Schweiz
Religion

Halle und die Folgen für Schweizer Juden

Halle und die Folgen für Schweizer Juden

Der Bund will mit 500'000 Franken Synagogen und Moscheen besser schützen – für den israelitischen Gemeindebund nur ein erster Schritt.
11.10.2019, 09:20
Helena Krauser und Doris Kleck / ch media
Mehr «Schweiz»
ZU SICHERHEITSMASSNAHMEN AN RELIGIOESEN EINRICHTUNGEN STELLEN WIR IHNEN HEUTE, MITTWOCH, 15. FEBRUAR 2017, FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG --- A surveillance camera at the synagogue Agudas Achim ...
Bild: KEYSTONE

Die Basler Synagoge ist umrahmt von Betonpollern. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite steht ein Polizeiwagen. Vor dem Anschlag auf eine Synagoge im deutschen Halle stand er noch nicht dort. Das Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement hat mit einer Erhöhung der Aufmerksamkeit auf den Anschlag in Deutschland reagiert. Das bestätigt der Sicherheitsbeauftragte der Israelitischen Gemeinde Basel.

Genaueres über das erhöhte Sicherheitsdispositiv wollen beide Stellen nicht sagen. Am Donnerstagnachmittag sind die Festlichkeiten rund um Jom Kippur vorbei. Der Rabbi Moshe Baumel kommt auf dem Weg zu seinem Büro mit dem Mitarbeiter vom Sicherheitspersonal ins Gespräch. Er fühle sich grundsätzlich sicher in der Synagoge in Basel, sagt er. Im Gegensatz zu Halle habe man hier auch einen zweiten Ausgang, den man im Notfall benutzen könne. Allerdings habe sich auch die jüdische Gemeinde in Halle vor den Anschlägen sicher gefühlt, weiss Baumel. Der dortige Kantor sei ein guter Freund.

Sicherheitskosten von sieben Millionen Franken pro Jahr

Der Vorfall in Halle wirft auch Fragen zur Sicherheit der Juden in der Schweiz auf. Vor allem , wer die Kosten dafür tragen muss. Es war ein Zufall: Doch just als ein Attentäter versuchte, in der Synagoge in Halle ein Blutbad anzurichten, diskutierte der Bundesrat über die Sicherheit von jüdischen Einrichtungen. Er verabschiedete eine neue Verordnung.

Ab 1. November beteiligt sich der Bund mit 500 000 Franken pro Jahr an den Sicherheitskosten für Minderheiten, die besonders gefährdet sind durch Terrorismus oder Extremismus. Möglich sind Unterstützungen für bauliche, technische und organisatorische Sicherheitsmassnahmen, etwa für Zäune oder Alarmanlagen. Gelder kann es auch geben für die Ausbildung in den Bereichen Risikoerkennung und Bedrohungsabwehr.

Halle: Rechtsextremist wollte Massaker in Synagoge anrichten

1 / 16
Halle: Rechtsextremist wollte Massaker in Synagoge anrichten
In Deutschland hat ein schwerbewaffneter Täter versucht, in einer Synagoge in Halle/Saale ein Blutbad unter rund 80 Gläubigen anzurichten. Ein Augenzeuge hat ihn gefilmt, wie er mit seiner Pistole auf der Strasse auf Menschen schiesst. (Bild: Screenshot)
quelle: screenshot twitter
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Zwar gilt die Verordnung für Minderheiten generell. Im Fokus dürften aber jüdische und muslimische Gemeinschaften stehen, teilt der Bund mit. Ende 2016 lehnte der Bund eine finanzielle Beteiligung an den Sicherheitskosten noch ab. Er machte unter anderem geltend, dass es keine Rechtsgrundlage gebe für den Schutz einer bestimmten religiösen Minderheit. Zwei parlamentarische Vorstösse von Nationalrätin Yvonne Feri (SP/AG) und Ständerat Daniel Jositsch (SP/ZH) führten schliesslich zum Umdenken beim Bund.

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund SIG schätzt, dass die jüdischen Einrichtungen pro Jahr sieben Millionen Franken für die Sicherheit aufwenden. Er begrüsst das Massnahmenpaket, allerdings seien weitere Schritte nötig: «Die Mittel des Bundes bringen eine gewisse Entlastung, aber sie lösen weder das Gefährdungs- noch das Kostenproblem», sagt Herbert Winter, Präsident des SIG. Es sei wichtig, dass die Kantone nachziehen und sich ebenfalls substanziell an den Sicherheitskosten beteiligen.

In Basel ist man schon so weit. Seit diesem Jahr beschäftigt die Polizei acht bewaffnete Sicherheitsassistenten zur Bewachung von jüdischen Einrichtungen. Kostenpunkt: knapp 900 000 Franken. Trotz der neuen Verordnung kann sich der Bund aber nicht an den Kosten des Sicherheitspersonals beteiligen, dafür fehlt die gesetzliche Grundlage. Gerade die Präsenz von Sicherheitsleuten ist aber sehr kostspielig. Auch die Föderation Islamischer Dachorganisation Schweiz (FIDS) begrüsst die neuen Bundesmittel.

Die Basler Synagoge, die Grosse Synagoge, das Versammlungs- und Gotteshaus der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB), fotografiert in Basel am Dienstag, 4. Dezember 2018. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Die Basler SynagogeBild: KEYSTONE

Das Bedürfnis nach mehr Sicherheit sei auch in der muslimischen Gemeinschaft gestiegen, sagt ein Sprecher. Viele Moscheen hätten mit eigenen Mitteln ihr Sicherheitsdispositiv erhöht. Besonders betroffen äusserten sich die in der Schweiz lebenden Holocaust-Überlebenden. Bei der Präsidentin der Gamaraal Foundation zur Unterstützung von Holocaust-Überlebenden, Anita Winter, klingelte das Telefon oft.

Die Anrufer verglichen die aktuelle Situation mit den schrecklichen Erfahrungen Mitte der 1930er-Jahre. Viele sagten: «Du musst es dir genauso vorstellen, wie jetzt.» Schon einmal hätten sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Deshalb haben sie vor allem eine Botschaft: «Wir dürfen nicht gleichgültig sein.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
History Porn Teil VII: Geschichte in 25 Wahnsinns-Bildern
1 / 27
History Porn Teil VII: Geschichte in 25 Wahnsinns-Bildern
Ein südkoreanischer Mann weint beim Abschied seines Bruders, der wieder zurück nach Nordkorea muss. Durch den Krieg getrennt, haben sich die beiden seit 60 Jahren nicht gesehen. 2015 wurden den getrennten Familien und Freunden erlaubt, sich für drei Tage wiederzusehen, bevor sie sich wieder für lange Zeit trennen mussten. bild: imgur
Auf Facebook teilenAuf X teilen
11 Fragen an einem orthodoxen Juden
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
9 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
9
Nach gigantischem Bergsturz im Engadin: «Der ganze Tschierva-Gletscher ist abrasiert»
Ein gigantischer Bergsturz in der Berninagruppe hat am vergangenen Wochenende Millionen Tonnen Gestein ins Tal befördert. Glaziologe Matthias Huss erklärt die Folgen für den Tschierva-Gletscher, der unter den Geröllmassen liegt.

«Das betroffene Gebiet ist gut einsehbar, unter anderem von einem Ski-Gebiet. Es ist gewaltig. Deswegen machten die Bilder so schnell die Runde.» Das sagt Martin Keiser. Er ist Regionalforstingenieur und Naturgefahrenspezialist beim Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden. Keiser wurde am Sonntag kurz nach 7 Uhr von den Einsatzkräften über den riesigen Bergsturz informiert, der sich wenige Minuten zuvor am Piz Scerscen im Engadin ereignet hatte.

Zur Story