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Aufhebung des Euro-Mindestkurses: Die Schreckensszenarien haben sich nicht bewahrheitet

Aufhebung des Euro-Mindestkurses: Die Schreckensszenarien haben sich nicht bewahrheitet

15.07.2015, 16:3615.07.2015, 17:20
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Am 15. Januar gab die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro auf. Anleger und Ökonomen befürchteten Schlimmes: Rezession, Massenentlassungen. Der SMI, der Leitindex der Schweizer Börse, spiegelte die Psyche: Er fiel innert Minuten um sieben Prozent, später sogar noch tiefer. Der Euro fiel zwischenzeitlich sogar unter die Marke von einem Franken (Parität).

Einige Unternehmen kündigten Stellenabbau an: Die Bank Julius Bär etwa gab rund zwei Wochen nach Aufhebung der Untergrenze einen Abbau von 200 Stellen bekannt. Solche Massnahmen blieben bis jetzt aber eher die Ausnahme als die Regel.

«Unsere Mitglieder haben kaum Arbeitsplätze abbauen müssen. Die Entwicklung liegt im langjährigen Durchschnitt.»
Henrique Schneider, vom Schweizerischen Gewerbeverband SGV 

Stellenabbaupläne lagen schon vorher in der Schublade

In der Schweizer Industrie gingen gemäss diversen Experten im ersten Halbjahr wenige 1000 Stellen verloren. Es handle sich bei vielen wohl um Abbaupläne, die schon zuvor in der Schublade lagerten. Die Landschaft der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) hat sich kaum verändert.

«Unsere Mitglieder haben kaum Arbeitsplätze abbauen müssen. Die Entwicklung liegt im langjährigen Durchschnitt», sagt Henrique Schneider, Ressortleiter Wirtschaftspolitik, Umwelt und Energie beim Schweizerischen Gewerbeverband SGV zur Schweizerischen Depeschenagentur SDA.

«Der starke Franken dämpft zwar die positiven konjunkturellen Impulse aus dem Ausland. Die Lage bleibt darum angespannt. Dennoch haben sich die schlimmsten Befürchtungen bisher nicht eingestellt.»
Anja Hochberg, Credit Suisse

Ist also Ruhe eingekehrt? Immerhin sind die Konjunkturaussichten inzwischen weit weniger schlecht als im Januar befürchtet. Als Stütze erweist sich die solide Entwicklung in anderen Ländern. «Der starke Franken dämpft zwar die positiven konjunkturellen Impulse aus dem Ausland. Die Lage bleibt darum angespannt», sagt Anja Hochberg, Investmentchefin Schweiz & Europa bei der Grossbank Credit Suisse. «Dennoch haben sich die schlimmsten Befürchtungen bisher nicht eingestellt», sagt sie.

Auch Peter Dietrich, Direktor des Industriebranchenverbands Swissmem, sagt: «Der Rückblick nach einem halben Jahr ist etwas trügerisch, denn wir haben noch nicht alles gesehen». Die Unternehmen konnten bisher noch von ihren Aufträgen profitieren, die sie vor dem Frankenschock eingeholt hatten. Nun aber hat sich die Ausgangslage verändert. Der Kurs schwankt seit Monaten zwischen 1.04 und 1.05 Franken.

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 «Es werden schmerzhafte Anpassungen auf die Schweizer Wirtschaft zukommen. Wir gehen davon aus, dass zirka 30‘000 Stellen verloren gehen werden.»
Valentin Vogt, Präsident Arbeitgeberverband

Es könnte im zweiten Halbjahr zu einer Welle des Stellenabbaus kommen. Auch für den Arbeitgeberverband ist die Lage unsicher. Ein längerfristiger Wechselkurs zwischen 1.03 und 1.05 Franken pro Euro hätte gravierende Auswirkungen. «Es werden schmerzhafte Anpassungen auf die Schweizer Wirtschaft zukommen. Wir gehen davon aus, dass zirka 30‘000 Stellen verloren gehen werden», sagt Präsident Valentin Vogt. 

Für Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, muss die SNB darum den Kurs bald wieder aktiv steuern. «Die SNB muss eine Währungspolitik betreiben im Landesinteresse. Der Franken muss der Schweiz nützen, nicht schaden», sagt er. Der SGB wäre darum für das Festzurren einer neuen Untergrenze.

«Die SNB muss eine Währungspolitik betreiben im Landesinteresse. Der Franken muss der Schweiz nützen, nicht schaden.»
Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB

Doch die SNB ist nicht untätig. Experten vermuten, dass die SNB am Markt interveniert, sobald sich der Kurs Richtung 1.03 Franken pro Euro nähert. «Ich nenne es die Guerillataktik der SNB. Sie will unberechenbar sein», sagt UBS-Chefökonom Daniel Kalt. Den «fairen Wert» gemessen an der Kaufkraftparität würde er derzeit bei zirka 1.25 Franken pro Euro ansetzen.

Gemäss Anja Hochberg von der CS steigt der Euro in den nächsten 12 Monaten immerhin bis 1.08 Franken. Dass sich die klare Franken-Überbewertung in nächster Zeit deutlicher korrigiert, glaubt niemand. (whr/sda) 

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