Immer, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg gegen die Schweiz entscheidet, gibt es hierzulande emotionale Reaktionen. So geschehen im April 2013, als das Gericht die Ausschaffung eines nigerianischen Drogendealers verhinderte und die Schweiz zur Zahlung einer Genugtuung von 9000 Euro verdonnerte. Als Vater von zwei Kindern, die in der Schweiz lebten, sei das Recht auf ein Familienleben (Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK) höher zu gewichten als die Sicherheitsinteressen der Schweiz, hielt das Gericht fest.
SVP-Politiker wie Adrian Amstutz oder Toni Brunner forderten die Kündigung der EMRK. Und selbst gemässigte Politiker wie CVP-Präsident Christophe Darbellay gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, solche Entscheide mögen sich ja nicht wiederholen.
So unverständlich ein einzelner Entscheid auch sein mag: In der Regel stellen sich die Strassburger Richter, sobald es um die Ausschaffung krimineller Ausländer geht, hinter die Schweizer Behörden. Dies zeigt eine Auswertung sämtlicher Fälle, die seit 2010 in Strassburg verhandelt wurden.
Insgesamt nahm sich das Gericht in dieser Zeitspanne 13 Mal Schweizer Ausschaffungsfällen an. Es stellte sich dabei neun Mal hinter die Schweizer Behörden, zuletzt zweimal im vergangenen Jahr. Sowohl ein albanischer Drogendealer als auch ein türkischer Wiederholungstäter, der unter Schizophrenie leidet, hatten mit ihren Klagen gegen die Schweiz keinen Erfolg.
Die SVP lässt sich freilich von solchen Zahlen nicht irritieren. Mit der Durchsetzungs-Initiative, die am 28. Februar zur Abstimmung gelangt, soll vorerst für die Randgruppe der kriminellen Ausländer das Völkerrecht weitgehend abgeschafft und der Einfluss eines ausländischen Gerichts eliminiert werden. «Wegen der ausufernden Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in immer mehr Bereichen passen auch die Schweizer Gerichte und Behörden ihre Praxis an und stellen zunehmend nicht zwingendes internationales Recht über demokratisch zustande gekommenes Schweizer Recht», sagt SVP-Generalsekretär Martin Baltisser. Mit der Durchsetzungs-Initiative soll hier Gegensteuer gegeben werden.
Die Abstimmung von Ende Februar ist indes nur ein Aufgalopp. Mit der bereits lancierten Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» sollen in einem zweiten Schritt Völkerrecht und internationale Gerichte generell infrage gestellt werden – nicht nur für kriminelle Ausländer. Baltisser: «Die SVP wehrt sich dagegen, dass die rechtliche Selbstbestimmung des Souveräns und des Parlaments immer mehr durch fremde Richter und internationale Organisationen ausgehebelt wird.»
Dass Parlament und Souverän «ausgehebelt» werden, wie dies die SVP behauptet, lässt sich freilich nicht mit Fakten belegen. Im Gegenteil. Seit der Ratifikation der EMRK durch die Eidgenossenschaft im Jahr 1974 sind laut einem Bericht des Bundesrats knapp 6000 Beschwerden in Strassburg gegen die Schweiz eingegangen. Nur ein kleiner Teil davon, 3 Prozent aller Fälle, wurden vom Gerichtshof überhaupt für zulässig erklärt.
In 93 der für zulässig erklärten Beschwerden wurden eine oder mehrere Verletzungen festgestellt; das entspricht einem Verhältnis von knapp 1,6 Prozent aller registrierten Beschwerden. Mit anderen Worten: Von 100 Beschwerden gegen die Schweiz sind nur 1,6 erfolgreich. Der Bundesrat hält deshalb in seinem Bericht vom November 2014 fest: «Der gelegentlich erweckte Eindruck, Verurteilungen der Schweiz seien sehr häufig, hat keine objektive Grundlage.»
Dennoch schätzt der Bundesrat den Einfluss des Gerichts auf die Schweizer Gesetzgebung als hoch ein: In einer Antwort auf eine parlamentarische Interpellation schreibt die Regierung, «dass die Konvention und die Rechtsprechung des Gerichtshofs den Schweizer Rechtsstaat und den Schutz der Individualrechte und Grundfreiheiten der Menschen in der Schweiz gestärkt haben.»
Und einmal mehr, bestätigt sich dass die SVP mit Kanonen auf Spatzen schiesst. Anders kann man die 1.6% nicht erklären... Ich hoffe sehr, dass die rechtsextremen Kräfte im Land mit ihrer DSI und dem nachfolge Vehikel vom Souverän abgeschmettert werden.