Ein Bub weint. Vor 112'600 Zuschauern holt Randy Krummenacher am 10. Juni 2007 beim GP von Barcelona mit Platz drei bei den 125ern seinen ersten Podestplatz im GP-Zirkus. Bei der Siegerehrung fliessen Freudentränen. Er gilt als noch grösseres Talent als Tom Lüthi. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Sein Vater Peter Krummenacher genoss als Rennfahrer auf nationaler Ebene Kultstatus.
Niemand ahnt, dass es Randy Krummenachers einziger Podestplatz im GP-Zirkus bleiben wird. Dabei ist alles für ein Töff-Märchen aufgegleist. Damals ist die Frage nicht ob, sondern wann Randy Krummenacher wieder aufs Podest steigen wird.
Aber aus der grossen GP-Karriere wird nichts. Über einen 4. Platz im Moto2-Rennen 2011 beim GP von Deutschland kommt er nicht mehr hinaus. Im Herbst 2015 zieht Randy Krummenacher die Konsequenzen. Er verlässt die grosse GP-Bühne und beginnt in der Superbike-Szene eine neue Karriere.
Umstände, die er nicht oder kaum beeinflussen konnte (Verletzungspech, falsches Team, zu knappes Budget, Querelen rund um sein Management), haben ihn daran gehindert, sein enormes Talent umzusetzen und der nächste Tom Lüthi zu werden. Er steht im Herbst 2015 ziemlich genau dort, wo heute Dominique Aegerter angelangt ist: Er hätte nur noch in der Moto2-WM fahren können, wenn er viel Geld ins Team gebracht hätte. Darauf verzichtet er.
Es ist ja nicht das Karrieren-Ende. Gute Fahrer mit GP-Erfahrung sind in der Superbike-Szene gefragt. Superbike-Szene? Stark vereinfacht gesagt: In diesem Zirkus wird auf seriennahen Viertakt-Höllenmaschinen in zwei WM-Klassen gefahren. Die 1988 kreierte Superbike-WM ist die «Königsklasse». Die 1999 eingeführte die Supersport-WM entspricht auch technisch mehr oder weniger der Moto2-WM im GP-Zirkus und ist damit nach MotoGP, Moto2, Moto3 und Superbike-WM die fünftwichtigste Strassen-WM.
Die Rennen werden in der Schweiz nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen. Die Beachtung ausserhalb der Fachmedien tendiert gegen null. Aber die Töff-Werke sind an der Super-Bike-Szene durchaus interessiert und die guten Fahrer verdienen gutes Geld. Für die breite Öffentlichkeit gerät Randy Krummenacher ab dem Herbst 2015 in Vergessenheit. Er ist nun sozusagen ein «vergessener» Weltmeister.
Der sensible 29-jährige Zürcher mit der «Jockey-Figur (169 cm/56 kg) ist erst in den letzten zwei Jahren zum mental robusten Champions gereift. Er war diese Saison zwar klarer Favorit, musste sich aber in einem italienischen Team gegen seinen italienischen Teamkollegen Federico Caricasulo (23) durchsetzen. Randy Krummenacher hat die hohen Erwartungen erfüllt: Er gewann das erste Saisonrennen und führte im Gesamtklassement vom ersten bis zum letzten Rennen.
Am Samstag hat er in einem taktisch klugen Rennen den Titel mit einem 5. Platz gesichert. Acht Podestplätze in zwölf Rennen. Eine beeindruckende Bilanz. Nächste Saison kehrt er noch einmal in die Königsklasse Superbike-WM zurück, wo er schon 2017 eine Saison bestritten hat.
Wird Dominique Aegerter (29) unser nächster Star in der Superbike-Szene? Sein Manager Oliver Imfeld sagt: «Im Laufe der nächsten Woche wollen wir Gewissheit, ob es bei MV Agusta weiter geht.» Eigentlich gibt es einen Vertrag und mündliche Einigung mit dem aktuellen Team. Aber der schlaue Teambesitzer Giovanni Cuzari hat in den letzten Wochen den Preis laufend erhöht, den Dominique Aegerter für eine weitere Saison im GP-Zirkus zu bezahlen hat.
Soll Dominique Aegerter tatsächlich auch 2020 den grössten Teil seines Sponsorengeldes in die Teamkasse abliefern? Nur damit er weiterhin auf der grossen Töff-Bühne im Schwenkbereich der TV-Kameras eine Nebenrolle spielen und um die letzten WM-Punkte fahren darf? Oder wäre es vielleicht klüger, auf der kleinen Bühne ohne TV-Kameras und Medienbeachtung eine grosse Rolle zu spielen, um den WM-Titel zu fahren und wieder eine sechsstellige Summe zu verdienen wie Randy Krummenacher?
Der Umstieg in die Superbike-Szene ist für Dominique Aegerter möglich. Falls er diesen Weg der sportlichen und finanziellen Vernunft gehen und in einem konkurrenzfähigen Team fahren will, muss sich sein Manager allerdings sputen.