Seattle Tacoma International Airport, 9. Januar 2014: Ein geistig verwirrter Passagier lungert vor einem Notausgang herum, fasst sich schliesslich ein Herz, öffnet die Türe und eilt die Treppe hinunter auf das Vorfeld, wo Flugzeuge geparkt stehen. Er rennt weiter, bis er von Gepäckabfertigern gestoppt und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten wird.
Zwischenfälle wie dieser sind zwar selten, doch sie offenbaren ein Dilemma im Sicherheitskonzept moderner Flughäfen: In Notfällen müssen unter Umständen Tausende Personen evakuiert werden können, folglich braucht es überall Notausgänge. Auch solche, die aufs Vorfeld führen, müssen für jedermann zu öffnen sein – und gleichzeitig so gut bewacht sein, dass die Polizei auf Versehen, Missbrauch oder im schlimmsten Fall einen Terroranschlag sofort reagieren kann.
Für Sicherheitsexperte Rafi Sela ist klar: «Kein Flughafen dieser Welt ist darauf ausgerichtet, angemessen auf den Missbrauch eines Notausgangs zu reagieren.» Der israelisch-deutsche Doppelbürger war früher Sicherheitschef des Flughafens Ben Gurion in Tel Aviv. «Wer eine Notfalltür öffnet, löst in der Regel einen Alarm aus. Aber bis zum Eintreffen der Polizei könnte jemand viel Schaden anrichten», sagt Sela gegenüber watson.
Sonja Zöchling, Sprecherin des Flughafens Zürich, bestätigt diese Funktionsweise: «Wenn jemand den Knopf drückt, öffnet sich die Notfalltür. Gleichzeitig wird ein Alarm ausgelöst und eine Kamera aktiviert.»
Im Vergleich zum europäischen und nordamerikanischen Ausland kommt in Zürich eine Besonderheit erschwerend hinzu: Einige Notausgänge führen aus dem ungeschützten Bereich («Landside») an der Sicherheitskontrolle vorbei direkt auf die Zuschauerterrasse, von wo wiederum kurze Treppen aufs Vorfeld führen (siehe Diashow). Eine Person mit kriminellen Absichten könnte folglich mit unkontrolliertem Gepäck innert kürzester Zeit unmittelbar an ein geparktes Flugzeug gelangen.
Die Situation auf der Zuschauerterrasse in Zürich beurteilt Sela als «sehr gefährlich», weil vorgelagerte Sicherheitsmassnahmen fehlen, wie sie etwa an israelischen Flughäfen üblich sind. «Bis ein Passagier in Zürich an eine Sicherheitskontrolle gelangt, weiss niemand, wer er ist und was er im Schilde führen könnte.»
Verzichte ein Flughafen auf Kontrollen vor Betreten eines Terminals, müsse er wenigstens in der Lage sein, einen Vorfall schnell unter Kontrolle zu bringen. «Die Polizei ist bei einem Alarm im Nullkommanichts vor Ort», versichert Flughafensprecherin Zöchling. Sela bezweifelt dies.
Die Notfalltür-Thematik ist in den USA zumindest gesetzlich klar geregelt. Das Bundesgesetz 49 U.S. Code § 44903 über Luftsicherheit verpflichtet das Ministerium für innere Sicherheit, die Notausgang-Systeme von Flughäfen zu überprüfen. Insbesondere gelte es festzustellen, ob jene Notausgänge, die in gesicherte Bereiche führen, überwacht werden müssen und wie auf Missbräuche schnell reagiert werden kann. In der Schweiz dürften die entsprechenden Bestimmungen im Nationalen Sicherheitsprogramm Luftfahrt enthalten sein, dessen Wortlaut aber geheim ist.
«Das Sicherheitskonzept der meisten Flughäfen ist auf die Sicherheit in Flugzeugen ausgerichtet, aber nicht auf den Flughafen selbst», sagt Rafi Sela. Eine Erkenntnis, die den Sicherheitsexperten im Zeitalter von IS-Terror beunruhigt.