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Snowflake: Wie du Internet-Zensur ganz einfach bekämpfen kannst

Serene, frühere Hackerin, Google-Ingenieurin und Entwicklerin des Zensur-Umgehungs-Tools Snowflake. Heute ist sie Konzertpianistin.
Diese junge Frau, die wir nur unter ihrem Künstlernamen «Serene» kennen, hat sich das Klavierspielen selber beigebracht und ist heute eine erfolgreiche Profipianistin. Nebenbei hat die Informatikerin ein Zensur-Umgehungs-Tool der Extraklasse entwickelt.Bild: serenepianist.com
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Wie du Putin und Irans Sittenwächtern bequem vom PC aus ein Schnippchen schlägst

Die Anonymisierungs-Software Tor macht das Internet freier und rettet Leben. Und du kannst ganz einfach und ohne Bedenken mithelfen. So geht's.
29.09.2022, 09:0630.09.2022, 18:07
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Angesichts von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Verfolgung unschuldiger Frauen im Iran fühlen sich westliche Beobachterinnen und Beobachter vielleicht machtlos. Doch sie unterschätzen die Macht des Internets.

Damit zu «Snowflake».

Wenn das kleine Schneeflocken-Symbol im eigenen Web-Browser von Violett auf Grün ändert, hat man es geschafft: Man hilft aktiv mit, Internet-Zensur zu bekämpfen.

Wie man das Anti-Zensur-Tool in wenigen Klicks aktiviert, erfährst du weiter unten.
Wie man das Anti-Zensur-Tool in wenigen Klicks aktiviert, erfährst du weiter unten.screenshot: watson

Es ist nur ein kleiner Beitrag, aber immerhin. Und vielleicht gelangen genau dank deiner Klicks unterdrückte Menschen online an wichtige Informationen, ohne dass ihnen deswegen die Verhaftung oder noch Schlimmeres droht.

In diesem Beitrag erfährst du, was es mit dem Tor-Snowflake auf sich hat, wer die Erfinderin des «Freiheitswerkzeugs» ist und wo die technischen Grenzen liegen.

Was ist das für eine Schneeflocke?

Es ist das Symbol für ein kleines Programm, das von seiner Erfinderin «Snowflake» getauft worden ist. Wer einen Laptop oder PC nutzt, kann es ganz einfach aktivieren. Voraussetzung ist lediglich ein Web-Browser, und zwar muss es Firefox oder Google Chrome sein (dazu weiter unten mehr).

Was hat das mit Putins Krieg gegen die Ukraine zu tun?

Als Russland im Februar 2022 in die Ukraine einfiel, wurde der militärische Vorstoss von einer weitreichenden innerrussischen Internet-Zensur begleitet. Putin wollte die eigene Bevölkerung so weit wie möglich von unabhängiger und kritischer Berichterstattung abschneiden. Damit schlug die Stunde von Snowflake. Das «Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung» schrieb:

«Auch wenn Putins Internetzensur die Direktverbindungen zu Diensten wie Facebook usw. unterdrückt, ist es dennoch möglich, diese Dienste indirekt – also über einen Umweg – zu erreichen. Für diese Umwege braucht es allerdings kleine Zwischenstationen im Internet, mit denen die Dienste quasi ‹über Bande› erreicht werden können. Und wenn es sehr viele verschiedene Zwischenstationen gibt, kommt die Internetzensur einfach nicht hinterher.»
«Mit dem neuen Ansatz – genannt Tor-Schneeflocke, engl. Tor-Snowflake – ist es möglich, einen ganz normalen Webbrowser zu einer solchen Zwischenstation zu machen. Das ist ganz einfach und ungefährlich, aber sehr hilfreich für die Menschen in Russland. Du kannst deinen Browser dabei wie gewohnt weiterbenutzen, während du Menschen in Russland mit einem extrem wichtigen Gut versorgst: freier Informationszugang!»
quelle: snowflake.fiff.de

Wie funktioniert Snowflake?

Voilà! 😉

https://snowflake.torproject.org/
screenshot: snowflake.torproject.org

Die Kollegen von derstandard.at erklären:

  • Das Snowflake-System besteht aus drei Komponenten: Freiwilligen, die Snowflake-Proxys betreiben, Tor-Benutzern, die sich mit dem Internet verbinden wollen, und einem Broker, der Snowflake-Proxys an die Benutzer liefert.
  • Mit der Aktivierung der Snowflake-Erweiterung erstellt man also als Freiwillige einen Proxy mit dem eigenen Internetzugang und stellt ihn anderen zur Verfügung.

Die Browser-Erweiterung Snowflake bildet also einen Teil des weltumspannenden Tor-Netzwerkes, das anonymes Surfen und Zensurumgehung im Internet ermöglicht.

«Erstellt wird durch die Browser-Erweiterung Snowflake eine Art Brücke in das Tor-Netzwerk. Als eine von mehreren Möglichkeiten der Zensurumgehung helfen solche Tor-Brücken denjenigen, die in Regionen leben, in denen das Tor-Netzwerk zensiert wird und damit die Nutzung des Tor-Browsers erschwert ist. Wenn sich viele Freiwillige beteiligen, ist eine solche Blockade kaum noch möglich. Denn die IP-Adressen der Tor-Brücken sind nicht öffentlich als Liste abrufbar.»
quelle: netzpolitik.org

Die technische Dokumentation gibt's hier.

Wer profitiert?

Menschen rund um den Globus, die von staatlicher Zensur und Internet-Sperren betroffen sind und dies mithilfe der Anonymisierungs-Software Tor umgehen wollen, um sich frei und unkontrolliert im Internet zu bewegen.

Und wer Snowflake auf dem eigenen PC installiert bzw. aktiviert, trägt zu einem zensurfreien Internet und damit zu einer demokratischeren und besseren Welt bei.

«Wer es [Snowflake] installiert und nutzt, hilft damit nicht nur den Menschen im Iran, sondern allen Zensurbetroffenen. Denn auch Staaten wie China oder Belarus versuchen seit Jahren, die anonyme Internetnutzung zu blockieren.»
quelle: netzpolitik.org

Im Iran explodierten in den letzten Tagen die Tor-Nutzungszahlen, schreibt netzpolitik.org. Weltweit sei bei den Tor-Brücken eine Verdreifachung der Nutzung im Vergleich zum Beginn des Septembers zu verzeichnen.

Wer hat's erfunden?

Die Ideengeberin hinter Snowflake ist die frühere Hackerin, Google-Ingenieurin und nun hauptberufliche Konzertpianistin Serene. Sie hat nicht nur das technische Konzept entworfen, sondern auch die Software mitentwickelt.

Serene
Geniale Autodidaktin: Serene brachte sich in jungen Jahren das Klavierspielen und Programmieren bei.Bild: serene.cx

Die US-Amerikanerin mit Jahrgang 1991, deren bürgerlicher Name nicht öffentlich bekannt ist, stammt ursprünglich aus China, sie emigrierte aber schon als kleines Mädchen in die USA, wie sie in ihrer Online-Biografie schildert.

Sie brachte sich schon in jungen Jahren das Klavierspielen und Programmieren selbst bei, später erlangte sie einen Abschluss in Computerwissenschaften an der renommierten Carnegie Mellon University. Wegen ihrer grössten Leidenschaft, der klassischen Musik, entschied sie sich, Berufspianistin zu werden, und gibt viel beachtete internationale Auftritte.

Nebenbei komponierte sie für Kanye Wests Oper «Mary». Davor arbeitete sie als Software-Ingenieurin – beim Technologie-Inkubator «Google Ideas», der heute Jigsaw heisst und eine Tochtergesellschaft des Alphabet-Konzerns ist.

Snowflake entwickelte sie während ihrer durch den Open Technology Fund unterstützten Arbeit am weltweit führenden Informatik-Forschungszentrum in Berkeley, Kalifornien, dem International Computer Science Institute (ICSI).

Zu ihren Beweggründen schreibt Serene:

«In gewisser Weise hat mich das frühe Internet gerettet – vor Social Media vor allem, eine Geschichte für ein anderes Mal, aber ich wusste, dass das Internet schon damals in Gefahr war, als ich mir noch als 9-Jährige das Programmieren beibrachte oder seltene Klassik-Aufnahmen fand, online. Ich arbeite seit 2012 aktiv an der Freiheit des Internets und unternahm einige Versuche, echte Dinge zu bewirken, sowohl während meiner Zeit bei Google als auch als Senior Research Fellow an der UC Berkeley und als Helferin des Tor-Projekts.»
quelle: serene.cx/snowflake

Wer hat die Software weiterentwickelt und bietet sie heute an?

Die gemeinnützige Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) The Tor Project, die die bekannte gleichnamige Anonymisierungs-Software entwickelt und weltweit gratis anbietet.

Anonym im Internet surfen – mithilfe des Tor-Browsers: Das folgende Video erklärt ganz einfach, wie es läuft:

Es geht also ums Darknet, ist das nicht problematisch?

Nein, keineswegs. Zwar wird der Tor-Browser, also die Anonymisierungs-Software zum sicheren Websurfen, auch für kriminelle Zwecke verwendet. Jedoch sind alle übertragenen Daten so verschlüsselt, dass niemand Drittes mitlesen kann.

Man macht sich nicht strafbar, wenn man einen kleinen Teil dieses verschlüsselten Tor-Datenverkehrs über den eigenen Computer weiterleitet. Und es ist technisch ausgeschlossen, dass Hacker Zugriff aufs Gerät erlangen könnten.

Die Datensicherheit und der Schutz der Privatsphäre sind gewährleistet, wie die Macherinnen und Macher betonen.

«Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen über die Webseiten, auf die die Nutzer über Ihren Proxy zugreifen. Deren sichtbare IP-Adresse entspricht der des Tor Ausgangsknotenpunktes und nicht Ihrer.»
quelle: support.torproject.org

Übrigens empfehlen auch die unabhängigen Fachleute des Chaos Computer Club (CCC) die Schneeflocke, auch wenn diese zu Unrecht einen schlechten Ruf habe:

«Weil es mit dem Begriff Darknet oft beschrieben wird. Aber heute sieht man deutlich, dass dieses Darknet Zugang zu Informationen bedeuten kann für diejenigen, die es nutzen können. Und gerade die Menschen in den demokratischen Ländern, die keine Angst vor Zensur zu haben brauchen, die können natürlich mithelfen, diese Infrastruktur, diese anonymisierte Infrastruktur aufrecht zu halten.»
Constanze Kurz, CCC Deutschland

Für welche Browser gibt's Snowflake?

Man installiert die oben verlinkte Browser-Erweiterung bzw. das Add-on und aktiviert sie mit wenigen Klicks, um den Rest kümmert sich die Software völlig automatisch.

Und wenn man im Browser nichts installieren darf (oder will)?

Dann öffnet man eine von der Nicht-Regierungs-Organisation The Tor Project betriebene Webseite, die dem Browser die gleichen Zensur-Umgehungs-Fähigkeiten verleiht und aktiviert die Schneeflocke dort. Dann funktioniert es jedoch nur, solange der entsprechende Browser geöffnet bleibt.

Link: snowflake.torproject.org/embed.html

Bild
screenshot: snowflake.torproject.org/embed.html
Bild
screenshot: snowflake.torproject.org/embed.html

Funktioniert das auf dem Smartphone?

Ja, das bestätigt auch netzpolitik.org.

Und jetzt du!

Was hältst du von dem Anti-Zensur-Tool? Hast du bereits praktische Erfahrungen damit gesammelt – oder bestehen noch Zweifel oder Unsicherheiten bezüglich Technik?

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Internetzugang für den Iran
US-Techkonzernen ist es neu erlaubt, ihre Geschäftstätigkeit im Iran auszuweiten, wie das US-Finanzministerium am 23. September mitteilte. Dafür seien bestehende Beschränkungen teilweise aufgehoben worden.

Eine aktualisierte Genehmigung ermöglicht es US-Unternehmen demnach, im Iran wieder mehr Online-Dienste anzubieten – wie etwa Social-Media-Plattformen, Videokonferenzsoftware und Cloud-Dienste.

Mit der Massnahme solle der «freie Informationsfluss und der Zugang zu faktenbasierten Informationen für die Menschen im Iran» erweitert werden, sagte US-Aussenminister Antony Blinken. «Diese Schritte werden dazu beitragen, den Bemühungen der iranischen Regierung, ihre Bürger zu überwachen und zu zensieren, entgegenzuwirken.»

US-Sanktionen, die bereits 2014 gegen den Iran verhängt worden waren, hatten bislang verhindert, dass IT-Firmen ihre Dienste in dem Land vollumfänglich anbieten konnten. Hintergrund des US-Kurswechsels ist die aktuell massive Einschränkung des Zugangs zum Internet durch die iranische Regierung infolge anhaltender Proteste.

(sda)

Quellen

16 Dinge, die die Generation Z (vermutlich) nicht mehr versteht

Video: watson
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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Urs Kipfert
29.09.2022 11:16registriert Februar 2019
Gibt es irgendeine Möglichkeit zu sehen, ob ich damit zum Mittelsmann für den Zugriff auf Kinderpornografie, Rechtsextremismus und anderen verbotenen Themen werde? Selbstverständlich würde ich sofort jedem iranischen oder russischen Internetbenutzer einen uneingeschränkten Zugriff auf Google bieten. Aber ich möchte auch verhindern, das mein Anschluss zur Brücke für Themen wird, die ich selber niemals aufrufen würde.
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HeidiW
29.09.2022 11:08registriert Juni 2018
Wenn das so einfach ist, Ist es dann nicht so, dass dadurch auch die zensierten Zugänge für rechtsextreme Inhalte oder Kinderpornographie nicht mehr funktionieren?

Bin da unschlüssig ob ich das gut oder schlecht finden soll.
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Guuge
29.09.2022 10:31registriert Mai 2019
Ich frage mich ja, wie viele der begeisterten User für die ganzen neuen Überwachungsgesetze gestimmt haben.
Weitreichende Berechtigungen für unseren Staat, uns ohne richterlichen Beschluss zu überwachen. Von immer mehr Ländern geforderte Hintertüren in verschlüsselten Messengern etc
Wie wärs, wenn ihr lieber mal darüber berichtet und den Leuten klar macht, worauf auch wir in der Schweiz zusteuern. Mittlerweile ist unser Nachrichtendienst ja mit einer Generalvollmacht zur Überwachung ausgestattet wie die NSA, aber he, in der Schweiz gibts da sicher keinen Missbrauch. Haha.
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