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Haben wir in Riga tatsächlich das beste WM-Team der Geschichte?

Switzerland's players huddle, prior the IIHF 2023 World Championship preliminary round group B game between Czech Republic and Switzerland, at the Riga Arena, in Riga, Latvia, Sunday, May 21, 202 ...
Die Schweizer sind die bisher überzeugendste Mannschaft in Riga.Bild: keystone
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Das beste WM-Team der Geschichte – die Deutschen haben trotzdem keine Angst vor uns

Die Schweiz steht bereits vor dem letzten Vorrundenspiel gegen Lettland als Gruppensieger fest. Das beste WM-Team der Geschichte und eine kühne Behauptung: Wir wären mit Roman Josi nicht besser.
23.05.2023, 03:5523.05.2023, 12:56
klaus zaugg, riga
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Nein, auf dem Papier ist das WM-Team von Riga auf den ersten Blick nicht besser als das Silber-Team von 2018, das gegen Schweden erst in der Penalty-Entscheidung verlor. 2018 hatte unsere WM-Delegation ungefähr gleich viele klingende Namen.

Zur Erinnerung: Leonardo Genoni, Reto Berra und Gilles Senn im Tor. Raphael Diaz, Dean Kukan, Lukas Frick, Mirco Müller, Michael Fora, Ramon Untersander, Roman Josi und Joel Genazzi in der Verteidigung. Chris Baltisberger, Grégory Hofmann, Reto Schäppi, Kevin Fiala, Nino Niederreiter, Timo Meier, Noah Rod, Tristan Scherwey, Enzo Corvi, Damien Riat, Simon Moser, Joel Vermin, Sven Andrighetto und Gaëtan Haas im Sturm. Die fettgedruckten Namen sind in Riga 2023 wieder dabei.

Berücksichtigen wir nur die Namen, dann ist die Differenz zwischen 2018 und 2023 auf den ersten Blick nicht sooo gross.

Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass der Unterschied rein theoretisch allerdings erheblich ist. Titanen haben wir 2023 ungefähr gleich viele wie 2018. Aber die Differenz machen die dritte und vierte Linie. Sie lässt sich statistisch ganz einfach erklären: Im ruhmreichen Silberteam von 2018 waren nach der Vorrunde (7 Spiele) nach wie vor sieben (!) Feldspieler ohne einen einzigen Skorerpunkt.

In Riga haben nach lediglich 6 Partien alle Feldspieler mindestens einen Skorerpunkt auf dem Konto. Dazu kommt: Biels Leitwolf Gaëtan Haas war 2018 ein guter «Hinterbänkler» (7 Spiele/4 Punkte/+2). Nun ist er ein Titan mit NHL-Format (6 Spiele/6 Punkte/+4).

Switzerland's forward Gaetan Haas controls the puck, during the IIHF 2023 World Championship preliminary round group B game between Switzerland and Slovakia, at the Riga Arena, in Riga, Latvia, T ...
Gaëtan Haas hat sich in den vergangenen fünf Jahren zu einem Topspieler entwickelt.Bild: keystone

Der optische Eindruck einer ausgeglicheneren Mannschaft (der ja täuschen kann, immerhin sind seit 2018 fünf Jahre vergangen) wird also statistisch auf eindrückliche Art und Weise bestätigt.

Der Optimist sagt also: Wenn nicht das beste, dann haben wir 2023 sicherlich das ausgeglichenste WM-Team der Geschichte auf so hohem Niveau.

Ausgeglichenheit bedeutet während eines Spiels Konstanz, gibt dem Coach mehr Optionen, macht eine Mannschaft unberechenbarer. Patrick Fischer hat nach dem Sieg über Kanada alle Linien und die Powerplay-Formationen umgestellt und trotzdem ist Tschechien anschliessend im bisher intensivsten, besten WM-Spiel 4:2 besiegt worden:

Unser WM-Team als grosse rote oder weisse Hockeymaschine, je nach Farbe des Dresses. Oder etwas blumiger und um den läuferischen Vorzügen, ja der Eleganz und der spielerischen Leichtigkeit gerecht zu werden: «Das weisse Ballett».

Was zu einer kühnen und eigentlich unglaublich arroganten These führt: Wir wären mit Roman Josi nicht besser. Roman Josi ist Captain der Nashville Predators, war Verteidigungsminister der WM-Silberteams von 2013 und 2018, zählt nach wie vor zu den besten Verteidigern der NHL und damit der Welt. Er ist aus gesundheitlichen Gründen (Gehirnerschütterung) in Riga nicht dabei.

Was für diese These spricht: Roman Josi hätte eine dominierende Rolle und dadurch wäre zumindest die beste Formation (der erste Block) berechenbarer. Die Stärke der Schweizer: Sie lassen den Puck für sich arbeiten. Die Scheibe wird schnell, oft direkt und fast immer präzis gespielt. Die Verteidiger werden so gut wie bei keinem anderen Team ins Offensivspiel einbezogen: Sie stürmen mit in der Offensive, um Überzahlsituationen zu kreieren. Sie werden an der blauen Linie ins Offensivspiel einbezogen, um das gegnerische Defensiv-Dispositiv auseinanderzuziehen. Die Schweizer zelebrieren «totales Hockey», bei dem jeder jede Rolle übernehmen kann. Auch deshalb kann das Powerplay ein Büchsenöffner sein.

Wäre dieses Kollektiv auch mit einem so dominanten Verteidigungsminister wie Roman Josi möglich? Wahrscheinlich schon. Aber vielleicht auch nicht. Wer also sagt: Nein, mit Roman Josi wären wir nicht besser, ist kein Polemiker. Was aber auch bedeutet: Im Falle eines Scheiterns im Viertelfinal (voraussichtlich gegen Deutschland) kann die Ausrede nicht sein, mit Roman Josi wären wir weitergekommen.

NHL, Eishockey Herren, USA New York Islanders at Nashville Predators Nov 17, 2022 Nashville, Tennessee, USA Nashville Predators defenseman Roman Josi 59 skates with the puck during the first period ag ...
Roman Josi ist einer der Besten der Welt – dennoch vermisst ihn die Schweizer Nati in Riga bisher nicht. Bild: IMAGO/USA TODAY Network

Es gibt noch eine Differenz zwischen 2018 und 2023. Die WM von 2018 war insgesamt besser besetzt. Ob grössere Namen auch bessere Teams machen, steht hier nicht zur Debatte. Es geht nur um die Feststellung: Auf dem Papier war unser WM-Team den Titanen noch nie so ebenbürtig wie 2023.

Zum ersten Mal in der Geschichte interessierten sich die internationalen Chronistinnen und Chronisten in Riga für die Vorstellungs-Medienkonferenz unserer NHL-Stars Nico Hischier, Kevin Fiala und Jonas Siegenthaler. Sie sind die grossen Namen hier in Riga.

Deshalb lautet die Antwort auf die Frage, ob wir 2023 das beste WM-Team der Geschichte haben: Ja.

Nun liegt es in der Natur des Eishockeys, dass es sich um ein unberechenbares Spiel auf spiegelglatter Unterlage unter der Leitung von tüchtigen, aber nicht unfehlbaren Schiedsrichtern handelt. Dieser Hinweis darf bei keiner Analyse fehlen. Und die letzte, endgültige Wahrheit wird oben auf dem grossen Videowürfel bei der Resultatanzeige stehen. Auch diese Warnung gehört dazu.

Der mutmassliche Gegner im Viertelfinal heisst Deutschland. Eine robuste, defensiv solide Mannschaft, die ein einfaches, zweckmässiges, konservatives Hockey mehr arbeitet als spielt. Gecoacht vom erzkonservativen Harold Kreis (64), einem schlauen Taktiker, der über Eishockey schon mehr vergessen hat, als die meisten im ganzen Leben über Eishockey gelernt haben.

Um einen etwas frivolen, verwegenen Vergleich heranzuziehen: Harold Kreis ist ein wenig so etwas wie der Helmut Kohl des Hockeys. Patrick Fischer (47) eher ein bisschen wie Emmanuel Macron, bevor er sich mit der Rentenreform in die Nesseln gesetzt hat. Patrick Fischers Motto könnte – analog zu Macrons Partei «La République En Marche» auch heissen: «Le Hockey Suisse En Marche» («Das Schweizer Eishockey in Bewegung»).

Patrick Fischer, head coach of Switzerland national ice hockey team, returns to cloak room, during the IIHF 2023 World Championship preliminary round group B game between Norway and Switzerland, at th ...
Bei Patrick Fischer lassen sich nicht nur optisch Parallelen zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erkennen.Bild: keystone

Nicht auf dem Papier und auch nicht eishockeytheoretisch ist Deutschland der gefährlichste Gegner für die Schweizer. Das Problem liegt im mentalen Bereich: Die Deutschen lassen sich von unserer spielerischen Herrlichkeit nicht sonderlich beeindrucken oder gar aus dem Konzept bringen.

Harold Kreis, Meister mit Lugano (2006) sowie den ZSC Lions (2008) und zuletzt in Zug tätig (2014 bis 2018), ist in Tampere von «Bild»-Reporter Jörg Lubrich auf die in Riga kreierte Bezeichnung «Das weisse Ballett» für das Schweizer WM-Team angesprochen worden. Er hat Sinn für Ironie und Humor und sagte: «Ich kenne mich in der Welt der Oper und des Ballettes nicht so aus. Ich kann dazu nur sagen: Wir werden sicher nicht die Rolle des sterbenden Schwanes übernehmen. Mit Sicherheit nicht!»

WM-Viertelfinale ist, wenn Deutschland gegen die Schweiz gewinnt. 2010 und 2021 war es so. Wenn sich das in Riga 2023 nicht ändert – wann dann?

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75 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sarkasmusy
23.05.2023 07:01registriert Dezember 2020
Momentan wird ein wenig viel vom ‚besten Team der Geschichte‘ geschrieben…
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Dr. Acula
23.05.2023 07:41registriert September 2014
Punkto Josi sehe ich das ganz anders. Egal welches Team, wenn man Josi haben könnte, würde man ihn nehmen und ganz klar, er macht dich als Team besser, gibt viele zusätzliche Optionen und bringt unglaubliche individuelle Klasse mit.
Ansonsten, der Gruppensieg ist schön, aber eben sonst gar nichts. Gegen DE wird es hart wie immer. Ich denke oder hoffe, dass es dank der Ausgeglichenheit der CH-Nati klappen wird.
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Bergfux
23.05.2023 06:15registriert September 2021
Wir haben vor allem das bessere Team als in den vergangenen Jahren. Jeder geht für den anderen durch die Hölle und ordnet alles dem Kollektiv unter.
Die Chemie in der Gruppe scheint perfekt zu sein und genau das braucht es, um am Ende zu triumphieren!
HOPP SCHWIIZ
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