Vor den Präsidentschaftswahlen macht jeweils der Begriff einer «Oktober-Überraschung» die Runde. Gemeint ist damit eine Enthüllung, welche die Wahlchancen eines Kandidaten zunichte macht. So wollte Donald Trump eine solche «october surprise» gegen Joe Biden mit Enthüllungen über dessen Sohn Hunter anzetteln.
Das ging in die Hosen. Doch nun sieht sich Biden mit einem gefährlichen Gegner konfrontiert: dem Oktober-Preisschock. Die Inflation ist in den USA im vergangenen Monat nochmals deutlich stärker angestiegen als erwartet – und noch stärker als erhofft: Um 6,2 Prozent sind Güter und Dienstleistungen im Durchschnitt gegenüber Jahresfrist teurer geworden.
Der Preisschock lässt sich nicht mehr als «vorübergehend» verniedlichen, und Biden versucht es auch gar nicht. Am Mittwoch führte er an einer Pressekonferenz in Baltimore aus: «Viele Menschen machen sich Sorgen wegen der Wirtschaft, und wir alle wissen, weshalb: Sie sehen die steigenden Preise. Alles, ob Benzin oder ein Laib Brot, kostet mehr. Das ist beunruhigend, auch wenn die Löhne ebenfalls steigen.»
Inflation ist eigentlich ein Ding der Vergangenheit. Die Globalisierung hat zu Lohnmässigung bei den Arbeitnehmern geführt, und die Zentralbanker haben gelernt, wie man sie in den Griff bekommt. Das Inflationsgeschrei konservativer Ökonomen hat sich deshalb in den letzten Jahrzehnten regelmässig als plumpe Panikmache erwiesen.
Doch diesmal scheint alles anders zu sein. Und das sind die Gründe:
Der Corona-Schock hat die Weltwirtschaft aus der Bahn geworfen. Sorgfältig aufgebaute Lieferketten sind zerbrochen. Überlastete Häfen und ein weltweiter Mangel an Lastwagenfahrern haben das Problem verschärft. Gleichzeitig konnten die Menschen in den Industriestaaten ihr Geld während des Lockdowns nicht ausgeben und verfügen nun über viel freies Kapital, das sie gerne ausgeben möchten.
In der Sprache der Ökonomen ausgedrückt heisst das: Die Weltwirtschaft hat gleichzeitig einen Angebots- und einen Nachfrageschock verpasst bekommen. Beide sind kräftig ausgefallen und haben deshalb die sorgsam austarierten Lieferketten durcheinander gewirbelt.
Um es mit einem Vergleich zu sagen: Es ist, wie wenn man einen neuen Computer kauft und alle Daten vom alten übertragen muss. Alle Passwörter müssen angepasst, neue Programme installiert werden, etc. Das ist selbst bei einem Laptop mühsam. Die Weltwirtschaft ist jedoch ein gigantischer Computer, deshalb ist es super mühsam, und es kommt dabei zu vielen und nicht vorhersehbaren Pannen.
Ein typisches Beispiel ist der Markt der Occasionautos: Alle Autohersteller können derzeit bloss eingeschränkt produzieren, weil es ihnen an Chips fehlt. Gleichzeitig haben die Autovermieter ihre Flotten während des Lockdowns drastisch reduziert. Dank der Impfungen können sich die Menschen jedoch wieder fast wie vor dem Lockdown verhalten. Sie fahren in die Ferien und wollen Autos mieten. Die Vermieter erhalten jedoch viel zu wenig neue Wagen und kaufen deshalb alles auf, was vier Räder hat. Die Folge: Die Preise für Occasionautos sind rund 30 Prozent in die Höhe geschossen.
Dieses Beispiel lässt sich beliebig mit andern Gütern wiederholen. Politisch brisant sind vor allem Lebensmittel- und Treibstoffpreise. Sie sind nicht nur äusserst volatil, die Menschen spüren sie sofort direkt am eigenen Leib.
Weil sie kurzfristig heftig schwanken, klammern die Ökonomen diese Preise deshalb aus und sprechen von einer Kerninflation. Diese hat sich in den USA keineswegs bedrohlich entwickelt. Seit Monaten bewegt sie sich um die vier Prozent. In der Politik jedoch spielt dies keine Rolle. Wenn Benzin und der Speck teurer werden, wird der Konsument wütend, Kerninflation hin oder her.
Die Wut der Konsumenten wird zudem kräftig geschürt. Republikaner und konservative Medien wie Fox News und das «Wall Street Journal» schüren die Inflationspanik mit immer neuen Horror-Meldungen. Sie verweisen dabei nicht auf die von Schocks erschütterte Wirtschaft, sondern machen das angeblich unverantwortliche Handeln der Regierung dafür verantwortlich. Das 1,9-Billionen-Dollar-Hilfsprogramm und jetzt natürlich das Infrastrukturprogramm seien die wahren Schuldigen an der Inflation, predigen sie täglich.
Auch Joe Manchin ist bereits auf diesen Zug aufgesprungen. Der konservative Senator aus West Virginia ist bekanntlich kein Freund des sozialen Teils von Bidens Infrastrukturprogramm. Trotzdem hat er versprochen, einer abgespeckten Version zuzustimmen. Nur deshalb hat das Abgeordnetenhaus auch den harten Teil am letzten Freitag verabschiedet.
Angesichts des Oktober-Preisschocks spielt Manchin nun wieder den Bedenkenträger. «Nach allem, was wir wissen, ist die Inflationsgefahr für die Menschen in Amerika nicht ‹vorübergehend›, sondern sie wird schlimmer», kommentierte er die jüngsten Zahlen. Er deutete damit an, dass er sich möglicherweise nicht an sein Versprechen halten werde. Ohne Manchins Stimme kann der weiche Teil des Infrastrukturprogramms nicht durch den Senat geschleust werden.
Nicht nur der Präsident, auch die US-Notenbank, die Fed, steckt in der Bredouille. Wie Finanzministerin Janet Yellen gehört auch Fed-Präsident Jay Powell der Fraktion an, welche den Inflationsschub als vorübergehend interpretieren. Deshalb hat er sich stets geweigert, sie energisch zu bekämpfen.
Das hat seinen guten Grund. Die Fed kann die Inflation nämlich nur mit einer Holzhammer-Methode bekämpfen. Sie muss mit höheren Leitzinsen eine künstliche Rezession hervorrufen. Dass dies Powell einer von der Coronakrise nach wie vor geschwächten Wirtschaft nicht zumuten will, ist verständlich.
Nach wie vor setzt die Fed darauf, dass sich das Inflationsgespenst wieder verzieht, sobald die beiden Schocks einmal überwunden sind. Will heissen, wenn sich die Weltwirtschaft an die neuen Verhältnisse angepasst hat.
Die Chancen dazu sind intakt. So erklärt etwa Mark Zandi, Chefökonom von Moody’s Analytics in der «Washington Post»:
P.S.: In der Schweiz befindet sich Inflationsmässig alles im grünen Bereich. Der Konsens der Ökonomen geht davon aus, dass die Teuerung im laufenden Jahr um 0,5, im nächsten Jahr um 0,6 Prozentpunkte zulegen wird.
In der Schweiz käme so etwas in einer Abstimmung nie durch. Bei uns würden die Steuern erhöht, sodass Wohlhabende mehr an die Regierungsausgaben bezahlen. In den USA bezahlen's hingegen die Armen. Denn ihre Ersparnisse sind in Cash, nicht in Aktien oder Sachen welche sich aufwerten. Und ihre Löhne sind fix in Dollar. Die Löhne stiegen 1.5%, weit weniger als die Preise.