Sport
Eismeister Zaugg

Der Favorit des Verstandes gegen den Favoriten der Herzen

PostFinance Top Scorer Biel's forward Toni Rajala, center, celebrates the victory 4-2 with teammates after the sixth leg of the National League Swiss Championship final playoff game between EHC B ...
Die Bieler Spieler um Toni Rajala (Mitte) feiern den Sieg ihres Teams in Spiel 6.Bild: keystone
Eismeister Zaugg

Servette gegen Biel – der Favorit des Verstandes gegen den Favoriten der Herzen

Bis zur bitteren oder eben zur ruhmreichen Neige: Biel besiegt Servette 4:2. Der Titel wird am Donnerstag im 7. Spiel in Genf vergeben. Die Geschichte lehrt: Im 7. Finalspiel gibt es keinen Heimvorteil. Sondern einen Heimnachteil. Trotzdem: Wenn Servette jetzt nicht Meister wird – wann dann?
26.04.2023, 06:2426.04.2023, 13:08
Folge mir
Mehr «Sport»

Zuerst läuft alles nach Plan. Alles wie erwartet. Servette hat Biel am Samstag 7:1 demontiert. Nun führen die Genfer auch am Dienstag in Biel schon nach 13 Minuten 1:0.

Eigentlich logisch. Niemand kann sich so schnell von einem 1:7 erholen. Wenn es jetzt Servette nicht zum Sieg und zum Titel reicht, wann dann? Noch nie waren die Genfer der ersten Meisterschaft ihrer Geschichte (seit 1905) näher als am Dienstagabend nach dem ersten Drittel in Biel. Alles im Griff. Auch statistisch mit einer Dominanz von 10:7 Torschüssen.

Aber nach einem nahezu perfekten Startdrittel mit der frühen Führung reicht es nicht zum Sieg und zur Meisterfeier. Warum? Hat Trainer Jan Cadieux einen Fehler gemacht? Gibt es einen Sündenbock? Fehlte die Kraft? Die Konzentration? Die Disziplin? Nein. Servettes Trainer hat alles richtig gemacht, einen Sündenbock oder einen Grund zur Polemik gibt es nicht. Die Genfer haben verloren, weil sich Biels Leidenschaft, Konzentration, Disziplin, Präzision und Tempo im Mitteldrittel in ein explosives Gemisch, in eine Art «Hockey-Ekstase» verwandelt.

Die Wende vom 0:1 zum 2:1 bis kurz nach «Halbzeit» (33. Minute) ist zwingend. Keine Mannschaft der Liga hätte die Bieler in dieser Phase aufhalten, ihr rauschhaftes Tempospiel neutralisieren können. Sie brausten einfach über ihren Gegner hinweg. Sie dominierten dieses robuste Servette wie noch nie in diesem Final. Mit 10:4 Torschüssen. Am Ende lautet die Torschussstatistik 30:26 für Biel. Zum ersten Mal in diesem Final hatte Robert Mayer mehr zu tun als Biels Torhüter.

Servette hatte nicht nachgelassen. Nicht zu passiv oder zu nachlässig gespielt. Torhüter Robert Mayer war ein Titan. Er und nicht Henrik Tömmernes hätte zum besten Spieler gewählt werden müssen. Biel war im zweiten Drittel einfach zu gut. Vielleicht so gut wie noch nie in dieser Saison.

Aber würde Biel im Schlussabschnitt gut genug sein, um den Vorsprung über die Zeit zu bringen oder gar auszubauen, um ein 7. Spiel zu erzwingen? Das schier Unfassbare geschieht: Biel setzt seinen Sturmlauf fort. Chance um Chance. Bis schliesslich Leitwolf und Captain Gaëtan Haas in der 55. Minute die Entscheidung erzwingt und zum 3:1 trifft. Henrik Tömmernes gelingt zwar der Anschlusstreffer (55:12 Minuten) zum 3:2. Aber Harri Säteri lässt den Ausgleich nicht mehr zu und am Ende fällt das 4:2 ins leere Tor.

Biel hat diese Saison seinem Publikum schon viele magische, ja rauschhafte Momente beschert. Diese 6. Finalpartie bringt noch einmal eine Steigerung. Weil es gelingt, im bisher wichtigsten Spiel die maximale Leistung abzurufen.

Am Donnerstag fällt nun die Entscheidung im 7. Spiel in Genf. Servette ist der Favorit des Verstandes. Ausgeglichener, erfahrener, wuchtiger, kräftiger. Auf allen Positionen vorzüglich besetzt. Exzellent gecoacht. Wer am letzten Samstag 7:1 gewonnen hat, müsste doch auch am nächsten Donnerstag dazu fähig sein, den gleichen Gegner noch einmal zu besiegen. Im wichtigsten Spiel der Klubgeschichte, die 1905 begonnen hat. Ein Sieg und der erste Titelgewinn wären hockeytechnisch logisch. Wahrlich, die Frage ist berechtigt: Wenn es jetzt nicht reicht, wann dann?

Aber Biel ist der Favorit der Herzen. Emotionaler, leidenschaftlicher, beweglicher, schneller und zäher als je zuvor seit dem Wiederaufstieg von 2008. Auf einer Mission für ihren an Krebs erkrankten Trainer. Kann Spieler, die nach einem 1:7 am Samstag wieder aufgestanden sind, die eine krachende Niederlage einfach abgeschüttelt haben wie ein Hund das Wasser aus dem Fell und drei Tage später den gleichen Gegner zwingend, überzeugend mit 4:2 gebodigt haben, noch etwas einschüchtern und erschüttern? Nein. Die Bieler wissen: Alles ist möglich. Yes we can.

Biels Mike Kuenzle, links, im Duell mit Servettes Arnaud Jacquemet im vierten Eishockey Playoff Finalspiel der National League zwischen dem EHC Biel und Genf Servette HC, am Donnerstag, 20. April 2023 ...
Wer behält in der umkämpften Finalserie am Ende die Oberhand?Bild: keystone

Der Titan Servette ist verwundbar. Bisher hat das 7. Finalspiel (und damit den Titel) viermal der Gast und nur dreimal der Gastgeber gewonnen. Heimnachteil. Nicht Heimvorteil.

Zum ersten Mal in der Geschichte treten zwei Teams zu einem 7. Finalspiel an, die in der Qualifikation nach 52 Runden genau gleich viele Punkte hatten. Ausgeglichener geht nicht. Bleibt die Frage, wer die grössere Siegeschance hat: Servette, Favorit des Verstandes, oder Biel, der Favorit der Herzen?

Die fachlich beste Antwort bekommen wir, indem wir eine Münze werfen. Die Hockeygötter werden würfeln.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
1 / 13
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
HC Davos: 31 Titel, 6 seit 1986; zuletzt Meister: 2015.
quelle: keystone / ennio leanza
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Despacito mit Eishockey-Spielern
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
56 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Buceador
26.04.2023 07:04registriert März 2019
Nach dem 1. Drittel hätte ich nicht mehr auf Biel gewettet, aber sie haben Moral bewiesen und das Ding gedreht, Gratulation! Dieser Final hat sowieso ein 7. Spiel verdient- was war das gestern für ein geiler Hockey Abend 😎 Ich freue mich auf Morgen, möge der Bessere gewinnen.
782
Melden
Zum Kommentar
avatar
UncleHuwi
26.04.2023 07:08registriert Mai 2015
Eine tolle Serie für alle die Hockey lieben😍
680
Melden
Zum Kommentar
avatar
Inelaferi
26.04.2023 07:38registriert August 2019
SKY TV . Die beiden Kommentatoren, die Emotionen des Jann Biletter und die ruhige Art und der Spielverstand des Andreas Hänni waren gestern das Tüpfelchen auf dem i. Nebst dem absolut besten Hockeyspiel der Saison, muss auch deren Leistung hervorgehoben werden. Besser geht nicht. Danke für den tollen Hockeyabend.👍
602
Melden
Zum Kommentar
56
Inter wird mit Yann Sommer im Tor Meister – die grosse Party in Mailand
Inter Mailand kürt sich zum 20. Mal in der Vereinsgeschichte zum italienischen Meister. Nach dem Derby-Sieg gegen die AC Milan feierten die Nerazzurri vor dem Mailänder Dom.

Ausgerechnet im Derby gegen den Stadtrivalen AC Milan holte sich Inter Mailand gestern Abend mit Nati-Goalie Yann Sommer den Meistertitel. Für die Nerazzurri ist es der 20. Scudetto der Vereinsgeschichte – gleichbedeutend mit einem zweiten Stern neben dem Vereinslogo. Inter gewann nicht nur das gestrige Derby, sondern überflügelte die AC Milan auch in Sachen Meistertitel. Die Rossoneri konnten die Meisterschaft bisher 19 Mal für sich entscheiden.

Zur Story