Zwei Bilder der Serie «Schweizer Geschichte in Farbe» wurden watson von der Fotostiftung Schweiz grosszügig zur Verfügung gestellt – unter der Bedingung, das Resultat vor der Publikation anschauen und sich dazu äussern zu können. Im Interview legt Direktor Peter Pfrunder den Finger auf die problematischen Aspekte kolorierter Aufnahmen – und gesteht, dass sie auch ihn zum Hinsehen verführen.
Herr Pfrunder, Sie stehen dem Kolorieren kritisch gegenüber. Warum?
Peter Pfrunder: Mir missfällt die implizite Auffassung, dass Schwarzweissbilder einen Mangel haben, der durch Einfärbung wettgemacht werden muss. So ungefähr: Nur ein farbiges Bild ist ein richtiges Bild.
Ist es denn nicht so?
Ich finde diese Haltung grundsätzlich falsch. Historische Schwarzweiss-Fotografien sind nicht mangelhaft, sondern Ausdruck der Zeit, in denen sie entstanden. Die Fotografen damals wussten ganz genau, was sie machen.
Sie hatten allerdings auch keine Wahl. Sie mussten schwarzweiss fotografieren.
Das ist richtig, aber sie holten sehr viel aus den technischen Möglichkeiten heraus. Fotografen wie Henri Cartier-Bresson legten ihre Kompositionen auf Hell-Dunkel-Werte an und nutzten das gesamte Grautonspektrum. Diese Bilder nachträglich zu «korrigieren» ist hochproblematisch, denn einige bewusst gewählte Gestaltungselemente werden dadurch zerstört.
Unser Kolorierer Dana Keller wäscht seine Hände in Unschuld. Er rechtfertigt seine Arbeit so:
Peter Pfrunder: Dieser Effekt ist unbestritten. Ich gestehe, diese Bilder haben einen gewissen Reiz. Ich sehe gerne hin und auch bei mir stellt sich das Gefühl ein, eine Aufnahme habe plötzlich mehr mit meiner eigenen Welt zu tun.
Wie kommt es zu diesem verblüffenden Effekt? Dass die Welt nie schwarzweiss war, dürfte allen klar sein.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass Bilder aus gewissen Epochen schwarzweiss sind. Wenn einmal eine Farbaufnahme darunter ist, erschrecken wir. Kürzlich ist mir das mit einem Bild in der «NZZ» passiert. Es stammt aus dem Jahr 1950 und zeigt einen Bub, wie er eine Schweizer Fahne auf einen Baum pflanzt. Das Setting, die Kleidung, alles deutet auf eine Schwarzweiss-Aufnahme hin, doch sie ist farbig. Nicht koloriert, der Fotograf nahm in Farbe auf.
Was genau löste der Anblick in Ihnen aus?
Es passierte etwas in der Vorstellung. Ich vergegenwärtigte mir, dass auch diese Leute farbige Kleider trugen. Das ist ein Mehrwert kolorierter Aufnahmen: Man hinterfragt festgefahrene Bilder aus der Geschichte. Gegen solche historischen Experimente ist nichts einzuwenden. Problematisch finde ich, wenn Medien kolorieren, weil sie glauben, ihre Leser verlangen das.
So etwas kommt vor?
Ich erinnere mich an ein Bild im «Tages-Anzeiger» über ein Gespräch zwischen Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt im Restaurant Kronenhalle. Es handelt sich um eine bekannte Schwarzweiss-Aufnahme des Schweizer Fotografen Jack Metzger, doch die Bildredaktion kam offenbar zum Schluss, auf der Titelseite sei das nicht mehr vertretbar. Das Interesse war nicht, möglichst nah an eine historische Realität heranzukommen, sondern eine Konsumierbarkeit zu erzeugen, die heutigen Sehgewohnheiten entspricht.
Woher rühren die ewigen Diskussionen um das Verhältnis zwischen Fotografie und Wirklichkeit?
Es ist typisch für die Fotografie, dass sofort nach dem «Realitätsgrad» gefragt wird. Niemand tut das bei einer Zeichnung oder versucht, sie nachträglich durch Farben «realistischer» zu machen. Bei einer Zeichnung ist sofort klar, dass es sich um eine Interpretation des Autors handelt. Bei einer Fotografie hingegen wird das Medium ausgeblendet. Die Leute sehen durch sie hindurch auf eine imaginäre Wirklichkeit und vergessen dabei, dass auch sie Medium und Interpretation ist. Eine Fotografie ist die Sicht eines Menschen auf die Wirklichkeit, nicht ein Dokument der Wirklichkeit per se.