Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ist klar: Ein übermässiger Konsum von rotem oder verarbeitetem Fleisch kann der Gesundheit schaden. «Übermässiger Fleischkonsum ist mit bestimmten chronischen Krankheiten assoziiert», sagt Prof. Dr. Diego Moretti von der Fernfachhochschule Schweiz. Die WHO stuft verarbeitetes Fleisch als krebserregend ein, rotes Fleisch als wahrscheinlich krebserregend.
Studien bringen hohen Fleischkonsum mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und Übergewicht in Verbindung. Gleichzeitig liefert Fleisch wichtige Nährstoffe wie Eiweiss, Eisen, Zink und Vitamin B12 – besonders für Schwangere oder ältere Menschen kann ein völliger Verzicht problematisch sein. «Ein moderater Konsum und dabei möglichst unverarbeitetes Fleisch aus nachhaltiger Produktion ist deshalb auch ein Gebot der Besonnenheit», empfiehlt Moretti.
Die ethische Debatte dreht sich primär ums Tierwohl. Massentierhaltung steht seit Jahren in der Kritik – enge Ställe, fehlende Bewegungsfreiheit, keine artgerechte Haltung. Für viele ist Fleisch mit derartiger Herkunft nicht mehr zu rechtfertigen.
Unter anderem Tierschutzorganisationen fordern deshalb einen Umstieg auf pflanzliche Alternativen oder kultiviertes Fleisch aus dem Labor. Gegner des Fleischkonsums argumentieren: Wenn es Alternativen ohne Leid gibt, ist Fleischessen moralisch überholt.
Doch es gibt auch differenzierte Stimmen. Befürworter traditioneller Weidewirtschaft sehen Tiere als Teil eines funktionierenden Ökosystems. Ihre Haltung: artgerechte Tierhaltung und respektvolle Schlachtung seien möglich. Letztlich bleibt die moralische Beurteilung subjektiv – entscheidend ist ein respektvoller Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven.
Fast 15 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen stammen aus der Viehzucht. Der Fleischkonsum belastet Umwelt und Klima, verursacht Abholzung – etwa für Weideflächen oder Futtermittel wie Soja – und verbraucht enorme Mengen Wasser. Für ein Kilo Rindfleisch braucht es rund 15’000 Liter. Daher fordern viele Experten eine Reduktion des Fleischkonsums zugunsten pflanzenbasierter Ernährung. Insektenprotein, Laborfleisch oder Alternativen auf Basis von Erbsen und Soja gewinnen an Bedeutung.
Aber: Eine komplette Abschaffung der Tierhaltung hätte ebenfalls gravierende Folgen. Zwei Drittel der weltweiten Agrarflächen sind nur als Weideland nutzbar. Ohne Tierhaltung würden diese Flächen brachliegen. Zudem liefern Tiere Mist und Gülle – unverzichtbar für den ökologischen Landbau. Ganz abgesehen von Millionen Arbeitsplätzen, die an der Fleischindustrie hängen, insbesondere in ländlichen Regionen.
Auch der Import pflanzlicher Ersatzprodukte birgt Risiken: mehr Monokulturen, Wasserknappheit und Bodendegradation. Ein radikaler Systemwechsel könnte also neue Umweltprobleme schaffen.
Fleisch ist nicht nur Nährstoff, sondern auch Symbol. In vielen Kulturen gilt es als Zeichen von Gastfreundschaft, Wohlstand und Identität. Ob argentinisches Asado, deutscher Sonntagsbraten oder japanisches Wagyu – Fleischgerichte sind Kulturgüter. Ein generelles Verbot oder vollständiger Verzicht auf Fleisch könnte kulturelle Praktiken und soziale Bindungen verändern. Und in ärmeren Regionen, wo tierisches Eiweiss oft die einzige Proteinquelle ist, wäre eine Umstellung schlicht nicht realistisch.
Auch religiöse Normen spielen eine Rolle. Im Hinduismus ist vegetarische Ernährung Ausdruck von Respekt gegenüber allem Leben. Im Buddhismus steht Gewaltlosigkeit im Zentrum – viele Gläubige verzichten deshalb auf Fleisch.
Judentum und Islam erlauben Fleischkonsum, setzen aber klare Regeln für eine «gerechte» Schlachtung (koscher bzw. halal). Spirituelle Bewegungen plädieren für achtsamen Konsum und fordern mehr Respekt gegenüber Natur und Tier.
Die Zukunft ist hybrid: Fleischersatz aus Pflanzen, Insekten oder Zellen ist längst Realität. Gleichzeitig wird an nachhaltigeren Produktionsmethoden gearbeitet – regenerative Weidehaltung oder Agroforstsysteme könnten eine Brücke zwischen Ethik und Praxis schlagen.
Und letztlich sind es die Konsumentinnen und Konsumenten, die die Richtung mitbestimmen. Wer weniger, aber bewusster Fleisch isst, fördert eine nachhaltigere Entwicklung.
Die Frage, ob man heute noch Fleisch essen «darf», lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Die Wissenschaft mahnt zur Mässigung, die Ethik fordert mehr Mitgefühl, die Kultur pocht auf Tradition – und die Umwelt? Die braucht Wandel. «Vielleicht liegt die Lösung nicht in Verboten oder dogmatischen Verzichtsaufrufen, sondern in einer neuen Haltung: bewusst, informiert und verantwortungsvoll», gibt Moretti zu bedenken. Denn Fleischessen ist keine rein private, sondern eine gesellschaftliche Entscheidung.
Wie sieht dein Fleischkonsum aus? Verzichtest du oder isst du bewusst Fleisch? Teile deine Meinung gerne in den Kommentaren.
Dieses "darf man noch..." nervt langsam enorm. Es ist immer so, dass die Antwort Ja lautet.
Selbstverständlich darf man. Es gibt an jeder Ecke so viel billiges Fleisch zu kaufen wie nie zuvor. Die Fleischindustrie wird staatlich subventioniert.
Indem in der Headline gefragt wird, "ob man noch Fleisch essen darf" wird suggeriert, dass irgendwo ein Verbot im Raum steht. Dann kann der Wutbürger wieder toben und behaupten, "dass man nichts mehr darf" und FDP/SVP und co. können von "linker Verbotskultur" schwafeln.
Ob man unbedingt (täglich) Fleisch essen sollte und ob jede Mensa immer Fleischmenus anbieten muss, ist eine andere Frage.
Übermässiges Essen von Ersatzprodukten ist ungesund, weil übermässig grundsätzlich zu viel ist.
Ja, man darf Fleisch essen. Ob man es tut und aus welchen Gründen nicht, ist Privatsache.
Zu den Weideflächen:
Weniger Dünger und weniger übermässig Gülle auf Felder entsorgen. Agrarfächen nicht für Futtermittelproduktion. Teile neu bewalden, um Kühlung und Niederschlag zu fördern. Lokales Fleisch und Fleischkonsum fördern, int. Fleischhandel zurücknehmen.