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Ach, als wir davon träumten, so hart und gut zu sein wie die Italiener

Italy`s Luca Zanatta, left, against Switzerland's Andres Ambuehl, during the game between Switzerland and Italy, at the IIHF 2019 World Ice Hockey Championships, at the Ondrej Nepela Arena in Bra ...
Andres Ambühl an der Eishockey-WM 2019 gegen Italien.Bild: KEYSTONE
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Ach, als wir davon träumten, so hart und gut zu sein wie die Italiener

WM-Auftakt gegen Italien – Zeit, für einen Blick zurück, der die fast unglaubliche Entwicklung unseres Hockeys zeigt: Noch 1981 waren wir gegen Italien chancenlos.
13.05.2022, 21:33
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Die wilde, gute alte Zeit unseres Hockeys: Im März 1981 fahren die Schweizer zur WM nach Ortisei im Val Gardena. In diesen längst vergangenen Zeiten gibt es weder Hosentelefone noch Internet. Und kaum eine helvetische WM-Expedition ohne Skandal.

Der grosse Arne Strömberg (60), in Langnau von den Spielern als «Aetti» verehrt (ein Kosename für Grossvater) sollte eigentlich unser Nationalteam coachen. Schliesslich hat er 1962 die Schweden zum WM-Titel dirigiert. Aber unverhohlen erhebt sein Assistent Lasse Lilja (41) Anspruch auf die Chefposition. Er ist soeben mit Arosa Meister geworden und neun seiner Spieler sind im WM-Team (Andy Jorns, Ruedi Kramer, Reto Sturzenegger, Reto Dekumbis, Guido und Markus Lindemann, Jöri Mattli, Bernhard Neininger und René Stampfli)

Lasse Lilja im Jahr 1983.
Lasse Lilja im Jahr 1983.bild: keystone

Das Chefproblem wird elegant gelöst. Nach einer Kaffee-Pause auf der Fahrt ins schöne Val Gardena fährt die Mannschaft einfach ohne Arne Strömberg weiter. Lasse Lilja ist nun Chef. Und rockt. Weil sich der Bus-Chauffeur während der WM einmal verspätet, verabreicht ihm der kräftige Nationaltrainer eine schallende Ohrfeige.

Ein junger Chronist, eifrig auf der Suche nach Storys, hat bald erfahren, dass Arne Strömberg nicht, wie offiziell verkündet, wegen einer Grippe die Reise nach Ortisei nicht antreten konnte. Sondern auf Geheiss von Lasse Lilja auf schäbigste Art und Weise an einer Autobahnraststätte zurückgelassen worden ist. Und es dauert auch nicht lange, bis er vom Delegationsleiter erfahren hat, dass dem geohrfeigten Chauffeur eine Schweizer Uhr geschenkt worden ist. Damit er schweigt und künftig pünktlich fährt.

Da nimmt ein älterer, erfahrener Chronist den Jüngling beiseite und erklärt ihm freundlich, es gebe Sachen, über die man einen dicken Mantel des Schweigens ausbreite. Der Novize versteht die Lektion und schreibt nichts. Er hat auch seither nie polemisiert und alles für sich behalten, was brisant sein könnte.

Die B-WM 1981 wird ein historisches Turnier. Die Italiener werden zum ersten Mal in der Geschichte in die A-WM aufsteigen. Sie treten mit 14 italienisch-nordamerkanischen Doppelbürgern an. Unter anderem mit dem wehrhaften ehemaligen NHL-Goalie Jim Corsi, der mit seinen Stockschlägen zum Total von 118 Strafminuten beiträgt. Nie in der Geschichte war ein Aufsteiger böser.

Die Italiener spielen rau und direkt. Sie rocken das Turnier im besten Wortsinn, geben nur einen Punkt ab (6:6 gegen die DDR). Die Schweizer verlieren gegen Italien 2:4 und müssen sich mit Rang 3 begnügen. Italien wird ein Jahr später bei der WM in Helsinki und Tampere den Klassenerhalt schaffen und die Hockeywelt mit einem 3:3 gegen Kanada (mit WM-Topskorer Wayne Gretzky) schocken.

Damals dachten alle: Ach, wir werden nie so gut sein wie Italien. Wir haben ja keine Doppelbürger, die wir aufbieten können. Aufsteigen in die A-Gruppe? Nein, das macht keinen Sinn. Da wären wir sowieso hoffnungslos überfordert. Unsere Liga wird völlig überschätzt. Wir sind nun einmal zweitklassig und es gibt keine Möglichkeiten das zu ändern.

Hätte jemand damals im milden März 1981 erklärt, die Schweiz werde in den nächsten 40 Jahren in die Weltklasse aufsteigen, zweimal den WM-Final erreichen, könne bei jeder WM auf Spieler aus der weltberühmten NHL zählen und die Italiener bei einer WM lediglich noch als Operetten-Gegner betrachten – es wäre nicht einmal gelacht worden. Weil so etwas einfach völlig, gänzlich und absolut unmöglich schien.

Die Schweiz ist ein Jahr später, als die Grossen (und Italien) wie heute in Helsinki und Tampere um den Titel spielten, auf dem Tiefpunkt angelangt.

Bei der B-WM in Klagenfurt (18. bis 27. März 1982) inszenieren die Schweizer einen der grössten, nie öffentlich gewordenen Skandal des internationalen Hockeys. Vor dem letzten Spiel gegen Rumänien ist klar: China ist gerettet, wenn die Rumänen oder die Schweizer das Spiel gewinnen. Der Verlierer der Partie wird zusammen mit Holland in die C-Gruppe absteigen. Im Falle eines Unentschiedens sind hingegen die Schweiz und Rumänien gerettet und China muss absteigen.

Und siehe da: Die Partie endet 3:3. Damit alles echt aussieht, inszeniert Köbi Kölliker fünf Minuten vor Schluss – wie vorher abgemacht – eine vaterländische Schlägerei mit den Rumänen. Damit der Eindruck entsteht, es sei erbittert um den Sieg gerungen worden.

Köbi Kölliker im Jahr 1977.
Köbi Kölliker im Jahr 1977. bild: keystone

Unvergessen bleibt der Augenblick, als der chinesische Delegationsleiter auf der Suche nach IIHF-Generalsekretär Walter Wasservogel, der höchsten Turnierinstanz, im Kabinengang ausser sich vor Zorn fragt: «Wel is Mistel Wasselvogel! Wel is Mistel Wasselvogel!» Sein Protest hat nicht geholfen. China und Holland steigen ab. Die Schweiz und Rumänien sind gerettet. Es ist, exakt vor 40 Jahren, der Tiefpunkt unserer modernen Hockey-Geschichte. Das Mandat von Nationaltrainer Lasse Lilja wird nicht verlängert.

Seither ist alles besser geworden. Bereits 1986 steigen die Schweizer unter Simon Schenk in die A-WM auf. Es folgen mehrere Auf- und Abstiege und seit 1998 gehört die Schweiz ununterbrochen zur höchsten WM-Klasse.

Heute ist die Schweiz in der Weltrangliste so hoch klassiert wie noch nie (6.). Die Italiener, die 1981 für uns sportlich in fast unerreichbarer Ferne lagen, sind ein «Lift-Team» geblieben und stehen in der Weltrangliste auf Position 16. Trainiert werden sie von den in der Schweiz bestens bekannten Greg Ireland (56) und Larry Huras (66).

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quelle: keystone / pavel golovkin
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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Liebu
13.05.2022 18:56registriert Oktober 2020
Es gilt zu bedenken, dass bis 1992 nur 8 Mannschaften der A Gruppe angehörten und der 8. absteigen musste. Es war also viel schwieriger der A-Gruppe anzugehören.
Dann wurde erst auf 12 und erst seit 10 Jahren sind sogar 16 Teams dabei.
Es war also damals schon eine Riesenleistung überhaupt aufzusteigen.
Aber ja, seither ist vieles besser geworden im CH Eishockey.
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c_meier
13.05.2022 19:07registriert März 2015
damals hat es auch neben dem Eis ordentlich gerockt... 😂🙈
zum Glück hat sich der damalige Journalisten-Novize diese Geschichten gemerkt, sehr süffig zum lesen 👍🏻👍🏻😂
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clint
13.05.2022 18:48registriert September 2014
Wunderbarer Artikel mit ein paar schönen bisher mir nicht bekannten Episoden. Sehr unterhaltsam.
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