Es war ein ungewöhnlicher Ort für eine festliche Eröffnungsrede. Das Rednerpult am Geländer einer Eisenbahnbrücke montiert, die wiederum von einer weiteren Eisenbahnbrücke überspannt wurde. In dieser von Beton geprägten Umgebung wurde am 1. Juni 1975 die neue Heitersberglinie eröffnet.
Der Ort war aber durchaus passend gewählt. Eines der wichtigsten Ziele der SBB in dieser Zeit war die sogenannte Entflechtung: Bahnlinien sollten gänzlich kreuzungsfrei gestaltet werden, vor allem Hauptverkehrsströme im Mittelland. Am Brückenbauwerk Erlimoos, zwischen Othmarsingen und Lenzburg wurde diese Philosophie augenfällig: Zwei Bahnlinien und eine Kantonsstrasse kreuzen sich im gleichen Schnittpunkt auf drei Etagen. Das Bauwerk symbolisierte grosszügige und grossräumige Lösungen im dicht verflochtenen Eisenbahnnetz. Entflechten, modernisieren, beschleunigen. Die SBB wollten sich als moderne, zweckmässige und zukunftsgerichtete Unternehmung zeigen.
Diesen Zukunftsglauben betonte auch Bundesrat Willi Ritschard in seiner Festrede: «Die SBB sind in den letzten Jahrzehnten eine zukunftsfreudige Unternehmung gewesen. Der Heitersberg ist einer von vielen anderen Beweisen dafür. Dieser Glaube an die Zukunft wird recht bekommen». Auch die Ingenieure der SBB schlugen in die gleiche Kerbe: «Die Baufachleute der SBB sind in eine herrliche Zeit hineingeboren worden: in eine Zeit der steten Entwicklung und des grosszügigen Ausbaues unserer Anlagen», kommentierte ein Ingenieur die Eröffnung.
Er umschrieb damit ein neues Selbstbewusstsein. Die Eröffnung einer neuen Bahnstrecke war ein Ereignis, das es bei den SBB seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hatte. Sie fiel in eine Zeit, in der der Autobahnbau boomte und die Bahn abgehängt zu werden drohte. Die neu eröffnete Strecke sollte mithelfen, die Bahn gegenüber dem Strassenverkehr wieder attraktiver zu machen.
Vom Bau der Linie profitierten sowohl der Personen- wie der Güterverkehr. Für den Personenverkehr bildete die neue Linie eine schnelle Abkürzung auf der Mittellandachse. Die Strecke Zürich–Bern wurde durch den Neubau einerseits verkürzt, andererseits konnten auf der Linie Höchstgeschwindigkeiten von 130–140 km/h gefahren werden. Auf der alten Strecke über Baden waren nur 95–110 km/h möglich. Schnellzüge auf der Ost-West-Achse, die nicht in Baden oder Brugg hielten, konnten also fortan mit einer Zeitersparnis von acht Minuten über die Neubaustrecke fahren.
Ebenso wichtig war die Strecke für den Güterverkehr. Die Idee einer Linie durch den Heitersberg hing mit der Erweiterung der Bahnanlagen im Raum Zürich zusammen. Bereits Ende der 1940er-Jahre entstanden erste Pläne zur Auslagerung des Rangierbahnhofs Zürich nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus dem Kanton in die Aargauer Gemeinde Spreitenbach. Durch die Verlegung des Rangierbahnhofs ins Limmattal konnten viele Güterzüge von der Stadt Zürich ferngehalten werden. Die neue Heitersberglinie diente wiederum dem Güterverkehr als Abflussstrecke Richtung Süden (Gotthard), Westen (Olten) und Norden (Basel).
War die neue Linie mit einer Distanz von 7,9 Kilometern eher bescheiden, konnte sie doch einige interessante Bauwerke vorweisen. Der Heitersbergtunnel war mit 4,92 Kilometern Länge ihr Kernstück. Beim sowohl in offener wie in bergmännischer Bauweise erbauten Tunnel kam in der Schweiz erstmals eine in Seattle produzierte Tunnelfräsmaschine zum Einsatz. Dieses «Ungetüm» war 15,5 Meter lang und wog 300 Tonnen. Die Gleise im Tunnel wurden schotterlos gebaut, was den Bauleuten auch Erfahrungen im Hinblick auf den Bau sehr langer Alpentunnel ermöglichen sollte. Ein anderes bedeutendes Bauwerk auf der Strecke war die Reussbrücke bei Mellingen. Unter Verwendung der alten Brückenpfeiler wurde diese bei laufendem Betrieb auf Doppelspur erweitert.
Der Abschnitt von der Reussbrücke bis Lenzburg entstand zu grossen Teilen auf dem alten Trasse der ehemaligen Nationalbahn von 1877. Beim Umbau zur modernen Schnellzugslinie wurde das vorhandene Trasse auf Doppelspur erweitert und gestreckt. Grosszügig erweitert wurden auch die Bahnhofsanlagen in Spreitenbach, Mägenwil, Othmarsingen und Lenzburg. Sie erhielten moderne Sicherungsanlagen und längere Überholgleise.
Mit der Linieneröffnung verknüpft war auch die Inbetriebnahme neuer Züge. Zum Hingucker avancierte vor allem ein neuer Städteschnellzug, für den der Volksmund bald die Bezeichnung Swiss Express einführte. Augenfällig war die bunte Farbgebung, die bewusst einen neuen Akzent setzte: Die orange-steingrau gestrichenen Loks und Wagen belebten das Bild der bisher grünen Schnellzüge.
Die Städteschnellzüge sollten zwischen Genf und der Ostschweiz verkehren und dabei auch den Heitersberg durchfahren. Jeder der insgesamt vier Züge bestand aus 14 klimatisierten Wagen. Während ihrer Aufenthaltszeit in den Bahnhöfen wurde ab Tonband Musik abgespielt. Eine Neuerung, die bei den Reisenden unterschiedlich gut ankam.
In einer Zeit, in der das Wachstum des öffentlichen Verkehrs weit hinter demjenigen des privaten Strassenverkehrs zurückblieb, unternahmen die SBB einige Versuche, um den öffentlichen Verkehr aufzuwerten: eine neue Schnellstrecke, neue klimatisierte Städteschnellzüge in neuen Farben und Musik während den Zwischenhalten in den Bahnhöfen ... Viele dieser Neuerungen hatten eine direkte Verbindung mit der neuen Heitersberglinie – einer kurzen Strecke mit grosser Wirkung.
Gerne hätte ich den Swiss Express für meine Märklin-Anlage gekauft. Der war aber damals schon sooo teuer…