Die drei Buchstaben ESG stehen für Environmental, Social und Governance, oder auf gut Deutsch: für umwelt- und sozialbewusstes Investieren. Der Begriff wurde zum ersten Mal 2004 in einem Bericht verwendet, den die UNO zusammen mit 20 Finanzunternehmen – darunter Goldman Sachs und die UBS – verfasst hat. Es ist also kein rot-grüner Kampfbegriff, er hat reinrassige kapitalistische Eltern.
So richtig Fahrt aufgenommen hat dieser Begriff rund 15 Jahre später. Larry Fink, CEO von BlackRock, machte ihn zu einem Markenzeichen. In seinem Newsletter an die CEOs der wichtigsten Firmen schrieb er: «Unternehmen müssen sich heute der Frage stellen: Was für eine Rolle spielen wir in der Gesellschaft? Wie managen wir unseren Einfluss auf die Umwelt? Geben wir uns Mühe, eine diverse Belegschaft aufzubauen? Passen wir uns dem technologischen Wandel an?»
Fink liess es nicht bei mahnenden Worten bewenden. Er verkündete auch, dass ESG künftig ein zentraler Pfeiler der Investitions-Strategie von BlackRock sein werde.
Wenn der grösste Vermögensverwalter der Welt spricht, hört die Finanzgemeinde zu. Heute ist ESG allgegenwärtig. Obwohl keiner so richtig weiss, was dahintersteckt, gibt es heute kaum mehr eine Bank oder einen Vermögensverwalter, die oder der nicht auf dieses Label schwört. Verbindliche ESG-Kriterien existieren bis heute nicht und dürften auch schwierig zu definieren sein.
Gegen ESG wird denn auch von linker und grüner Seite immer wieder der Vorwurf erhoben, es sei letztlich nichts anderes als Greenwashing, ein Feigenblatt, das nach wie vor die traditionell rein auf Profitmaximierung fixierten Anlagen verhüllen soll. Der Vorwurf ist nicht unberechtigt. So hat das renommierte Wirtschaftsmagazin «Economist» diesem Vorwurf schon mehrere Titelgeschichten gewidmet. Aktuell berichtet der «Tages-Anzeiger» über einen grossen Schwindel mit zertifiziertem Öko-Holz.
An den Greenwashing-Vorwurf von links hat sich die Finanzgemeinde mittlerweile gewöhnt. Weit grössere Sorgen bereiten ihr die Attacken von rechts. ESG ist mittlerweile von den amerikanischen Republikanern und anderen Rechtspopulisten entdeckt worden. Sie sehen darin kein Greenwashing, sondern die höchste Form eines angeblichen «Woke-Kapitalismus».
Die rechten Angriffe zeigen Wirkung. So berichtet die «Financial Times»: «Die grössten Vermögensverwalter, Private-Equity-Firmen und Broker der Wall Street warnen davor, dass der Backlash gegen nachhaltiges Investieren zu einem materiellen Risiko geworden sei. Das zeige sich in der Bitterkeit, mit der Berichte über ESG-Prinzipien als Gefahr für den Profit dargestellt würden.»
Was einst als Protest der Ölindustrie begonnen hat – in Texas, wo denn sonst? –, hat sich mittlerweile zu einem Anti-ESG-Tsunami ausgeweitet. Konservative Bundesstaaten verbieten ihren staatlichen Pensionskassen, mit Vermögensverwaltern Geschäfte zu machen, welche das ESG-Label verwenden. Das von den Republikanern dominierte Abgeordnetenhaus hat soeben ein Gesetz verabschiedet, das eine Regel des Arbeitsministeriums rückgängig macht, welches die Berücksichtigung von ESG-Kriterien für Pensionskassen erlaubt.
Das Gesetz ist ein Papiertiger, es hat keine Chance, durch den Senat zu kommen, und selbst wenn, würde Präsident Joe Biden sein Veto dagegen einlegen. Doch das Gesetz zeigt, dass die Republikaner glauben, einen Trumpf für die Wahlen 2024 gefunden zu haben.
Wie Wokeness und LGBTQ ist ESG zu einem Faktor im politisch-kulturellen Kampf der USA geworden. An vorderster Front mischt dabei Ron DeSantis mit. Der Gouverneur von Florida und ein möglicher Präsidentschaftskandidat hat sich als Vorkämpfer an der Kulturfront etabliert. So hat er Disney traditionelle Steuerprivilegien entzogen, weil das Unternehmen es gewagt hat, sein Gesetz gegen die Erwähnung von Homosexualität in der Schule zu kritisieren.
Jetzt geht er einen Schritt weiter. In einem Kommentar im «Wall Street Journal» kündigte er kürzlich an: «In der kommenden Session wird das Parlament ein Anti-ESG-Gesetz erlassen, das die Menschen in Florida vor der Diskriminierung beschützt, die sie aufgrund ihrer politischen und religiösen Überzeugungen durch grosse Finanzinstitute erleiden.»
Bisher haben die Republikaner stets davor gewarnt, dass sich der Staat in den freien Markt einmischt. DeSantis galt lange gar als neoliberaler Hardliner. Doch nach der Devise: «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?» hat er eine Kehrtwendung vollzogen.
Er bezeichnet ESG als weitere Form des «kulturellen Marxismus» und begründet seinen Eingriff in den Markt wie folgt: «Wenn Unternehmen versuchen, ihre wirtschaftliche Macht dazu zu verwenden, eine Woke-Agenda voranzutreiben, dann werden sie politische Akteure. In einem solchen Umfeld überlassen sie das politische Schlachtfeld de facto den militanten Linken.»
Ähnlich argumentiert die Heritage Foundation, die grösste konservative Denkfabrik der USA. Sie hat mehrere Newsletter verschickt, in denen sie ESG verdammt. Andrew Olivastro, Mitglied der Geschäftsleitung, erklärte gegenüber der «New York Times»: «Ich betrachte ESG als einen grossen Schirm, unter dem sich ein Netz des administrativen Staates und die Managerklasse verstecken. Es hat nicht damit zu tun, den Fortschritt der Menschheit voranzutreiben.»
Da mag auch Mike Pence nicht hinten anstehen. Trumps ehemaliger Vize hegt Ambitionen, selbst Präsident zu werden, und springt daher auf den fahrenden Woke-Zug auf. «Es ist enttäuschend, dass Präsident Biden bei den Investitionsrichtlinien für die Pensionskassen ESG und Woke-Politik über die Interessen der hart arbeitenden Amerikaner stellt», tweetete er. «Wir werden weiterkämpfen, bis wir ESG endgültig begraben haben.» Ob’s hilft?
Interessant ist auch, dass der freie Markt für die Rechten nur noch dann frei sein darf, wenn es in ihr Weltbild passt.
Die Annäherung solcher Kreise an Talibans und Co ist gruselig.