«Herr Anselm» ist das neunte Buch von Arno Camenisch. Der Autor bleibt sich und seiner Bündner Talschaft darin treu. Der freundliche Titelheld unterhält sich auf dem Friedhof still mit seiner Frau.
«Mia cara» nennt Herr Anselm seine Liebste, während er auf ihrem Grab die Blumen giesst. Sie ist vor ein, zwei, vielleicht mehr Jahren verstorben, an einer Krankheit, die sie tapfer aushielt. Doch viel erfahren wir nicht über sie. Herr Anselm spricht mit ihr, um ihr den Gang der Dinge im Dorf zu erzählen.
Er amtet als Abwart in einer Dorfschule irgendwo in der Surselva. Der Sommer ist vorüber, zum Unterrichtsbeginn verkündet die Obrigkeit mit einem schnöden Aushang, dass die Schule im nächsten Sommer geschlossen werden soll.
Doch so einfach wird das nicht gehen, gelobt Herr Anselm seiner Frau. Den «Globis mit ihren Cravattas» sei es immer nur ums Sparen zu tun, dabei wissen sie gar nicht, was es bedeutet, wenn die Schule aus dem Dorf verschwindet.
Diese Drohung ist für Herrn Anselm ein Anlass, sich an Geschichten mit seinen Schülern zu erinnern und dabei sein pädagogisches Talent aufblitzen zu lassen. Wie oft musste er einspringen, wenn einer der Lehrer kurzfristig ausfiel. Und wie sind sie zusammengestanden, als die Gemeinde keinen Ping-Pong-Tisch bezahlen wollte.
Abwart mit Leib und Seele
Mit seinen sechzig Jahren will Herr Anselm aber nichts Neues mehr beginnen. Was soll er mit einem dieser Geräte im Hosensack? Sein freundlicher Monolog ist auch ein melancholischer Abgesang auf eine Zeit, als solche wie er ihren Dienst mit Freude ausgeübt haben.
Er verstehe die Leute nicht, meint er, «die sich wie ein Tarzan von Wochenende zu Wochenende schwingen, als wären die Wochentage ein Becken mit Krokodilen». Und wenn er schon am Sinnieren ist, fällt ihm noch dies und das und allerhand Weiteres ein, auch die eine oder andere Ferienreise mit seiner Frau.
Geerdete Sprache
Zuletzt hat Arno Camenisch in Büchern wie «Der letzte Schnee» oder «Fred und Franz» einem Paar das Wort gegeben, dem ein Erzähler insgeheim beim Reden zuhört. In «Herr Anselm» nimmt er das Muster auf, variiert es aber, weil der Titelheld keine Gesprächspartnerin mehr hat. Sein Gespräch wird zum Monolog.
Er berichtet mit bodenständigem Witz, der frei ist von nostalgischen Launen. Dennoch bewahrt sein Reden und Erinnern etwas Anrührendes, das die Leser und Leserinnen behutsam anzieht. Die stille Zwiesprache erhält eine sehr persönliche Anmutung.
Im neuen Buch hat Arno Camenisch seinen Stil vervollkommnet. Er hat einen glaubhaften Tonfall für seinen Helden gefunden, der wunderbar einfach mit dialektalen Wendungen spielt. Ein beiläufiges «eba scho» oder ein «sep kommt noch dazu» erden die Sprache regional. Selten gerät sie dabei ein wenig ins Holpern, wenn Herr Anselm etwa versucht, «die Wartezeit gut auszugestalten».
Das Erinnern hält lebendig
Dumme erkenne man daran, meint Herr Anselm, «dass sie sich immer für ein bisschen weniger dumm halten als ihr Gegenüber». So einer ist Herr Anselm nicht. Vielmehr ist er mit einem gesunden Menschenverstand gesegnet, der nicht nur im Kreis zu denken weiss. Arno Camenisch scheint ihm darin nahe verwandt.
Wie in früheren Büchern von Camenischs Büchern bleibt der Erzähler hier unerkannt als einer, der am Rande des Geschehens nur zuschaut und lauscht. Hin und wieder schiebt er sparsam ein, was Herr Anselm gerade tut, um diesen am Ende dann weggehen und um die Ecke verschwinden zu sehen.
*Dieser Text von Beat Mazenauer wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert. (sda)