Blogs
Yonnihof

Selbstliebe – Okay oder zu viel des Guten?

Bild
Bild: shutterstock
Yonnihof

«Ich liebe mich, ich liebe mich nicht ...»

Dürfen wir uns noch gern haben oder sind wir alle selbstverliebt?
05.01.2016, 15:4106.01.2016, 15:54
Mehr «Blogs»

Narzissmus ist ja in der letzten Zeit zu einem Schimpfwort mutiert. Wobei die wenigsten, die den Begriff benutzen, wissen, was er wirklich bedeutet. Das ist aber nur das weinerliche Besserwissen einer Psychologin und soll nicht weiter stören, denn was der Volksmund damit meint, wissen wir wohl alle.  

Wir bewegen uns heute auf einem schmalen Grat. Bzw. gleich auf mehreren schmalen Graten. Gräten. Geräten. Wie auch immer.  

Von Kindesbeinen an wird uns von unseren verständnisvollen Eltern, Grosseltern, Gottis, Göttis und sonstigen Familienanhängseln eingetrichtert, dass wir die Grössten sind. Die Besten. Und natürlich die Schönsten und Talentiertesten. Das ist gut, denn das gibt dem Kind einen stabilen Selbstwert und der ist wichtig.  

Nun kann das mit dem stabilen Selbstwert auch dahin führen, dass Cheyenne-Barcelona Markwalder mit 17 voller Elan bei Dieter Bohlen anklopft und der ganzen TV-Welt ebendiesen Selbstwert präsentiert. «Meine Mama sagt, ich kann mega gut singen.» Nun. Mama hat gelogen. Oder vielleicht nicht mal das, denn für sie ist Cheyenne-Barcelona tatsächlich der Höhepunkt kreativer Schöpfung. Diese Überzeugung wird von Herrn Bohlen und 2'002'771 YouTube-Usern arg in Frage gestellt, die danach Cheyennes Version von «Atemlos» in den Äther hinausteilen.  

Es braucht aber keinen Dieter Bohlen, um zu zeigen, dass wir uns hier in einem Paradox bewegen.  

«Liebe dich selbst!» vs. «Liebe dich selbst bloss nicht zu fest!»  

Sei, wie du bist. Aber vielleicht etwas schlanker.
Lass deine Seele fliegen. Aber bloss nicht zu hoch.
Sei natürlich! Wäh, diese Akne ...  

Natürlich kann man darauf entgegnen: «Ist mir doch egal, ob die anderen mich für eingebildet halten, ich find mich geil». Das Problem ist aber, dass man dann ziemlich schnell ziemlich allein ist und sich plötzlich doch nicht mehr so geil findet.  

Selbstliebe ist ein schwieriges Ding, gerade, wenn man sie in dieser Gesellschaft leben soll, die einen sehr gerne und sehr schnell wissen lässt, was man richtig macht und was falsch. Also vor allem, was falsch.

Kürzlich erzählte mir eine Freundin an einer Party auf Nachfrage, dass sie gerade ihre Dissertation abgegeben habe. Ich freute mich riesig für sie und fragte, warum sie das denn nicht erzählt. Sie sagte, sie wolle nicht, dass die Leute denken, sie wolle angeben. Angeben? Mit etwas, das sie sich über fünf Jahre, für einen miserablen Lohn und mit unmöglichen Arbeitszeiten selber erarbeitet hat?  

Woher kommt dieses Zögern? Warum dürfen wir uns nicht mehr echt und ehrlich freuen, wenn wir etwas erreicht haben? Sind wir schon zu oft fälschlicherweise abgemahnt worden? Oder übertreiben wir’s tatsächlich und sind alle zu Angebern mutiert?  

Und woher kommen die missmutigen Reaktionen, die uns dazu bringen, unsere Freude für uns zu behalten? Ist man tatsächlich der Ansicht, wir seien arrogant, wenn wir unseren Erfolg teilen, oder ist man vielleicht auch ein bisschen neidisch und versucht, den Erfolgreichen zu sich herunter zu ziehen?  

Ich würde uns allen wünschen, dass wir eine Balance finden – als Kritisierte und als Kritisierende. Zwischen gesunder Selbstliebe und «Narzissmus», zwischen Teilen von Erfolgen und Angeberei, dass wir andere auch mal machen lassen und bedachter sind in unserer Kritik (ich rede da durchaus auch von mir selber).  

Wenn uns jemand auf den Sack geht, können wir ihn ja einfach ignorieren und aus unserer Reaktion auf ihn Schlüsse für unser eigenes Verhalten ziehen, wie wir sein wollen und wie nicht. Auf dem schmalen Grat stehen wir nämlich genauso wie der, den wir kritisieren – und wir wissen ja oft selber gerade nicht, ob wir uns eigentlich lieben oder nicht.

Bild
Yonni Meyer
Yonni Meyer (33) schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen – direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

Pony M. auf Facebook

Yonni Meyer online

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
8 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Der Laie
05.01.2016 16:07registriert Februar 2015
Man kann sich nicht genug selbst lieben meiner Meinung nach: Menschen, die sich wirklich selbst lieben, sind nicht nazisstisch, geben nicht an, wissen, dass sie Stärken und Schwächen haben, kennen diese, akzeptieren sich einfach so, wie sie sind und lieben sich dafür. Narzissmus oder Angeberei treten auf bei einem Mangel an Selbstliebe.
423
Melden
Zum Kommentar
avatar
saukaibli
05.01.2016 16:56registriert Februar 2014
Für etwas, das man sich hart erarbeitet hat, darf man heute nicht mehr stolz sein, sonst ist man gleich ein Angeber oder Besserwisser. Stolz ist man heute auf ein tolles Selfie, am Strand irgendeiner Südseeinsel mit Sonnenuntergang. Ich glaube es ist oft der Neid der spricht. Wenn einer etwas selber nicht schaffen würde (z.B. Dissertation) kann er es einem anderen nicht zugestehen, also verspottet er ihn als Angeber. Ein olles Selfie kann dafür jeder versuchen zu toppen, da kann man dem anderen auch mal ein kompliment für seines machen ohne eigenes Versagen eingestehen zu müssen.
334
Melden
Zum Kommentar
8
Wir haben den Autosimulator der Zukunft getestet
Vergiss Videospiel-Autorennen, selbst mit einem hochwertigen Schalensitz, der einen Bruchteil eines Kleinwagens kostet. Cupra hat die Exponential Experience entwickelt, ein verblüffendes und grossartiges Konzept, für dessen vollumfängliche Nutzung jedoch etwas mehr Platz nötig ist als in deinem Wohnzimmer. Entdeckung.

Vergangenen Frühling enthüllte Cupra die ersten Bilder der Exponential Experience: ein Flughafenrollfeld, ein klasse aussehender Elektro-Rennwagen, ein Fahrer mit Virtual-Reality-Helm und Bilder des Autos, wie es mit Karacho mal im imaginären Universum und mal auf der besagten Flughafenpiste rast. Das hat gereicht, um unser Interesse zu wecken ... und zu bewirken, dass wir die Vertreter:innen bei Cupra so lange nervten, bis sie uns die Sache testen liessen.

Zur Story