Herr Jeker, die Justiz hielt Ihren Mandanten Marco Meier* über dreieinhalb Jahre lang wegen eines Bagatelldelikts in der kleinen Verwahrung fest. Wie kann das passieren?
Konrad Jeker: Eines vorneweg: Ich habe schon viele Mandanten mit sogenannter kleiner Verwahrung betreut, aber einen so krassen Fall wie der von Marco Meier, der wegen einer dermassen geringfügigen Tat so lange weggesperrt wurde, hatte ich noch nie angetroffen. Es handelt sich um eine Fehlleistung der Aargauer Justiz, die erst das Bundesgericht korrigieren konnte. Sein Fall dürfte auch Law-and-Order-Hardlinern aufzeigen, dass etwas schief läuft.
Was lief im Fall vom Meier schief?
In Meiers Fall wurde bereits die erste stationäre Massnahme vom Bezirksgericht Bremgarten unrechtmässig angeordnet. Ursprünglich wurde Meier zu einer Geldstrafe verurteilt, die in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt wurde, als er diese nicht bezahlte.
Das heisst, letztlich ist eine Geldstrafe zu einer kleinen Verwahrung geworden?
Ja. Nachdem er die Ersatzfreiheitsstrafe für die nicht bezahlte Geldstrafe abgesessen hatte, hätte er frei gelassen werden müssen. Weil – wie das Bundesgericht jetzt festhielt — eine Ersatzfreiheitsstrafe gar nicht in einer stationären Massnahme weitergeführt werden darf. Dafür müsste er ursprünglich mindestens zu einer unbedingten Haftstrafe verurteilt worden sein. Trotzdem wurde er im Alter von 21 Jahren für mehr als drei Jahre weggesperrt.
Warum waren die Aargauer Gerichte so streng?
Dass dieser Fall im Aargau spielt, ist wahrscheinlich kein Zufall. Die Aargauer Gerichte sind besonders skeptisch, durch emotionale und medial intensiv begleitete Fälle aus der Vergangenheit — wie beispielsweise dem Mord an Lucie durch einen vorbestraften Sexualstraftäter. Niemand will die Verantwortung übernehmen, falls einer der rausgelassen wird, doch mal wieder straffällig würde.
Also sperrt man sie einfach weg?
Wegsperren ist die sicherere Variante für Richter und Gutachter und befriedigt den Ruf nach Sicherheit aus der Bevölkerung. Mir sind mehrere Fälle von Männern bekannt, die in stationären Massnahmen – sprich in der kleinen Verwahrung – verharren und trotz jahrelanger Therapie praktisch keine Chance auf Entlassung haben.
Wo liegt der Ursprung des Problems?
Die Justiz trägt dem gesellschaftlichen Sicherheitsbedürfnis, das von vielen Politikern systematisch bewirtschaftet wird, Rechnung. Wenn ein Strafverfahren heute zu einer Verurteilung des Beschuldigten führt, muss das Gericht oft auch beurteilen, ob neben der Strafe nicht auch noch eine stationäre Massnahme nötig ist. Wenn dieses Gutachten in Auftrag gegeben wird, sind die Betroffenen praktisch schon in der kleinen Verwahrung.
Wie meinen Sie das?
Ich kenne kein einziges psychiatrisches Gutachten, das in so einem Fall keine schwere psychische Störung und keinen Zusammenhang mit der fraglichen Straftat festgestellt hätte. Ohne triftigen Grund dürfen die Richter dann nicht von den Empfehlungen der Gutachter abweichen. Die Leute kommen in therapeutische Massnahmen. Dies wurde auch Meier zum Verhängnis.
Welche Leute sind von dieser neuen Härte der Gutachterjustiz am häufigsten betroffen?
Nach meiner Erfahrung sind es seit geraumer Zeit hauptsächlich junge Männer unter 30, die erstmals in eine kleine Verwahrung reinrutschen. Besonders tragisch ist, dass diese oft mehrere Monate in Untersuchungsgefängnissen auf den Beginn der Therapie und damit das Einsetzen der eigentlichen stationären therapeutischen Massnahme warten müssen. Dieser Zustand ist unhaltbar. Das ist schlicht gestohlene Lebenszeit.
Trauen sie den Gutachtern nicht?
Doch, aber ich glaube dieser Berufsstand ist in letzter Zeit unter so enormen Druck geraten, dass immer öfter die Freiheit einzelner aufs Spiel gesetzt wird. Bis sich ein Gutachter entscheidet, dass ein Straftäter mit an hundert Prozent grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr straffällig wird, vergehen Jahre oder Jahrzehnte — nicht immer zu Recht.
Die Massnahmen werden doch jährlich überprüft.
Ja, jedes Jahr wird die sogenannte kleine Überprüfung durchgeführt. Die läuft aber mehr oder minder so ab, dass dem Betroffenen erklärt wird, wieso es nicht sinnvoll ist, die Therapie vorzeitig abzubrechen. Und weil die Inhaftierten meistens keinen Anwalt beiziehen, fügen sie sich diesem Ratschlag dann auch und haben keine Chance, die stationäre Massnahme zu verlassen.
* Name von der Redaktion geändert
(Ist nicht ganz klar, von wem das ist, Franklin oder Jefferson, trifft es aber trotzdem sehr schön.)