Eric Moussambani steht in seinen hellblauen Badehosen, wo er vor wenigen Augenblicken schon stand. Auf Startblock 5 im Aquatic Centre von Sydney. Doch weil seine beiden Konkurrenten – beides Profischwimmer – im Vorlauf über 100 Meter Freistil einen Fehlstart produzieren und disqualifiziert werden, ist er nun mutterseelenallein.
17'000 Zuschauer warten gespannt, was nun passiert. Wie die Jury haben auch sie den 22-jährigen Äquatorialguineer, der so gar nicht wie ein Schwimmer aussieht und nur dank einer Wildcard bei OIympia dabei ist, noch nie in Aktion gesehen.
Moussambani richtet seine Schwimmbrille, dann ertönt auch schon der Startschuss. Er springt ab, taucht ins Becken von Sydney – und das berührendste olympische Drama aller Zeiten nimmt seinen Lauf.
Die ersten Meter sehen gar nicht so schlecht aus. Sein Crawl-Stil ist zwar etwas unorthodox, aber schliesslich hat der Junge erst vor acht Monaten schwimmen gelernt. In einem 20-Meter-Pool einer Hotelanlage, dem damals einzigen Schwimmbecken in Äquatorialguinea. Vom Aufruf eines Radiomoderators, sich für die olympische Schwimmmannschaft zu bewerben, hatte er während einer Autofahrt gehört. Er war der einzige des 400'000-Einwohnerstaats, der sich meldete.
Zurück ins Olympia-Becken: Moussambani ist nicht sonderlich schnell und wirbelt viel Wasser auf, in 40,97 Sekunden kommt er zur Wende. Doch jetzt werden seine Arme und Beine plötzlich immer schwerer. Erst später gibt er zu, dass er noch nie 50 Meter am Stück geschwommen ist. Die Zuschauer in Sydney wissen von all dem nichts, aber sie spüren, dass der Mann im Wasser ihre Hilfe braucht und feuern ihn aus vollen Kehlen an.
Sein Schwimmstil gleicht nun immer mehr demjenigen eines tollpatschigen Hundes, die Beine zieht er nur noch hinterher. «Ich glaube nicht, dass er es schaffen wird», sagt der britische TV-Kommentator. Als Moussambani die letzten Meter in Angriff nimmt, säuft er beinahe ab. Nur noch knapp kann er sich über Wasser halten. Die Rettungsschwimmer wollen schon eingreifen, als «The Eel», wie sie in später nennen werden, die letzten Kräfte mobilisiert.
In 1:52.72 schlägt er schliesslich total erschöpft – in äquatorialguineischem Landesrekord – an. Es ist die schlechteste 100-Meter-Zeit, die je bei Olympia geschwommen wurde. 68,54 Sekunden bleibt Moussambani über dem damaligen Weltrekord und er ist langsamer als der Olympiasieger über die doppelte Distanz. Das Publikum tobt und feiert den Anti-Helden trotzdem wie einen Olympiasieger.
Trotz seines Sieges im Vorlauf, scheidet er als 71. und letzter Teilnehmer aus. Nur die 16 Schnellsten qualifizieren sich für die Halbfinals. Moussambani ist trotzdem überglücklich. «Die letzten 15 Meter waren schwierig für mich», gibt er im Ziel zu Protokoll. «Ich möchte jeden Zuschauer umarmen und küssen – sie haben ungeahnte Kräfte in mir geweckt.»
Als Moussambani zwei Tage später in der Mensa des Athletendorfs auftaucht, erhält er eine Standing Ovation. «Alle wollten mir die Hände schütteln. Alle klopften mir auf die Schultern und sagten: guter Job», erzählt er später. Die Presse reisst sich um den 22-Jährigen, der gar nicht so recht weiss, wie ihm geschieht. «Ich schreibe den ganzen Tag Autogramme. Wenn ich von Olympia-Fans erkannt werde, dann umarmen und küssen sie mich.»
Von Englands BBC zu Italiens RAI, von Amerikas NBC zu Japans NHK: Wie selbstverständlich absolviert er den Medienmarathon und sagt immer wieder das Gleiche. «Ich mache weiter.» Doch daraus wird leider nichts. Obwohl er seine Bestzeit auf unter 57 Sekunden steigert, wird ihm die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2004 in Athen wegen Visa-Problemen verweigert.
Auch in Peking 2008 ist «The Eel» am Start, in London 2012 will er wieder olympische Luft schnuppern. Als äquatorialguineischer Nationaltrainer. Doch leider qualifiziert sich keiner seiner Schützlinge für die Wettkämpfe. Moussambani nimmt es mit Humor: «Die Jungs sind zwar nicht so schnell wie ich zu meiner besten Zeit, aber sie entwickeln sich.»