Unter psychischen Erkrankungen leiden weltweit nahezu eine Milliarde Menschen, sie sind auch einer der Hauptgründe für Suizid. In der Schweiz leiden schätzungsweise 1.4 Millionen Menschen unter psychischen Problemen und etwa 1000 Menschen nehmen sich jedes Jahr das Leben.
Mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder einer generellen Beeinträchtigung des Wohlbefindens konnten Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung oder Lärm bereits in Verbindung gebracht werden. Nun haben Forscherinnen und Forscher des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) den Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und Suiziden in der Schweiz untersucht und ihre Studie dazu in der Fachzeitschrift «Environmental Health Perspectives» veröffentlicht.
Die Daten von 5.1 Millionen Erwachsenen im Zeitraum zwischen 2001 und 2015 zeigen, dass die Verkehrslärmbelastung am Wohnort zu einem höheren Suizidrisiko führte. Jeder Anstieg des durchschnittlichen Strassenverkehrslärms zu Hause um 10 Dezibel (dB) erhöht das Suizidrisiko um 4 Prozent. 10 dB Unterschied sind zum Beispiel die Differenz zwischen einem normalen Gespräch und einem Staubsauger in einem Meter Entfernung.
«Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Risiko ab 50 Dezibel bei allen Verkehrsquellen kontinuierlich ansteigt», sagt Swiss TPH-Forscher Martin Röösli auf die Frage, ab wie viel Lärm die Belastung gefährlich wird. Diese 50 dB sind ein Mischwert zwischen Tages- und Nachtlärm und entsprechen einem Durchschnittslärm von knapp 50 dB am Tag und 40 dB in der Nacht. In der Nacht sind wir empfindlicher auf Lärm.
Eine bestimmte Schwelle, bei der Lärm nicht nur psychische Folgen hat, sondern sogar ein akutes Suizidrisiko auslöst, gebe es nicht, sagt Röösli. «Wir sehen eine kontinuierliche Zunahme des Risikos.» Das bedeutet, dass individuelle Risikofaktoren entscheidend sind. Hat jemand schon viele psychische Belastungsfaktoren, ist das Suizidrisiko grundsätzlich hoch und kann mit Lärm kritisch werden. «Wenn jemand wenig psychische Belastungen hat, dann ist das absolute Zusatzrisiko durch eine kleine Risikozunahme dagegen sehr gering und die Wahrscheinlichkeit, dass es kritisch wird, ist entsprechend klein», sagt Röösli. Schlussendlich sei das Hauptproblem, dass Verkehrslärm sehr viele Leute betreffe und daher aus Public-Health-Sicht auch kleine Zusatzrisiken insgesamt bedeutend seien.
Auch ein Zusammenhang mit Bahnlärm konnte beobachtet werden, allerdings weniger stark ausgeprägt. Die Studienergebnisse erwiesen sich auch nach Berücksichtigung weiterer Faktoren wie Luftverschmutzung, Begrünungsgrad im unmittelbaren Wohnumfeld und verschiedenen sozio-ökonomischen Daten als solide.
Geschädigt wird die Psyche, weil der Lärm zu Schlafstörungen, einer gesteigerten Stresshormonausschüttung, Veränderungen der Hirnfunktion oder auch zu einem Gefühl von Kontrollverlust führt. «Unser Gehirn registriert Lärm als Zeichen einer potenziellen Bedrohung und aktiviert die Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Ständiger Verkehrslärm zu Hause kann dazu führen, dass man unruhig wird und den Stress nicht mehr bewältigen kann», sagt Autorin Danielle Vienneau.
Die Studie zeige, dass sich Lärmschutzmassnahmen wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, leichtere Fahrzeuge sowie lärmarme Strassenbeläge und Reifen lohnten, um unser körperliches und geistiges Wohlbefinden zu schützen, sagt Martin Röösli vom Swiss TPH. Auswirkungen von Verkehrslärm, Luftverschmutzung und Grünflächen seien in der Stadtplanung und der öffentlichen Gesundheitspolitik zu berücksichtigen.