«Meine Gefühle für Amerika sind voller Hass und Widerwillen; halb verjudet, halb verniggert und alles auf dem Dollar beruhend.» Dergestalt beschrieb Adolf Hitler, «Führer» des nationalsozialistischen Deutschlands, sein Verhältnis zu den USA. Die Börse in der New Yorker Wall Street bezeichnete er als «Zentrale des Weltjudentums», «jüdische Finanzkapitalisten» in den USA als «Krebsgeschwür».
Doch Hitlers Sicht auf die Grossmacht jenseits des Atlantiks war nicht nur von Hass geprägt, jedenfalls vor dem Kriegseintritt der USA Ende 1941. So bewunderte er das enorme Potenzial der amerikanischen Industrie, namentlich die Fliessbandproduktion in den Ford-Autowerken, oder technologische Errungenschaften wie den Rundfunk. Selbst die Nürnberger Gesetze, die 1935 erlassen wurden und die Juden zu Menschen minderen Rechts stempelten, beruhten zum Teil auf dem Vorbild der rassistischen «Jim-Crow-Gesetze», die der Diskriminierung der Schwarzen dienten.
Und obwohl Hitler die amerikanische Kultur verachtete, hegte er eine Vorliebe für Disney-Filme, die seit 1930 auch in Deutschland zu sehen waren. Zu Weihnachten 1937 schenkte Propagandaminister Joseph Goebbels ihm mehrere Micky-Maus-Filme und notierte in seinem Tagebuch: «Er freut sich sehr darüber. Ist ganz glücklich über diesen Schatz, der ihm hoffentlich viel Freude und Erholung spenden wird.»
Der «Führer» war ein geradezu obsessiver Filmliebhaber, der seine Entourage – etwa auf dem «Berghof» auf dem bayrischen Obersalzberg – nahezu täglich mit stundenlangen Filmvorführungen peinigte. Hitlers Chefadjutant Julius Schaub beklagte sich einmal beim Regisseur Veit Harlan darüber: «Ich habe mir gestern Abend drei – sprich: drei! – Filme ansehen müssen und heute früh wieder einen. Und das auf nüchternen Magen. Der Führer hat darin eine unbeschreibliche Ausdauer.»
Hitler bevorzugte dabei laut seinem Günstling Albert Speer, NS-Architekt und später Rüstungsminister, harmlose Unterhaltungs-, Liebes- und Gesellschaftsfilme. Zu seinen Lieblingsfilmen zählten etwa «King Kong und die weisse Frau» (1933), «Schneewittchen und die sieben Zwerge» (1937) oder «Vom Winde verweht» (1939). Diesen Klassiker, der erst nach Kriegsausbruch in die Kinos kam, liess er sich über die Botschaft im neutralen Schweden besorgen, wie andere Filme aus den USA. Das Fussvolk hingegen ging leer aus: Ab September 1940 durften in Deutschland keine US-Filme mehr gezeigt werden.
Merkwürdig genug störte sich der fanatische Antisemit Hitler nicht daran, dass viele der Hollywood-Streifen von jüdischen Produzenten wie David O. Selznick produziert worden waren. Er verschmähte auch Filme nicht, in denen jüdische Schauspieler oder Schauspielerinnen vorkamen, so etwa den Laurel-und-Hardy-Film «Swiss Miss» («Dick und Doof als Salontiroler», 1938), in dem Grete Natzler mitspielte.
Hitlers Vorliebe für Disney-Filme blieb der Nazi-Basis verborgen. Dort betrachtete man die 1928 entstandene populäre Disney-Figur Micky Maus, die in ihren frühen Jahren noch recht anarchistisch unterwegs war, eher als Ausgeburt einer angeblich minderwertigen Kultur. Noch vor der Machtergreifung der Nazis schrieb etwa 1931 das NSDAP-Blatt «Die Diktatur»: «Blonde, freisinnige, deutsche Stadtjugend am Gängelband des Finanzjuden. Hinaus mit dem Ungeziefer! Herunter mit der Micky Maus, steckt Hakenkreuze auf!»
Neue Disney-Produktionen bekam das Publikum in Deutschland allerdings seit 1935 nicht mehr zu sehen – dies weniger aus ideologischen Gründen als vielmehr aufgrund der notorisch knappen Devisen des NS-Staats. Doch seit der Sudetenkrise im Oktober 1938 und den Novemberpogromen im selben Jahr in Deutschland wäre es für Disney ohnehin immer schwieriger geworden, den Verleih seiner Filme ins «Dritte Reich» zu rechtfertigen.
Das galt auch für den ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm des Studios, «Schneewittchen und die sieben Zwerge». Dessen deutsche Synchronfassung war in Amsterdam hergestellt worden, ausgerechnet unter der Leitung des aus Deutschland geflohenen jüdischen Regisseurs Kurt Gerron, der später in Auschwitz ermordet wurde. Immerhin konnte das Propagandaministerium 1938 eine Einzelkopie von Walt Disneys Bruder Roy bei dessen Deutschlandbesuch erwerben, doch die Versuche mehrerer deutscher Firmen, den Film für einen Kinostart in Deutschland anzukaufen, scheiterten Anfang 1939 dank der Aktivitäten der Anti-Nazi League in Hollywood endgültig.
Der Erfolg von «Schneewittchen und die sieben Zwerge» – der Film setzte kommerzielle und vor allem künstlerische Massstäbe – beeindruckte Propagandaminister Goebbels, der wie Hitler ein Disney-Fan war. Goebbels träumte davon, im Dritten Reich Zeichentrickfilme von vergleichbarer Qualität zu produzieren. 1941 wurde daher unter dem Protektorat des Propagandaministeriums in Berlin-Dahlem eine eigene Zeichentrickfilm-Produktionsgesellschaft als Tochterfirma der UFA gegründet, die Deutsche Zeichenfilm GmbH. Deren Geschichte hat der Filmwissenschaftler Rolf Giesen in seinem Buch «Bienenstich und Hakenkreuz» nachgezeichnet.
Im Gegensatz zu den USA kannte Deutschland freilich keine ausgeprägte Comic-Kultur, die dort die Grundlage für viele Zeichentrickfilme bildete, und in den 30er-Jahren konnten sich deutsche Zeichentrickfilme mit der amerikanischen Konkurrenz keinesfalls messen. Gleichwohl waren in Deutschland schon früh Zeichentrickfilme produziert worden, etwa 1915 «Der Zahnteufel», ein kurzer schwarzweisser Reklamefilm für die Zahnpasta-Marke Pebeco.
Dessen Produzent Julius Pinschewer, ein Pionier des Werbefilms, emigrierte übrigens 1933 in die Schweiz, wo er im Jahr darauf das «Pinschewer Film-Atelier» gründete. Er ist eines der zahlreichen Beispiele für jüdische Filmschaffende, die ihren Beruf in Nazi-Deutschland nicht mehr ausüben durften. Dieser kreative Aderlass verkrüppelte nach 1933 den deutschen Film.
Weitere Zeichentrickfilme wurden bereits unter Nazi-Herrschaft produziert, etwa 1937 «Die Schlacht um Miggershausen» von Georg Woelz. Der Kurzanimationsfilm war Teil einer Kampagne des Propagandaministeriums, die den Deutschen den «Volksempfänger» – einen Radioapparat – schmackhaft machen sollte. Der Rundfunk war ein wichtiges Mittel zur Verbreitung der Nazi-Propaganda.
Ebenfalls vor der Gründung der Deutschen Zeichenfilm GmbH zeichnete und produzierte Hans Held 1940 den Propaganda-Kurzfilm «Der Störenfried». Held, ursprünglich ein Werbezeichner, leitete während des Krieges die Zeichentrickabteilung der Bavaria Film, die ausser dem «Störenfried» lediglich unpolitische Unterhaltungsfilme herstellte, beispielsweise 1944 «Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen – eine Winterreise».
Der im Kino jeweils vor der Wochenschau gezeigte «Störenfried», dessen Arbeitstitel «Einigkeit macht stark» lautete, diente bereits der Kriegspropaganda; er ist der einzige offen militaristische Zeichentrickfilm, der während des Krieges in Deutschland produziert wurde. Geschildert wird der Kampf von Tieren des Waldes gegen einen Fuchs, wobei die Igel Stacheluniformen und Wehrmachtshelme tragen und die Wespen beim Sturzflug in Luftwaffen-Formation Geräusche wie Stukas erzeugen.
Kurzzeitig erregte «Der Störenfried» den Unwillen von NS-Grössen, vornehmlich wegen der braunen Farbe des bösen Fuchses – man fürchtete unliebsame Assoziationen mit den braunen Hemden der Nazis. Nach einem Machtwort von Luftwaffenchef Hermann Göring, der solche Befürchtungen als «Quatsch» abtat, fand der Film jedoch wieder Gnade.
Mit der neu gegründeten Deutschen Zeichenfilm GmbH hatte Goebbels Grosses vor: Sie sollte bis 1947 den ersten abendfüllenden deutschen Zeichentrickfilm in Farbe produzieren und Disney langfristig Konkurrenz machen. Zu diesem Zweck zog der Propagandaminister einen umfangreichen Stab von Zeichnern und Zeichnerinnen zusammen, die in einer firmeneigenen Ausbildungsstätte geschult wurden und sämtliche erfolgreiche Disney-Filme unter die Lupe nahmen.
So mussten sie etwa «Schneewittchen und die sieben Zwerge» Bild für Bild abzeichnen. Zudem wurden kreative Köpfe aus Frankreich, den Niederlanden und selbst aus Russland angeworben. All dies sollte den enormen Vorsprung der US-Zeichentrickindustrie wettmachen. Die Zahl der Angestellten – zu Beginn rund 50 – wuchs im Laufe der Zeit stetig an; von 72 im Jahr 1942 auf 263 im folgenden Jahr.
Mehrere Millionen Reichsmark flossen in das als kriegswichtig eingestufte Unternehmen, zu dessen Geschäftsführer Karl Neumann bestimmt wurde. Das NSDAP-Mitglied Neumann war zuvor in verschiedenen Fleischfabriken tätig gewesen und daher einigermassen branchenfremd. Auch Chefdramaturg Frank Leberecht hatte keine Erfahrung im Bereich des Zeichentrickfilms, lediglich der technische Leiter Werner Kruse war vom Fach. Neumann machte sich keine Illusionen über die Schwierigkeiten seiner Aufgabe. In einem Rapport schrieb er:
Bereits das erste Projekt der Firma, die Verfilmung der «Biene Maja» von Waldemar Bonsel, scheiterte. Es gelang zwar, die Option auf die Filmrechte zu sichern, doch der Film konnte nicht umgesetzt werden. Ebenso kam das Vorhaben, einen Trickfilm über den Berggeist Rübezahl zu produzieren, nicht über das Anfangsstadium hinaus. Das von der Tobis übernommene Projekt wurde eingestellt. Chefdramaturg Leberecht entschied sich deshalb für «Die Geschichte vom kleinen Kanarienhahn, der in die Freiheit flog».
Fünf Arbeitsgruppen unter der Regie von Gerhard Fieber produzierten diesen Film, wobei schamlos Szenen und Einstellungen aus dem Disney-Film «Schneewittchen und die sieben Zwerge» übernommen wurden. Nach zwei Jahren war der 17-minütige Zeichentrickfilm fertig. Der nunmehr «Armer Hansi» betitelte Film wurde im November 1943 bei der «Reichswoche für den deutschen Kulturfilm» in München vorgestellt. Im Jahr darauf wurde er als Vorfilm der Komödie «Die Feuerzangenbowle» gezeigt.
Hansi ist ein Kanarienvogel, der aus seinem Käfig in die Freiheit entkommt, dann aber merkt, dass diese gefährlich ist. Auch die aufgetakelte Schwalben-Dame, in die er sich verguckt, hat bereits einen Partner. Am Ende kehrt er reumütig in die Geborgenheit seines Käfigs zurück, wo er eine bescheidene Kanarienvogel-Frau vorfindet – eine Partnerin, die seiner eigenen Spezies angehört ...
An dem Film wirkten die Zeichner Manfred Schmidt und Erich Ohser mit. Ohser war der Schöpfer der Vater-und-Sohn-Comics, er wurde 1944 wegen nazifeindlicher Äusserungen denunziert und beging in der Haft Suizid. Mehr Glück hatte Schmidt, der später als Erfinder der Comic-Figur Nick Knatterton bekannt wurde. Die Filmmusik komponierte Oskar Sala. Auch er wurde nach dem Krieg berühmt – mit der Filmmusik zu Alfred Hitchcocks Klassiker «Die Vögel» (1963).
«Armer Hansi» war inhaltlich eher schlicht und konnte nicht mit den Disney-Produktionen mithalten. Goebbels notierte in seinem Tagebuch: «Der erste Zeichenfilm … zeigt zwar noch sehr viele Schwächen, aber er stellt doch einen guten Anfang dar.» Der Filmwissenschaftler Giesen sieht den Grund für die inhaltliche Schwäche darin, dass es keine künstlerische Freiheit gegeben habe. Zudem habe der vorgeschriebene Fünf-Jahres-Plan dazu geführt, dass man sich verzettelte. Hinzu kam, dass die Produktion wegen kriegsbedingter Schwierigkeiten zum Teil von Berlin nach München und Wien verlegt werden musste.
Auch der vormalige Leiter der «Kriegswochenschau», Heinrich Roellenbleg, fand 1944 deutliche Worte zur Qualität des von der Deutschen Zeichenfilm GmbH hergestellten Films:
Die Bilanz der Firma war insgesamt desaströs: Sämtliche Film-Projekte ausser dem fertiggestellten Kurzfilm «Armer Hansi» wurden abgebrochen, einige kamen nicht über die Anfangsphase hinaus. Trotz enormer personeller und finanzieller Investitionen liess sich Goebbels' Vorgabe, einen abendfüllenden Zeichenfilm zu realisieren, nicht erfüllen.
Goebbels, der ursprünglich 50 Filme pro Jahr produzieren lassen wollte, förderte angesichts dieses Versagens die Konkurrenz. Besonders das kleine Studio von Hans Fischerkoesen – der oft der «deutsche Walt Disney» genannt wurde – erwies sich als höchst produktiv. Fischerkoesen zeichnete von 1942 bis 1944 nicht weniger als drei Kurzfilme: «Verwitterte Melodie» (1942/43), «Der Schneemann» (1944) und «Das dumme Gänslein» (1944).
Weitere Kurzfilme wurden im deutsch besetzten Ausland produziert. Die Zeichenfilmabteilung der Prag-Film AG stellte in Prag unter anderem den Film «Hochzeit im Korallenmeer» her; in den Niederlanden entstand 1943 eine Adaption des antisemitisch aufgeladenen Buchs «Van den vos Reynaerde», das 1941 von Robert van Genechten, einem Mitglied der niederländischen Nazi-Partei NSB, veröffentlicht worden war. Dieses Werk beruhte wiederum auf dem gleichnamigen mittelalterlichen Tierepos.
In den deutschen Zeichentrickfilmen tritt die Nazi-Ideologie nicht deutlich zutage, wie der Filmwissenschaftler Giesen erläutert. Giesen urteilt:
Tatsächlich findet sich nichts, was sich auch nur annähernd mit den Disney-Propagandafilmen wie «Der Fuehrer's Face» oder «Education for Death» (beide 1943) vergleichen liesse.
Von deutlich minderer Qualität ist der schwarz-weisse Zeichentrickfilm «Nimbus Libéré», der 1944 im besetzten Vichy-Frankreich herauskam. Der Propagandafilm des Regisseurs Raymond Jeannin operiert im Gegensatz zu den in Deutschland produzierten Trickfilmen mit einer explizit antisemitischen Bildsprache. Der kurze Film zeichnet amerikanische Comicfiguren wie Micky Maus, Donald Duck, Goofy oder Popeye als Bomberpiloten, die Frankreich bombardieren und dabei unschuldige Zivilisten töten.
Nach der Invasion in der Normandie im Juni 1944, als die Kriegslage immer verzweifelter wurde, fuhr das Propagandaministerium die Zeichentrickproduktion im «Dritten Reich» herunter. Am 29. Juli stellte die Deutsche Zeichenfilm GmbH die Arbeit ein; die Arbeitskräfte wurden in den Rüstungsbetrieben eingesetzt, die Räumlichkeiten für die Waffenherstellung genutzt. Der Traum vom deutschen Disney-Film war ausgeträumt.
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