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Du willst nur das Beste? Voilà:
Narzissmus ist ja in der letzten Zeit zu einem Schimpfwort mutiert. Wobei die wenigsten, die den Begriff benutzen, wissen, was er wirklich bedeutet. Das ist aber nur das weinerliche Besserwissen einer Psychologin und soll nicht weiter stören, denn was der Volksmund damit meint, wissen wir wohl alle.
Wir bewegen uns heute auf einem schmalen Grat. Bzw. gleich auf mehreren schmalen Graten. Gräten. Geräten. Wie auch immer.
Von Kindesbeinen an wird uns von unseren verständnisvollen Eltern, Grosseltern, Gottis, Göttis und sonstigen Familienanhängseln eingetrichtert, dass wir die Grössten sind. Die Besten. Und natürlich die Schönsten und Talentiertesten. Das ist gut, denn das gibt dem Kind einen stabilen Selbstwert und der ist wichtig.
Nun kann das mit dem stabilen Selbstwert auch dahin führen, dass Cheyenne-Barcelona Markwalder mit 17 voller Elan bei Dieter Bohlen anklopft und der ganzen TV-Welt ebendiesen Selbstwert präsentiert. «Meine Mama sagt, ich kann mega gut singen.» Nun. Mama hat gelogen. Oder vielleicht nicht mal das, denn für sie ist Cheyenne-Barcelona tatsächlich der Höhepunkt kreativer Schöpfung. Diese Überzeugung wird von Herrn Bohlen und 2'002'771 YouTube-Usern arg in Frage gestellt, die danach Cheyennes Version von «Atemlos» in den Äther hinausteilen.
Es braucht aber keinen Dieter Bohlen, um zu zeigen, dass wir uns hier in einem Paradox bewegen.
«Liebe dich selbst!» vs. «Liebe dich selbst bloss nicht zu fest!»
Sei, wie du bist. Aber vielleicht etwas
schlanker.
Lass deine Seele fliegen. Aber bloss nicht zu hoch.
Sei natürlich!
Wäh, diese Akne ...
Natürlich kann man darauf entgegnen: «Ist mir doch egal, ob die anderen mich für eingebildet halten, ich find mich geil». Das Problem ist aber, dass man dann ziemlich schnell ziemlich allein ist und sich plötzlich doch nicht mehr so geil findet.
Selbstliebe ist ein schwieriges Ding, gerade, wenn man sie in dieser Gesellschaft leben soll, die einen sehr gerne und sehr schnell wissen lässt, was man richtig macht und was falsch. Also vor allem, was falsch.
Kürzlich erzählte mir eine Freundin an einer Party auf Nachfrage, dass sie gerade ihre Dissertation abgegeben habe. Ich freute mich riesig für sie und fragte, warum sie das denn nicht erzählt. Sie sagte, sie wolle nicht, dass die Leute denken, sie wolle angeben. Angeben? Mit etwas, das sie sich über fünf Jahre, für einen miserablen Lohn und mit unmöglichen Arbeitszeiten selber erarbeitet hat?
Woher kommt dieses Zögern? Warum dürfen wir uns nicht mehr echt und ehrlich freuen, wenn wir etwas erreicht haben? Sind wir schon zu oft fälschlicherweise abgemahnt worden? Oder übertreiben wir’s tatsächlich und sind alle zu Angebern mutiert?
Und woher kommen die missmutigen Reaktionen, die uns dazu bringen, unsere Freude für uns zu behalten? Ist man tatsächlich der Ansicht, wir seien arrogant, wenn wir unseren Erfolg teilen, oder ist man vielleicht auch ein bisschen neidisch und versucht, den Erfolgreichen zu sich herunter zu ziehen?
Ich würde uns allen wünschen, dass wir eine Balance finden – als Kritisierte und als Kritisierende. Zwischen gesunder Selbstliebe und «Narzissmus», zwischen Teilen von Erfolgen und Angeberei, dass wir andere auch mal machen lassen und bedachter sind in unserer Kritik (ich rede da durchaus auch von mir selber).
Wenn uns jemand auf den Sack geht, können wir ihn ja einfach ignorieren und aus unserer Reaktion auf ihn Schlüsse für unser eigenes Verhalten ziehen, wie wir sein wollen und wie nicht. Auf dem schmalen Grat stehen wir nämlich genauso wie der, den wir kritisieren – und wir wissen ja oft selber gerade nicht, ob wir uns eigentlich lieben oder nicht.