Nächste Medaille für die Schweiz bei den Olympischen Spielen in Tokio: Der Genfer Jérémy Desplanches schwimmt über 200 Meter Lagen in 1:56,17 Minuten einen neuen Schweizer Rekord und gewinnt Bronze, nur fünf Hundertstelsekunden vor dem Japaner Daiya Seto, den er auf der letzten Bahnlänge noch abfangen konnte.
Desplanches ist damit erst der zweite Schweizer Schwimmer nach Etienne Dagon 1984 in Los Angeles, der eine Olympia-Medaille gewinnt. Der Bieler Dagon gewann über 200 Meter Brust wie nun Desplanches Bronze. Gold geht mit eine Zeit von 1:55,00 an den Chinesen Wang Shun, Silber an den Briten Scott Duncan (1:55,28).
Desplanches sagt: «Am Ende konnte ich nicht mehr atmen und habe nichts mehr gesehen. Es ist unglaublich, eine grossartige Leistung für mich, aber auch für alle, die mich auf diesem Weg begleitet haben. Während der Pandemie hatte ich grosse Zweifel. Ich bin unglaublich stolz.»
Der Olympia-Medaillengewinn ist das Resultat einer bemerkenswerten Kompromisslosigkeit. Im April 2014 verlegte Jérémy Desplanches seine Trainingsbasis von Genf nach Nizza an die Côte d'Azur, um bei Olympic Nice Natation unter dem französischen Weltklasse-Trainer Fabrice Pellerin zu trainieren. Mit Erfolg: Innerhalb von nur sieben Jahren verbesserte er sich in seiner Spezialdisziplin um sechs Sekunden. Zuletzt schwamm er bei drei Grossanlässen in Folge zu Medaillen. 2018 wurde er Europameister, im Jahr darauf holte er bei den Weltmeisterschaften Silber und in diesem Frühling gewann er erneut Silber bei den Europameisterschaften.
Noch vor einem Jahr schien Jérémy Desplanches' Exploit undenkbar. Denn während des zweimonatigen Lockdowns, während dem kein Training im Becken möglich war, veränderte sich sein perfekt austrainierter Körper. Er nahm zwar nicht zu, doch er verlor Muskelmasse. Die Lungenkapazität sackte um rund 40 Prozent zusammen.
Auch psychisch setzte ihm die Pandemie zu. «Ich habe mich völlig abgeschottet und viel gelesen, das war mir alles zu negativ», sagte er dem «Tages-Anzeiger». Dazu hätten ihn die Gedanken an die Konkurrenz gequält. «Man fragt sich, was machen die anderen? Trainieren sie? Wer hat welche Möglichkeiten? Mit einigen war ich in Kontakt, aber es blieb uns nur, zu warten, warten, warten.»
Als er wieder ins Training einsteigen konnte, machte ihm nicht nur die fehlende Leistungsfähigkeit der Lunge zu schaffen. «Schultern, Knie und Fussgelenke waren wie eingerostet», sagte Desplanches. Erst nach zwei Monaten war wieder ein normales Training möglich und erst im letzten Dezember bestritt er wieder einen Wettkampf. Seither legte der Genfer einen veritablen Steigerungslauf hin, der im Olympia-Becken von Tokio im Medaillengewinn kulminierte. Seinen eigenen Schweizer Rekord unterbot Desplanches in 1:56,17 Minuten um nicht weniger als 0,39 Sekunden.
Sein zweites Olympia-Abenteuer nach Rio de Janeiro war mehr schlecht als recht gestartet. Im ersten Halbfinal schwamm er nur eine Zeit von 1:57,38 Sekunden und musste abwarten, ob er sich über die Zeit für den Final der acht Schnellsten qualifizieren würde. Desplanches: «Ich habe mich zu Tode erschrocken. Ich zittere immer noch. Es war sehr, sehr schwer. Ich habe eine Menge Druck gespürt und war richtig gestresst.»
Desplanches, der über sich sagt, er verfüge über kein Talent, machte ihn sich selber. Er ist der Kopf einer neuen Generation von jungen Schweizer Schwimmern, die in Tokio mehrfach aufhorchen liessen. Mit seinen bald 27 Jahren ist der Genfer der Senior im Team, Antonio Djakovic ist gerade einmal 18 Jahre alt und der Jüngste der gesamten Schweizer Delegation in Tokio. Dazu kommen mit Lisa Mamié und Noè Ponti zwei weitere Talente mit grossem Potential.
Für die Schweiz ist die Bronze-Medaille von Desplanches offiziell das siebte Edelmetall bei den Olympischen Spielen in Tokio nach Gold, Silber und Bronze im Mountainbike durch Jolanda Neff, Sina Frei und Linda Indergand, Silber durch Mountainbiker Mathias Flückiger, Silber im Zeitfahren durch Marlen Reusser und Bronze durch Nina Christen im Schiessen. Weitere zwei Medaillen kommen am Wochenende im Tennis dazu. Am Samstag steht Belinda Bencic im Einzel-Final und am Sonntag mit Viktorija Golubic im Doppel-Final.