 (Sicherheitsrat) und Absatz 4 (Zweidrittelmehr) abstimmen lassen und verhindern, dass die Motion ganz abgelehnt wird. Die Konsultationsabstimmungen in der Fraktion ergeben eine klare Mehrheit für Absatz 3, eine knappe Mehrheit gegen Absatz 4 und - überraschend -eine grosse Mehrheit gegen die Motion als Ganzes.

Die böse Überraschung der Maja Riniker

Tags darauf erlebt FDP-Sicherheitspolitikerin Maja Riniker eine böse Überraschung. Sie ist in der FDP-Fraktion das einzige Mitglied, das sich im Nationalrat für Absatz 4 (Zweidrittelmehrheit) ausspricht.

«Da muss in der Nacht ein kollektiver Sinneswandel stattgefunden haben», wundert sie sich - und betont: «Das ist eine verpasste Chance.» Ein Ja zur gesamten Motion hätte den Bundesrat unter Druck gesetzt.

Das Verhalten der FDP-Fraktion wirft Fragen auf. Wurden am Abend Fraktionsmitglieder bearbeitet, um Absatz 4 abzulehnen? Weshalb schwieg Präsident Burkart? Wollte er die Fraktion nicht übersteuern? Oder wirkt der Druck von SVP und «Weltwoche», die ihm vorwerfen, die Neutralität abzuschaffen? «Ich verstehe schon, dass die Fraktion die Zweidrittelmehrheit der UNO-Vollversammlung ablehnte», sagt er selbst. «Es ist unklar, ob dies neutralitätskonform ist. Dafür braucht es zusätzliche Abklärungen.»

Fragen stellen sich auch bei der SP. Hat sie keinen Zugriff mehr auf Ständerat Jositsch? «Ich teile die Argumentation von Daniel Jositsch nicht, die Mehrheit der Fraktion auch nicht», sagt Co-Präsident Wermuth. «Aber die Ständeräte haben eine gewisse Selbstständigkeit.»

Der Kompromiss zwischen FDP und SP bezieht sich explizit auf eine parlamentarische Initiative der SiK des Nationalrats, die noch nicht beraten wurde. Es dürfte sechs Monate dauern, bis sie durch beide Räte ist. In ihr werden Elemente von Burkarts Motion (Staaten mit ähnlichen Werten) mit jenen der SP-Motion (Sicherheitsrat, Zweidrittelmehrheit) gemischt.

SP und FDP haben zusätzliche Verschärfungen eingebaut: Im Bestimmungsland dürfen Menschenrechte nicht verletzt und Kriegsmaterial nicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden.

Weshalb keine grosse Koalition?

SVP und Grüne bilden bei der Wiederausfuhr eine unheilige Allianz. Hier war für Burkart und Wermuth kaum etwas zu holen. Die Frage ist, weshalb sie keine grosse Wiederausfuhr-Koalition mit Mitte und GLP anstrebten.

Die Mitte verfolgt mehrheitlich den Wiederausfuhrkurs und die GLP mit Ausnahme von Martin Bäumle ganz. Und doch fühlen sich beide nicht richtig eingebunden. Vor allem die Mitte war zuletzt «leider Gottes», wie es intern heisst, nur in einer Beobachterrolle.

«Ich wurde nicht angefragt für diesen Deal», sagt GLP-Präsident Jürg Grossen. «Wir hätten uns aber gerne von Anfang an bei der Ausgestaltung der Vorstösse eingebracht.» Je breiter ein Kompromiss sei, desto besser, sagt dazu Burkart. «Mitte und GLP sind selbstverständlich aufgerufen, mitzudenken und mitzuarbeiten.»

Als roter Faden zieht sich durch die Debatte, dass die inhaltliche Vorbereitung zu wünschen übrig liess. So monieren mehrere Mitglieder der FDP-Fraktion, das Thema hätte viel früher eingebracht werden müssen.

Ähnliches geschah an der Sitzung der SiK Nationalrat vom 23. und 24. Januar. Die SP brachte kurzfristig die Wiederausfuhr-Motion ein, über die am Mittwoch abgestimmt wurde. Da der Vorstoss komplexe Themen behandelt, liess SiK-Präsident Mauro Tuena abstimmen, ob externe Experten beigezogen werden sollen. Die Kommissionsmehrheit lehnte ab.

Das war wohl ein Fehler. Doch heute könne es zur Chance werden, sagt Maja Riniker. «Alle haben erkannt, dass nicht gut war, was wir diese Woche produzierten», sagt sie. Dieser «Schuss vor den Bug» sei eine Chance für die parlamentarische Initiative. «Die aussenpolitische und die sicherheitspolitische Kommission sollten nun eine gemeinsame Sitzung durchführen, um offene Fragen zu klären.»

Selbstkritisch gibt sich auch SP-Co-Präsident Cédric Wermuth. «Das war keine Sternstunde des parlamentarischen Schaffens», sagt er.

Und wie geht es weiter? «Wir wollen nach wie vor eine Lösung», betont FDP-Präsident Burkart. «Wir können auf Basis des jetzt vorliegenden Kompromisses weiterarbeiten.» Die Lösung müsse aber neutralitäts- und völkerrechtskonform sein. (aargauerzeitung.ch)

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46 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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kusel
11.03.2023 21:07registriert Januar 2015
Das Parlament in Bern ist von grosser Unfähigkeit Umgebungen. Sowohl Links als auch Rechts. Würden Arbeitnehmer so arbeiten, wären die meisten Firmen bereits ruiniert.
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Andi Weibel
11.03.2023 20:46registriert März 2018
Das Problem ist, dass die FDP hinter den Kulissen versucht, die Situation zu nutzen, um das Kriegsmaterial-Gesetz so zu ändern, dass Waffenexporte nach Saudi-Arabien erleichtert werden. Die Rüstungslobby macht schon seit Jahren Druck in diese Richtung, weil das weltweit der lukrativste Absatzmarkt ist.

Die SP kann das natürlich nicht akzeptieren. Deshalb musste die SP die Motion von Burkart im Ständerat ablehnen. Eine Lösung würde sich finden lassen, sobald die FDP akzeptiert, dass keine neuen Schlupflöcher für Exporte an die Golfstaaten eingefügt werden.
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Touché
11.03.2023 21:00registriert Februar 2019
Wieder einmal mehr!
Die CH als Trittbrettfahrer! Den Namen: "Rosinenpicker" wird uns einmal mehr Gerecht und dem Schutzmantel der Neutralität.

Verlassen sich aber womöglich in der Not durch die EU geschützt und vertreten zu werden?
Sonstige Hilfe kann man von der Schweiz nicht erwarten. Beschämend diese Haltung und Hilfeleistung an die Ukraine.
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So mies wird das Wetter am Wochenende, aber wir hätten da ein paar Ideen für dich

Die Badehose war schon entstaubt, der Grillplatz gereinigt. Und nun kommt doch der Winter zurück. Die Schweiz hat gerade mit Minimaltemperaturen um den Gefrierpunkt zu kämpfen. Der April zeigt sich also wieder von seiner widerspenstigen Seite.

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