Die Vergangenheit vernebelt den Blick in die Zukunft. So präsentiert sich die Ausgangslage für Tidjane Thiam (53), den neuen Chef der Credit Suisse (CS). Als im März seine Ernennung bekannt gegeben wurde, legte die Aktie um 8 Prozent zu. Das zeigt: Die Erwartungen der Investoren an den Neuen sind hoch. Thiam soll die CS wachküssen.
Der ivorisch-französische Doppelbürger kommt aus der Versicherungsbranche, führte ab 2009 den britischen Konzern Prudential. Heute präsentiert er erstmals die Ergebnisse, welche die CS im ersten Halbjahr erwirtschaftet hat. Zu verantworten hat er sie nicht: Es ist die letzte Quartalsbilanz seines Vorgängers Brady Dougan.
Der US-Amerikaner übernahm im Frühjahr 2007 den Chefsessel. Er steuerte die CS vergleichsweise gut durch die globale Finanzkrise, sagt Analyst Rainer Skierka von der Bank J. Safra Sarasin. Danach hätten der Verwaltungsrat und die Konzernleitung unter Dougans Führung verpasst, die CS strategisch auf die strukturellen Veränderungen im Banking auszurichten, so Skierka: «Die Performance der CS-Aktien hinkte konsequenterweise deutlich hinter der internationalen Konkurrenz und insbesondere hinter der UBS her.» Deren Konzentration auf die Vermögensverwaltung sei vom Markt honoriert worden.
In Dougans Amtszeit sackte der Kurs der Aktie von 90 Franken auf 26 Franken ab. Tidjane Thiam weiss, dass die Investoren deswegen ungeduldig sind. Er sagte der «Neuen Zürcher Zeitung»: «Sie erwarten einen raschen Wandel und vielleicht müssen wir uns in der Tat etwas schneller bewegen.» Wohin sagt er noch nicht. Zur Strategie äussern dürfte er sich erst im Herbst.
Dabei geht es auch um einen Kulturwandel. Dougan hat seine Karriere im amerikanisch geprägten Investmentbanking gemacht, dem Geschäft mit dem Wertschriftenhandel sowie der Beratung und Finanzierung von Firmen bei Übernahmen und Fusionen. Gegenüber dem Vermögensverwaltungsgeschäft, der Kernkompetenz von Schweizer Bankern, hegte er stets Vorbehalte. Er fuhr zwar nach der Finanzkrise das Investmentbanking gezwungenermassen runter. Allerdings zu wenig radikal. Weil die CS so stark auf dieses Geschäft gesetzt habe, sei die Rendite auf der CS-Aktie in den letzten 10 bis 20 Jahren sehr unbefriedigend gewesen, sagt Skierka.
Daher sollte die CS «zumindest die risiko- und kostenintensiven Segmente des Investmentbankings wie den Handel mit festverzinslichen Wertpapieren, Währungen und Rohstoffen zugunsten eines Ausbaus der internationalen Vermögensverwaltung» runterfahren, sagt Skierka. Nur: Die Erträge im Vermögensverwaltungsgeschäft lassen sich nicht schnell erhöhen. Die Karten in diesem Geschäft seien grösstenteils verteilt, sagt Skierka: «Ein Neuaufbau wird immer teurer. Insbesondere in Asien sind die Preise für Zukäufe oder für erfahrene Mitarbeiter in den letzten Jahren stark angestiegen.»
Will die CS im Vermögensverwaltungsgeschäft wachsen, benötigt sie die Investmentbank. Sehr vermögende Kunden wollen nicht nur ihr Geld bei der CS deponieren, sie wollen auch Beratung zur Finanzierung von Übernahmen. Sprich: Kredite. Daher halten interne Stimmen nicht das Investmentbanking für zu gross, sondern nur die Vermögensverwaltung für zu klein.
Wie auch immer das Grössenverhältnis schliesslich sein wird: Die beiden Sparten müssen enger zusammenrücken. Das bedingt einen Umbau der Konzernleitung. Andreas Venditti, Analyst der Bank Vontobel, sagt: «Jeder neue CEO holt Vertrauenspersonen, die er kennt und mit denen er gut zusammenarbeiten kann.»
Steht die Strategie, gilt es rasch Kapital zu beschaffen. «Die CS benötigt eine Kapitalerhöhung von mindestens 5 Milliarden Franken», sagt Venditti. (aargauerzeitung.ch)