«Das EDA hat es versemmelt. Schon wieder», sagt ein hoher Bundesbeamter.
Bei der Abklärung der Frage, ob Schweizer Spitäler ukrainische Verletzte behandeln dürfen, hat das Aussendepartement falsch gemacht, was man falsch machen kann. Es brütete zu lange über der Frage, ob sich ein Problem mit der Schweizer Neutralität ergeben könnte. Es fehlte an der Entschlossenheit, der Sache schnell auf den Grund zu gehen.
Dann war das Departement nicht vorbereitet für den Fall, dass Journalisten von der abschlägigen Empfehlung Wind bekommen. Das EDA wirkte überrumpelt, als sowohl Politiker als auch Medien fanden, dass der Bund in Anbetracht der Leiden der Ukrainer nicht so hartherzig sein könne. Es dauerte genau drei Tage, bis das Aussendepartement umfiel. Das EDA ist inzwischen geübt in jähen Positionswechseln. In Bundesbern spricht man vom «Pirouetten-Cassis.»
Er hatte den italienischen Pass und gab ihn ab, als das einige Politiker unpassend fanden für einen Bundesrat. Er war Mitglied der Waffenlobby-Organisation Pro-Tell und trat aus, als Kritik daran laut wurde. Der Tabakkonzern Philipp Morris war als Sponsor des Schweizer Pavillons an einer Weltausstellung vorgesehen. Cassis verteidigte das Engagement gegen Bedenken aus verschiedenen politischen Lagern. Bis er einknickte und Philipp Morris auslud.
Spektakulär war dann die Kehrtwende, die Bundespräsident Cassis und die ganze Regierung in der Beurteilung der Frage vollzogen, ob die Schweiz die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland übernehmen soll. Die Atmosphäre in der Landesregierung war Ende Februar noch ein wenig frostiger als sonst; die Unterlagen aus dem Aussen- und dem Wirtschaftsdepartement seien vor der Bundesratssitzung völlig ungenügend gewesen, hiess es von anderen Beteiligten.
Der Bundesrat legte sich auf ein Nein fest und veranstaltete eine Medienkonferenz, die manchen Besuchern vorkam wie die Aufführung eines absurden Theaterstücks von Ionesco. Nach dem Termin schwirrten den Journalisten mehr ungeklärte Fragen im Kopf herum als zuvor.
Im US-Aussendepartement fand man, dass es an der Zeit sei, die Schweizer Kollegen anzurufen. Wenige Tage später schloss sich die Eidgenossenschaft den Sanktionen gegen Russland an.
Unstet wirkt Cassis auch in seiner Haltung zur EU. Zusammen mit Staatssekretär Roberto Balzaretti schien der Aussenminister den Abschluss eines Rahmenabkommens voranzutreiben. Cassis liess Balzaretti dann aber fallen und beantragte der Regierung, die Vertragsverhandlungen abzubrechen. Der Bundesrat war zu einer negativeren Beurteilung des Abkommens gelangt als zuvor. Man hatte nicht den Eindruck, dass Cassis dabei treibende Kraft war. Vielmehr schien er sich den neuen Begebenheiten anzupassen.
Wo liegt das Problem des EDA? Ein Insider meint, es fehle an der politischen Analyse, am Instinkt – und ein paar gute Köpfe täten dem Departement gut.
Das Theater um die Aufnahme ukrainischer Versehrter hätte das Departement leicht verhindern können. Jemand hätte erkennen müssen: Verwundete Soldaten aufzunehmen, ist schwierig in einem neutralen Land. Zivilisten abzuweisen, steht der Schweiz hingegen schlecht an – zumal die Kantone sofort der Aufnahme ukrainischer Patienten zustimmten.
Das EDA hätte auf die ukrainischen Behörden zugehen und diese pragmatische Lösung vorschlagen können. Stattdessen liess es sich auf ein Hickhack mit der Nato ein und mit dem Bundesamt für Gesundheit – und die Fernsehzuschauer sahen, wie Johannes Matyassy gewundene Erklärungen abgab.
Einige fragten sich: Ist das der Matyassy, der als Chef von «Präsenz Schweiz» wolkige Konzepte entwarf? Der die Kantonalberner FDP in eine schlimme Wahlniederlage führte? Der dann eine Laufbahn als Botschafter einschlug, die nach einem turbulenten Aufenthalt in Buenos Aires ein frühes Ende fand? Wie zwingend ist es, dass Cassis diesen Matyassy zum stellvertretenden Staatssekretär ernannt hat?
Eine starke Figur im Departement ist Generalsekretär Markus Seiler. Er mischt in vielen Belangen mit, aber er fällt nicht als Stratege auf. Wären die politischen Geschäfte im EDA gründlicher vorbereitet – man müsste nicht ständig umfallen. Das Departement könnte Kritikern selbstbewusst entgegentreten; es wäre nicht sofort besorgt, wenn jemand seinen Widerspruch anmeldet.
Im Departement beobachten einige, wie sich die Beziehung zwischen Ignazio Cassis und Markus Seiler abkühlt. Dass gegen den Generalsekretär wie auch den Medienchef des EDA ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf Amtsgeheimnisverletzung läuft, trägt nicht zur Vertrauensbildung bei.
Als distanziert gilt auch die Beziehung zwischen Cassis und Thierry Burkart. Der FDP-Präsident erklärte diese Woche dem «Tages-Anzeiger», dass er anders als das EDA für die Aufnahme ukrainischer Verwundeter sei. Es kommt nicht so oft vor, dass ein Parteipräsident öffentlich Distanz zu einem Bundesrat der eigenen Partei markiert.
Thierry Burkarts Intervention löste im Departement Unruhe aus. Sie beschleunigte die Kehrtwende. Es wird nicht die letzte gewesen sein. (aargauerzeitung.ch)
Im Gegensatz zu seiner Parteikollegin, kann man ihm kaum bösen Willen unterstellen, man kann ihn höchstens wegen fehlendem Rückgrat bemitleiden.