Wer sich mit der Benzinkutsche von Solothurn her der Stadt nähert, kann sich der Illusion hingeben, in Amerika am Fusse der Smoky Mountains zu sein. Nicht nur wegen der auf einem himmelhohen Mast prangenden McDonalds-Reklame. Vom «Highway» aus gesehen taucht linkerhand am Rande der Stadt ein imposanter Sport-Komplex auf. In der Art, wie wir solche Anlagen in Amerika oft sehen.
Biel mahnt nicht nur an seinem östlichen Rand optisch an die USA. Keine andere Stadt kommt so nahe an die amerikanische Mentalität heran. Hier gibt es nicht nur die für unsere Verhältnisse extremen gesellschaftlichen Gegensätze (prozentual höchster Anteil an Sozialfällen). Hier mahnen auch wirtschaftliche Dynamik, Optimismus und politische Gestaltungskraft eher an Amerika als an die Schweiz.
Und die Zweisprachigkeit an der Kultur-Wasserscheide zwischen Deutsch und Welsch hat diese Dynamik nie gebremst, sondern eher befeuert. Die oberflächliche Sprachgewandtheit, wie man sie nur in einer zweisprachigen Stadt wie Biel erwerben kann, ist ein wirtschaftlicher Vorteil. Auf der Strecke geblieben ist das eigentliche «Bieldytsch», dem Adam Friedrich Molz, Pfarrer zu Biel, wehmütig als «ysi uralti, herzliebi, reini Bielersprach» nachgetrauert hat. Es gibt sie nicht mehr. Sie ist im Strom der Zuwanderer untergegangen.
In den späten 1950-er und frühen 1960-er Jahren steht das vom Bieler Max Schlup entworfene kühne Kongresshaus an der Zentralstrasse für die Aufbruchsstimmung. Für die Stadt der Zukunft. Die gewaltige Konstruktion aus Stahlkabeln und Betonfertigelementen erregte damals in ganz Europa Aufsehen. Vor mehr als 50 Jahren das Kongresszentrum und später die Expo, nun ist es der neue Sportkomplex.
Nach achtjähriger Planungsphase ist in zweieinhalbjähriger Bauzeit für rund 200 Millionen Franken die eindrücklichste Freizeit- und Sportanlage der Schweiz mit einem Eishockey-Tempel für 7000 und einem Fussball- Stadion für 5200 Zuschauer entstanden. Die offizielle Eröffnung des Hockeypalastes folgt am Dienstag mit einem Spiel gegen Lausanne und der Anwesenheit von Sportminister Ueli Maurer.
Zum Komplex gehören neben den Eishockey- und Fussball-Arenen vier weitere Trainings-Fussballfelder, Einkaufsläden, Restaurants, Kinos, eine Curling-Anlage mit sechs Rinks und ein Parkhaus mit 750 Einstellplätzen. Die Stadt Biel hat sich als Besitzerin der Sportanlagen mit 77 Millionen beteiligt. Die restlichen 123 Millionen steuerten private Investoren für die Mantelnutzung bei.
Keine andere Sportanlage im Land ist so zweckmässig gebaut. Mit direktem Anschluss an die Autobahn, nur 15 Gehminuten vom nächsten Bahnhof entfernt und mit besserem Zu- und Abfluss des Verkehrs als bei den Stadien in Bern und Basel – und als in Zürich sowieso. Es ist ein sportliches Disneyland im Amerika der Schweiz.
Wie ist dieser Bau möglich geworden? Weil Biel anders tickt als die übrige Schweiz. Schon im Jahre 1952 schrieb der ehemalige SP-Stadtpräsident Guido Müller über seine Stadt, ihre «amerikanische Mentalität» und die Sportkultur:
«Biel leidet unter dem Ruf der Gewöhnlichkeit. Tatsache ist, dass es nie ein bevorzugter Sitz der Musen war, es auch heute nicht ist. Das Sinnen und Trachten der Bieler ist mehr der materiellen als der geistigen Seite des Lebens zugewandt. Biel ist eine Pionierstadt im wirtschaftlichen Sinne und huldigt einem Fortschritt, der vom Technischen bestimmt wird ... Es ist eine amusische Welt, die dem Geschäft und dem Sport verhaftet ist ... am Anfang war die Uhr. Sie hat das neue Biel mit seinen Fabriken, Geschäftsstrassen und Wohnquartieren in der Ebene und den Villen am Berghang aufgebaut; sie liess die kleine, etwas zopfige Stadt zu einem weltoffenen Industrie-, Handels- und Verkehrsplatz emporwachsen.»
Diese Worte können wir auch für die Gegenwart stehen lassen. Kein Wunder heisst das Hockey-Stadion «Tissot Arena», sagt man im Bernbiet, Biel sei der Zukunft zugewandt, die Stadt Bern hingegen der Vergangenheit. Und für die Bieler ist klar: «Hongkong liegt uns näher als Bern.» Nur im Hockey gilt das natürlich nicht.
Erst wenn wir diese Vergangenheit kennen, können wir verstehen, wie es möglich ist, dass Biel mit seinen etwas mehr als 50'000 Einwohnern die modernste Sportanlage der Schweiz gebaut hat – und nicht eine der grösseren Städte wie Zürich, Basel, Bern, Winterthur, Lausanne, Genf, Lugano oder St. Gallen.
Die Dynamisierung der Bieler Sportkultur durch den Neubau ist enorm. Der FC Biel, der nur dank der Zwangsrelegation von Servette in der zweithöchsten Liga verblieben ist, steht aktuell auf Rang drei. Wie sich das neue Stadion sportlich auswirken wird, ist beim EHC Biel vorerst offen und eine Rückkehr an die nationale Spitze (letzter Titel 1983) wird diese Saison noch nicht erwartet.
Doch wirtschaftlich hat es bereits gerockt und gerollt. Das Budget ist auf diese Saison um drei Millionen auf 13 Millionen aufgestockt worden. Mit dem Stürmer Tim Stapleton leistet sich der EHC Biel eine Rolex aus der Transfer-Boutique. Der Amerikaner ist der erste richtig teure Premium-Ausländer seit dem Kanadier Normand Dupont (von 1984 bis 1991 in Biel).
Manager Daniel Villard betont, diese Mehrausgaben seien durch entsprechende Mehreinnahmen aus Marketing, Sponsoring, VIP-Logen und Gastronomie-Ertrag gedeckt. Neu ist der EHC Biel als Mieter des Stadions auch an der «Bewirtschaftung» der Zuschauer beteiligt. «Wir hatten zwar nicht die Mittel, um die Investitionen für die Gastronomie im neuen Stadion selber zu stemmen und haben deshalb zusammen mit privaten Investoren eine Firma gegründet. Aber die Mehreinnahmen sind erheblich.»
Die Architektur des Eisstadions ist an und für sich nicht revolutionär. Wohl aber das Betriebskonzept. Das Hockeystadion wird beispielsweise bargeldlos betrieben. Nur für die Proletarier der Stehplätze gibt es noch eine Buvette an der mit Barem bezahlt werden kann. Alle anderen Gäste benötigen eine Gastrokarte. Eine Kreditkarte, die an Automaten im Stadion mit Guthaben aufgeladen werden kann.
Vizepräsidentin Stephanie Mérillat sagt: «Das System ist gewöhnungsbedürftig. Aber es wird sich für alle bewähren. So ist eine schnellere Bedienung möglich.» Wer zu viel Guthaben aufgeladen hat, kann es übrigens zu Hause per Internet wieder auf sein Bankkonto zurücktransferieren. Es ist ein System, wie es beispielsweise im Stadion des FC Bayern längst funktioniert.
Biel ist politisch «rot» – wie viele Schweizer Städte. Oft wird vergessen, dass pragmatische Sozialisten die besten Stadionbauer sind. Sei es in Langnau unter SP-Obmann Bernhard Antener, in Bern unter SP-Stadtpräsident Alex Tschäppät (Stade de Suisse, Sanierung PostFinance Arena) – oder eben in Biel. Der Ursprung des Projektes ist eine Vision des ehemaligen SP-Stadtpräsidenten Hans Stöckli (1991 bis 2010, heute Ständerat). Sein Parteikollege und Nachfolger Erich Fehr war der «Vorantreiber» bei der Verwirklichung.
Wer jetzt schon wissen möchte, wie es mit dem Bieler Sport weiter geht, kann einfach seine Autofahrt Richtung Neuenburg fortsetzen. Wunderbar geht die Fahrt auf der Autobahn bis die ganze Anlage linkerhand sichtbar wird. Aber dann beginnt durch die Stadt hindurch der mühselige Verkehrs-Alltag mit Staus und Ärger, bis es endlich wieder möglich wird, entlang dem wunderschönen Bielersee Fahrt aufzunehmen.
Soon @Tissot Arena! EHCB VS. @lausannehc pic.twitter.com/cN3VKoO4d3
— EHC Biel-Bienne (@ehcbiel) 24. August 2015
Ungefähr so wird die sportliche Fahrt des EHC Biel nach der Stadion-Euphorie verlaufen. Die Wirrungen und Irrungen des Hockeyalltages eines Aussenseiters werden wieder einkehren. Es kann durchaus sein, dass Kevin Schläpfer mit seiner Mannschaft auch im neuen Stadion hin und wieder in sportlichen Staus stecken bleibt und im Frühjahr eine Umleitung über die Abstiegsspiele nehmen muss. Es wird wohl erst in ein paar Jahren möglich sein, um den Titel zu spielen. Aber das Warten auf die neuen, herrlichen sportlichen Zeiten, ist ja im neuen Eispalast überaus komfortabel.
Die 6-Rink-Curlinghalle - eine der modernsten in Europa - kommt im Artikel zu kurz. Dass die Bieler Curler schon lange zur Schweizerischen Spitze gehören und Biel mit der Halle neu Nationales Leistungszentrum Swisscurling wird, sei nur (aber mit Augenzwinkern) nebenbei erwähnt.
ICI C'EST BIENNE!