Die Wissenschaften sind der Feind der Religionen. Das ist ein Gedanke, der viele Gläubigen auf die Palme bringt.
Ein anderer: Gott fürchtet Menschen, die ihn mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Universum bugsieren möchten. Man erinnere sich an den Bibelspruch: Selig sind die Armen im Geiste …
Tatsächlich sind sich Glaube und Wissenschaften oft spinnefeind. Ich bekomme dies seit vielen Jahren von gläubigen Bloggerinnen und Bloggern demonstriert, die mir in ihren Kommentaren mantramässig vorwerfen, ich sei wissenschaftsgläubig und habe ein mechanisches oder utilitaristisches Weltbild. Ein Vorwurf, den ich vehement bestreite. Doch davon später.
Tatsächlich ist es unmöglich, dass Glauben und Wissenschaften im Gleichschritt einen Walzer tanzen. Überdurchschnittlich viele Naturwissenschafter sind Agnostiker oder Atheisten. Sie sind gewohnt, die Welt nach wissenschaftlichen Kriterien zu erfassen. Religiöse Erklärungsmuster passen schlecht ins Puzzle, weil sie nicht überprüfbar sind.
Heute sind Wissenschaften unabhängig und nur ihren eigenen Ansprüchen und Erfordernissen verpflichtet. Das war nicht immer so. Früher war die Kirche Herr über die Wissenschaften, sie hatte auch die Deutungshoheit. Man erinnere sich nur an Galilei, der seine Erkenntnisse verleugnen musste, um nicht auf dem Scheiterhaufen zu landen. Wahr war damals nur, was nicht religiösen Dogmen widersprach oder was in der Bibel stand.
Zurück zu mir. Ich beobachte seit 40 Jahren Glaubensgemeinschaften, von denen viele Sektencharakter haben. Dabei erlebe ich, dass Gläubige bereit sind, im Namen des Glaubens die abstrusesten Heilsvorstellungen kritiklos zu übernehmen. Es scheint, als könne man vielen Menschen alles und jedes verklickern, wenn es unter der Tarnkappe der Religion daherkommt.
Wer gewohnt ist, auch religiöse Ideen einer kritischen Prüfung zu unterziehen, nimmt ihr vielleicht einen Teil der Magie oder verliert etwas von der betäubenden Euphorie, aber er verhindert, allenfalls indoktriniert oder religiös missbraucht zu werden.
Auch um die geistige Freiheit zu fördern, hinterfrage ich alle sensiblen Lebensbereiche, vor allem eben die weltanschaulichen, politischen und religiösen. Die besten Werkzeuge dazu liefern die Naturwissenschaften, aber auch Philosophie, Psychologie und Soziologie.
Ich bin aber weit davon entfernt, sie als Ersatzreligion zu betrachten. Ich habe mich genügend mit Wissenschaftstheorie auseinandergesetzt, um zu erkennen, dass auch wissenschaftliche Erkenntnisse nur relativ verstanden werden können. Sie sind immer nur so lang gültig, bis sie mit neuen Untersuchungen widerlegt oder ergänzt werden.
Die Krux von Glaube versus Wissenschaft lässt sich an der Evolutionstheorie exemplarisch demonstrieren. So bestätigen Tausende wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse die Richtigkeit der darwinschen Lehre und ihrer Weiterentwicklungen.
Die Evolutionstheorie hält auch der Falsifizierung stand: Es gibt keine Alternativariante, die die Entwicklung der Lebewesen beschreiben würde. Ausser natürlich den Kreationismus, die Schöpfungslehre, die von den monotheistischen Religionen propagiert wurde. Und teilweise heute noch wird. Man kennt es: Gott schuf die Welt in sechs Tagen, am siebten ruhte er.
Wer den Kreationismus vertritt und die Evolutionstheorie leugnet, muss aber den Gottesbeweis erbringen, also die Existenz Gottes wissenschaftlich nachweisen. Dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist, anerkennen selbst strenggläubige Christen, Juden und Moslems.
Trotzdem gibt es viele gläubige Biologen, die die Schöpfungslehre aus religiöser Überzeugung vertreten. Lieber schwören sie ihren wissenschaftlichen Forschungsgrundlagen ab, als ihren Gott zu «verraten».
Dabei greifen sie zu einem Taschenspielertrick. Sie nutzen kleine Lücken bei der Evolutionstheorie, um sie radikal in Frage zu stellen.
Konkret: Neben den unzähligen, wissenschaftlich erhärteten Erkenntnissen gibt es ein paar wenige Unklarheiten. Diese nutzen die gläubigen Biologen, um den Kreationismus zu verteidigen. Würden sie hingegen nach diesem erkenntnistheoretischen Ansatz die Schöpfungslehre nachweisen wollen, würden sie nur schon bei der Versuchsanordnung grandios scheitern.
Ihre wissenschaftliche Unredlichkeit ist offensichtlich.
Die einzigen halbwegs verlässlichen Instanzen für uns Menschen sind Verstand, Vernunft und Bewusstsein. Doch selbst diese täuschen uns regelmässig, weil wir emotionsbestimmt sind und unser Hirn laufend Fehlschaltungen produziert.
Deshalb sind gerade in religiösen Fragen kritische Rückfragen besonders wichtig. Diese versuche ich in meinen Blogtexten zu stellen. Mit Wissenschaftsgläubigkeit hat das nichts zu tun.
Oder anders formuliert: Würde Jesus auf der Erde auftauchen und einen wasserdichten Gottesbeweis abliefern, hätte die Wissenschaft kein Problem, Gott als Tatsache zu akzeptieren. Alle Religionen in der jetzigen Form lassen sich aber nicht empirisch beweisen und sind abzulehnen.
Glaube fragt nach dem "Wieso?", Wissenschaft nach dem "Wie?". Man kann die zwei Sachen gar nicht miteinander vergleichen, denn sie sprechen zwei verschiedene Sprachen.
Es gibt übrigens auch grosse Wissenschaftler wie u.v.a. der weltbekannte Physiker und Leiter des Max-Planck-Instituts Prof. Hans-Peter Dürr, der sich eine Existenz eines "irgendwie gearteten Gottes", fern gängiger Religionen (!) vorstellen kann. Physik, Chemie und Evolution könnten seine Vehikel darstellen.
Buchtipp : "Physik und Transzendenz" von Hans-Peter Dürr (Subtitle : Die grossen Physiker unseres Jahrhunderts über ihre Begegnung mit dem Wunderbaren)