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Die Heitersberglinie: Kurze Strecke, grosse Wirkung

Der Swiss Express überquert die Reussbrücke auf der Heitersberglinie.
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Der Swiss Express überquert die Reussbrücke auf der Heitersberglinie.Bild: SBB Historic

Die Heitersberglinie: Kurze Strecke, grosse Wirkung

1975 nahmen die SBB nach langer Zeit wieder eine Neubaustrecke in Betrieb: Die nur knapp acht Kilometer lange Heitersberglinie zwischen dem Limmattal und Lenzburg. Zum Hingucker auf dieser Strecke wurde der neue Städteschnellzug Swiss Express.
01.06.2025, 21:5601.06.2025, 21:56
Marc Ribeli / Schweizerisches Nationalmuseum
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Es war ein ungewöhnlicher Ort für eine festliche Eröffnungsrede. Das Rednerpult am Geländer einer Eisenbahnbrücke montiert, die wiederum von einer weiteren Eisenbahnbrücke überspannt wurde. In dieser von Beton geprägten Umgebung wurde am 1. Juni 1975 die neue Heitersberglinie eröffnet.

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Der Ort war aber durchaus passend gewählt. Eines der wichtigsten Ziele der SBB in dieser Zeit war die sogenannte Entflechtung: Bahnlinien sollten gänzlich kreuzungsfrei gestaltet werden, vor allem Hauptverkehrsströme im Mittelland. Am Brückenbauwerk Erlimoos, zwischen Othmarsingen und Lenzburg wurde diese Philosophie augenfällig: Zwei Bahnlinien und eine Kantonsstrasse kreuzen sich im gleichen Schnittpunkt auf drei Etagen. Das Bauwerk symbolisierte grosszügige und grossräumige Lösungen im dicht verflochtenen Eisenbahnnetz. Entflechten, modernisieren, beschleunigen. Die SBB wollten sich als moderne, zweckmässige und zukunftsgerichtete Unternehmung zeigen.

Kreuzungsfrei auf drei Etagen: Brückenbauwerk Erlimoos östlich von Lenzburg.
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Kreuzungsfrei auf drei Etagen: Brückenbauwerk Erlimoos östlich von Lenzburg.Bild: SBB Historic

Diesen Zukunftsglauben betonte auch Bundesrat Willi Ritschard in seiner Festrede: «Die SBB sind in den letzten Jahrzehnten eine zukunftsfreudige Unternehmung gewesen. Der Heitersberg ist einer von vielen anderen Beweisen dafür. Dieser Glaube an die Zukunft wird recht bekommen». Auch die Ingenieure der SBB schlugen in die gleiche Kerbe: «Die Baufachleute der SBB sind in eine herrliche Zeit hineingeboren worden: in eine Zeit der steten Entwicklung und des grosszügigen Ausbaues unserer Anlagen», kommentierte ein Ingenieur die Eröffnung.

Er umschrieb damit ein neues Selbstbewusstsein. Die Eröffnung einer neuen Bahnstrecke war ein Ereignis, das es bei den SBB seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hatte. Sie fiel in eine Zeit, in der der Autobahnbau boomte und die Bahn abgehängt zu werden drohte. Die neu eröffnete Strecke sollte mithelfen, die Bahn gegenüber dem Strassenverkehr wieder attraktiver zu machen.

Bundesrat Willi Ritschard gab die Heitersberglinie am 1. Juni 1975 offiziell frei.
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Bundesrat Willi Ritschard gab die Heitersberglinie am 1. Juni 1975 offiziell frei.Bild: SBB Historic

Vom Bau der Linie profitierten sowohl der Personen- wie der Güterverkehr. Für den Personenverkehr bildete die neue Linie eine schnelle Abkürzung auf der Mittellandachse. Die Strecke Zürich–Bern wurde durch den Neubau einerseits verkürzt, andererseits konnten auf der Linie Höchstgeschwindigkeiten von 130–140 km/h gefahren werden. Auf der alten Strecke über Baden waren nur 95–110 km/h möglich. Schnellzüge auf der Ost-West-Achse, die nicht in Baden oder Brugg hielten, konnten also fortan mit einer Zeitersparnis von acht Minuten über die Neubaustrecke fahren.

Die Heitersberglinie führt von Lenzburg nach Killwangen-Spreitenbach. Karte von 1975.
Die Heitersberglinie führt von Lenzburg nach Killwangen-Spreitenbach. Karte von 1975.Karte: SBB Historic

Ebenso wichtig war die Strecke für den Güterverkehr. Die Idee einer Linie durch den Heitersberg hing mit der Erweiterung der Bahnanlagen im Raum Zürich zusammen. Bereits Ende der 1940er-Jahre entstanden erste Pläne zur Auslagerung des Rangierbahnhofs Zürich nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus dem Kanton in die Aargauer Gemeinde Spreitenbach. Durch die Verlegung des Rangierbahnhofs ins Limmattal konnten viele Güterzüge von der Stadt Zürich ferngehalten werden. Die neue Heitersberglinie diente wiederum dem Güterverkehr als Abflussstrecke Richtung Süden (Gotthard), Westen (Olten) und Norden (Basel).

Bau des östlichen Heitersbergtunnels in offener Bauweise.
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Bau des östlichen Heitersbergtunnels in offener Bauweise.Bild: SBB Historic
Für die neue Linie wurde das alte Trasse der Nationalbahn von 1877 überbaut.
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Für die neue Linie wurde das alte Trasse der Nationalbahn von 1877 überbaut.Bild: SBB Historic

War die neue Linie mit einer Distanz von 7,9 Kilometern eher bescheiden, konnte sie doch einige interessante Bauwerke vorweisen. Der Heitersbergtunnel war mit 4,92 Kilometern Länge ihr Kernstück. Beim sowohl in offener wie in bergmännischer Bauweise erbauten Tunnel kam in der Schweiz erstmals eine in Seattle produzierte Tunnelfräsmaschine zum Einsatz. Dieses «Ungetüm» war 15,5 Meter lang und wog 300 Tonnen. Die Gleise im Tunnel wurden schotterlos gebaut, was den Bauleuten auch Erfahrungen im Hinblick auf den Bau sehr langer Alpentunnel ermöglichen sollte. Ein anderes bedeutendes Bauwerk auf der Strecke war die Reussbrücke bei Mellingen. Unter Verwendung der alten Brückenpfeiler wurde diese bei laufendem Betrieb auf Doppelspur erweitert.

Der Abschnitt von der Reussbrücke bis Lenzburg entstand zu grossen Teilen auf dem alten Trasse der ehemaligen Nationalbahn von 1877. Beim Umbau zur modernen Schnellzugslinie wurde das vorhandene Trasse auf Doppelspur erweitert und gestreckt. Grosszügig erweitert wurden auch die Bahnhofsanlagen in Spreitenbach, Mägenwil, Othmarsingen und Lenzburg. Sie erhielten moderne Sicherungsanlagen und längere Überholgleise.

Beim Bau des Heitersbergtunnels konnten wertvolle Erfahrungen für die späteren Arbeiten an langen Tunnel durch die Alpen gesammelt werden.
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Beim Bau des Heitersbergtunnels konnten wertvolle Erfahrungen für die späteren Arbeiten an langen Tunnel durch die Alpen gesammelt werden.Bild: SBB Historic
Durchstich im Heitersbergtunnel, Oktober 1972.
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Durchstich im Heitersbergtunnel, Oktober 1972.Bild: e-pics

Mit der Linieneröffnung verknüpft war auch die Inbetriebnahme neuer Züge. Zum Hingucker avancierte vor allem ein neuer Städteschnellzug, für den der Volksmund bald die Bezeichnung Swiss Express einführte. Augenfällig war die bunte Farbgebung, die bewusst einen neuen Akzent setzte: Die orange-steingrau gestrichenen Loks und Wagen belebten das Bild der bisher grünen Schnellzüge.

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Die Städteschnellzüge sollten zwischen Genf und der Ostschweiz verkehren und dabei auch den Heitersberg durchfahren. Jeder der insgesamt vier Züge bestand aus 14 klimatisierten Wagen. Während ihrer Aufenthaltszeit in den Bahnhöfen wurde ab Tonband Musik abgespielt. Eine Neuerung, die bei den Reisenden unterschiedlich gut ankam.

Der Swiss Express schafft die Strecke Zürich–Bern in 83 Minuten.
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Der Swiss Express schafft die Strecke Zürich–Bern in 83 Minuten.Bild: SBB Historic

In einer Zeit, in der das Wachstum des öffentlichen Verkehrs weit hinter demjenigen des privaten Strassenverkehrs zurückblieb, unternahmen die SBB einige Versuche, um den öffentlichen Verkehr aufzuwerten: eine neue Schnellstrecke, neue klimatisierte Städteschnellzüge in neuen Farben und Musik während den Zwischenhalten in den Bahnhöfen ... Viele dieser Neuerungen hatten eine direkte Verbindung mit der neuen Heitersberglinie – einer kurzen Strecke mit grosser Wirkung.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Kurze Strecke, grosse Wirkung» erschien am 27. Mai und wurde am 28. Mai aktualisiert.
blog.nationalmuseum.ch/2025/05/heitersberglinie-kurze-strecke-grosse-wirkung
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15 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Cosmopolitikus
01.06.2025 22:12registriert August 2018
Hach, das waren noch Zeiten.
Gerne hätte ich den Swiss Express für meine Märklin-Anlage gekauft. Der war aber damals schon sooo teuer…
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Calvin Whatison
01.06.2025 22:47registriert Juli 2015
Man nannte diese Züge liebevoll Cremeschnitte wegen ihres schönen Farbanstrichs. Hach, war das ein toller Zug. 😍
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