Während sich die einen an der lauschigen Adventsstimmung landauf, landab erfreuen, ist die jetzige Zeit für andere ganz einfach ein Graus. Es sind jene, die mit den kürzer werdenden Tagen Mühe haben, gar in eine Herbst- oder Winterdepression verfallen. Antriebslosigkeit, fehlende Motivation, negative Gedanken können zum Teufelskreis werden.
Amerikanische Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass auch Burnouts statistisch öfter in diese Zeit fallen.
Csilla Kenessey Landös ist diplomierte Psychologin FH (ZHAW) und praktiziert als eidgenössisch anerkannte Fachpsychologin für Psychotherapie. Sie plädiert unter anderem für Jahresarbeitszeiten.
Frau Kenessey Landös, kennen Sie die Herbstdepression aus der eigenen Praxis?
Csilla Kenessey Landös: Ich kenne sie sogar von mir selber. Auch meine Stimmung ist stark abhängig von Licht und Helligkeit. Ich verfüge zum Glück über eine gute Resilienz, doch ab Oktober zähle ich die Tage bis zum 21. Dezember, wenn sie wieder länger werden. Bei meinen Patienten bemerke ich die saisonale Schwankung derzeit weniger, da wir, besonders im Kinder- und Jugendbereich, noch immer mit den Nachwirkungen der Pandemie stark beschäftigt sind.
Ich nehme immer den November als besonders tristen Monat wahr, er ist oft grau und nasskalt, zunehmend dunkel. Kann man sagen, dass ein Monat allgemein besonders «schlimm» ist in dieser Hinsicht?
Der November ist tatsächlich eher grau, dunkel, oft nass. Für viele ist die eigentliche Krisenzeit vor allem im Dezember. Insbesondere, wenn die Feiertage näher kommen, wird das Gefühl der Einsamkeit für isolierte oder alleinstehende Menschen schlimm. Mein Mann und ich haben deshalb schon oft am 26. Dezember Leute eingeladen, die während den Tagen davor alleine sind. Das ist sehr gut gelaufen. Es gibt mehr Menschen, als man meint, die isoliert sind in dieser Zeit. Durch die sozialen Medien geht das zudem unter, da man nur sieht, wie gut es alle angeblich haben. Die Feiertage sind für uns Psychologen eine Herausforderung. Bereits Alfred Adler hatte die Zugehörigkeit als eines unserer Grundbedürfnisse definiert. Für andere wiederum ist das berühmte Januarloch schlimm. Ganz grundsätzlich sind es einfach die dunklen, kalten Monate.
Nebst dem fehlenden Licht; was sind die Gründe für diesen Herbstblues?
Ich gehe davon aus, dass es auch einen biologischen Aspekt gibt. Die Natur zieht sich zurück, manche Tiere gehen in ihre Höhle und halten einen Winterschlaf. Ich denke, dieses Bedürfnis nach Rückzug in dieser Zeit liegt auch uns Menschen in den Genen. Ich sähe es auch als Chance, diese Zeit für mehr «Me-Time» zu nutzen – um Kraft zu tanken für den Frühling. Im Idealfall hätten wir deshalb Jahresarbeitszeiten, die wir einteilen könnten. Sodass wir im Winter, oder wenn es uns eben passt, ein oder zwei Stunden weniger pro Tag arbeiten – sofern die Stelle dies zulässt. Und wenn die Tage lang sind, eben entsprechend länger. Manche Firmen haben das bereits eingeführt. Ich kann mir vorstellen, dass es auch unserem Biorhythmus entgegenkäme.
Offenbar gibt es auch bei der Arbeit mehr Burnouts im Winter. Können Sie das bestätigen?
Burnouts sind die Folge einer längeren Entwicklung. Daher kann die Jahreszeit alleine kaum der Grund sein. Gut möglich ist aber, dass sich eine belastende Situation durch die genannten Gründe in dieser Zeit zuspitzt und ein Burnout deshalb eher eintritt.
Genug über Probleme geredet. Was hilft?
Gibt es noch einen Tipp speziell für den Arbeitsplatz?
Jeder Mensch funktioniert besser, wenn er motiviert ist. Daher: Etwas, das einem guttut, ritualisieren. Etwa einen sozialen Kontakt, siehe Punkt 2 oben. Oder sich ganz einfach individuell fragen: Wie kann ich auf einfache Weise meine Batterien aufladen? Die eine macht über den Mittag einen Spaziergang, jemand anderes umarmt einen Baum, wieder ein anderer hört einen bestimmten Song, der ihn glücklich macht.
Vieles läuft über soziale Kontakte. Was bringen jene via Social Media?
Es muss live sein! Auch für junge Menschen gilt: echte Kontakte! Mit Freunden abmachen. Sehr gut sind Gruppenzugehörigkeiten, die saisonal unabhängig sind: Hobbys wie Musik oder Sport oder jegliche Vereinstätigkeiten.
Können die sozialen Medien auch eine negative Auswirkung haben?
Ja, bei passivem Konsum in den eigenen vier Wänden, ohne dass eine Interaktion stattfindet. Meine Erfahrung ist, dass man sich immer vergleicht mit denen, bei denen man meint, sie hätten es besser. So ist man dann immer im Defizit. In diesem Sinne gilt: Raus aus den vier Wänden, raus aus der Misere!