Digital
Analyse

Politiker verbiegen sich für den Tesla-Boss – und werden dafür beneidet

Technology entrepreneur Elon Musk laughs as he visits the Tesla Gigafactory construction site in Gruenheide near Berlin, Germany, Sept. 3, 2020. (Patrick Pleul/dpa via AP)
Elon Musk lässt sich in seinen Plänen nicht beirren.archivBild: keystone
Analyse

Diese Politiker verbiegen sich für den Tesla-Boss – und werden dafür beneidet

Elon Musk zieht im Eiltempo eine riesige Tesla-Fabrik vor den Toren Berlins hoch. Mit provisorischen Genehmigungen. Einwände von Naturschützern und Gewerkschaften wischt er beiseite – die Verantwortlichen schauen weg.
22.03.2021, 18:09
Christoph Reichmuth, Berlin / ch media
Mehr «Digital»

Die Marke Tesla wirkt sexy. Die modernen Elektroautos von US-Multimilliardär Elon Musk stehen für Aufbruch, für visionäres Denken, für Klimaneutralität. Sie sind cool und hipp. Ein bisschen so wie Elon Musk selber.

Der charismatische Tesla-Chef hat auch die Politiker in Brandenburg mit seiner Aura und seinem Konzept für Elektroautos erfolgreich bezirzt. Das bevölkerungsarme und wirtschaftlich schwache ostdeutsche Bundesland, das die Hauptstadt Berlin quasi umschliesst, wird neue Heimat von Musks europäischer Gigafactory.

Im Potsdamer Regierungsgebäude konnte man das Glück kaum fassen, als Musk im Herbst 2019 den Zuschlag für sein europäisches Gigawerk in Brandenburg gegeben hatte. In der Grünheide, 40 Kilometer östlich von Berlin gelegen, fand der 49-Jährige ein Umfeld vor, wie es besser nicht hätte passen können: Gut erschlossen, im Ballungsgebiet der Hauptstadt und in der Nähe des neuen Berliner Flughafens, in einem Land der Autoindustrie, in dem sich gut ausgebildetes Personal en Masse rekrutieren lässt, auch aus dem nahen Polen.

Hinzu kommt eine überschaubare Steuerbelastung und attraktive Subventionen des Staates. Seit Anfang des letzten Jahres stampft der US-Konzern eine Mega-Fabrik, so gross wie die Gigafactory in Shanghai, aus dem Boden. Investitionsvolumen: 5.8 Milliarden Euro. Schon in wenigen Monaten sollen hier die ersten Tesla-Modelle vom Band rollen, dereinst werden in der grössten Elektroautofabrik Europas 500'000 Autos jährlich produziert. Zunächst will Tesla 12'000 Mitarbeiter beschäftigen.

Rastloser Visionär trifft auf deutsche Gründlichkeit

Bemerkenswert an dieser Geschichte ist nicht alleine das Tempo, mit welchem die Fabrik mitten in ein Natur- und Wasserschutzgebiet gepflanzt wird. In Brandenburg steht der Sozialdemokrat Dietmar Woidke einer Regierung aus SPD, CDU und Grünen vor. Die für das Tesla-Märchen wichtigsten Ressorts wie das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium sind in der Hand von Grünen und Genossen. Die sehen durch Tesla in erster Linie die Chance des Jahrzehnts für ihr Bundesland: Fette Steuereinnahmen, Tausende neue Arbeitsplätze, Infrastrukturprojekte und nicht zuletzt Marketing für den Wirtschaftsstandort – dank des wohlklingenden Namens des Neuansiedlers aus Kalifornien.

epa08641713 A handout picture made available by the Brandenburg State Chancellery shows (L-R) Economy Minister of German Federal State Brandenburg, Joerg Steinbach, Tesla and SpaceX CEO Elon Musk and  ...
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (r.) und Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (l.) bei einem Treffen mit Elon Musk.archivBild: keystone

Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach macht in einer in dieser Woche ausgestrahlten ZDF-Reportage keinen Hehl aus dem Stolz, der ihn beschleicht. Brandenburg habe früher von anderen Bundesländern für die wirtschaftliche Situation eher Mitleid geerntet.

«Seit Tesla diskutiert man mit uns auf der Basis eines gewissen Neides.»
Jörg Steinbach, SPD-Politiker

Allerdings: Die Brandenburger Landesregierung macht Musk derart den Hof, dass berechtigte Einwände gegen die Fabrik von Umweltverbänden und Anwohnern – notabene treue Wähler von Rot-Grün – unter den Tisch zu fallen drohen. Die Fabrik wird immer noch auf Basis eiligst ausgestellter, provisorischer Bewilligungen gebaut, die zuständige Genehmigungsbehörde sieht sich beim Prüfprozess unter Druck des Wirtschaftsministeriums gesetzt.

In der Grünheide trifft der rastlose Visionär aus dem texanischen Austin auf deutsche Gründlichkeit, Tempo auf preussisches Beamtentum, ein Revolutionär, der mit SpaceX nach dem Mars strebt, auf eine Kultur überbordender Bürokratie, in der in den Amtsstuben noch Locher, Faxgerät und Bostich auf den Pulten stehen. Allerdings wäre Musk nicht Musk, würde er sich in seinem Streben von den deutschen Tugenden ausbremsen lassen. Und die Landesregierung tut fast alles, um den attraktiven Investor nicht zu vergraulen.

Wasserknappheit

Das Tempo in der Grünheide hat seinen Preis – so verlockend für die gesamte Region die Aussicht auf Arbeitsplätze, moderne Industrie und gute Steuereinnahmen sein mag. Naturschützer protestieren gegen die Waldrodungen, der regionale Wasserschutzverband warnt seit Baubeginn vor Wasserknappheit für die Bevölkerung durch die Tesla-Fabrik. Die Giga-Factory wird mitten in einem Trinkwasserschutzgebiet errichtet, aus dem Grundwasser werden 170'000 Menschen versorgt.

Der Wasserverbrauch der Fabrik wird anfänglich auf 1.4 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr geschätzt – so viel, wie es für eine Stadt mit 40000 Einwohnern braucht. Der Wasserverband rechnet ab 2023 mit einem Wasserbedarf der Gigafactory, der die vorhandenen Kapazitäten übersteigt – auch wegen längerer Trockenperioden durch den Klimawandel.

«Die Trinkwasserversorgung wird geopfert auf dem Gabentisch der Wirtschaftspolitik», moniert der Chef des zuständigen Wasserverbandes Strausberg-Erkner, André Bähler, gegenüber dem ZDF.

Elon Musk scheint das Thema eher lästig zu sein. Als er im September 2020 die Baustelle in der Grünheide besuchte, gab er sich betont cool und deutete auf die umliegenden Wälder:

«Diese Bäume würden ja nicht wachsen, wenn es hier kein Wasser gäbe. Ich meine, wir sind hier nicht in der Wüste!»
Elon Musk

André Bähler entgegnet: «Das mag so sein, wenn ich das aus der Wüste von Nevada aus betrachte.» Der Frankfurter Umweltrechtler Dirk Tessmer sagt mit Blick auf das horrende Tempo, das Tesla in der Grünheide anschlägt:

«Normalerweise hätte gesagt werden müssen: Tut uns leid, das geht nicht bei uns, das geht nicht in Europa, das müsst ihr in China machen.»
Dirk Tessmer, Umweltrechtler

Nachfragen unerwünscht ...

Auch sonst wirkt das Auftreten von Tesla in Deutschland bisweilen befremdlich. Mails an die Pressestelle verschwinden im Nirwana, eine Telefonnummer sucht man vergebens, Baustellenbesuche sind nicht gern gesehen. Zugeknöpft gibt sich Tesla auch der Anwohnerschaft und der lokalen Politik gegenüber.

Im Potsdamer Landtag hielt der deutsche Tesla-Manager ein Referat, stellte einen Strauss von Forderungen auf. Nachfragen waren nicht gestattet. Nach dem Monolog verliess der Tesla-Mann das Parlament, ohne die Replik der gewählten Volksvertreter abzuwarten. Dabei wird der an der Börse mit 669 Milliarden Dollar gehandelte Konzern des zweitreichsten Mannes der Welt vom Staat für Fabrik und Batteriewerk mit weit über 1 Milliarde Euro subventioniert.

... Gewerkschaften auch

Worüber der Brandenburger SPD-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach wohl auch nicht gerne spricht: Musk weigert sich, seine Mitarbeiter zu den in Deutschland üblichen Tarifverträgen anzustellen. Rainer Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB, schüttelt den Kopf:

«Musk kann nicht auf der einen Seite die Hand aufmachen und öffentliche Fördergelder einstecken, aber bei den Beschäftigten alles daransetzen, sie bei schlanken Löhnen zu beschäftigen, zu miesen Arbeitsbedingungen.»

«Brandenburg macht Tesla den Hof, die wirtschaftlichen Interessen dominieren», sagt der Berliner Politikwissenschaftler und SPD-Experte Gero Neugebauer. Sozialdemokraten und Grüne würden sich «ein Stück weit verbiegen», da sie Wirtschaftsinteressen über Bedenken von Gewerkschaften und Umweltverbänden stellten. «Allerdings geht es hier nicht um den Erhalt eines alten Braunkohlereviers. Tesla steht für Modernität und Klimaschutz.»

Mittelfristig müsse der SPD ihr Engagement für Tesla nicht zwangsläufig schaden – sofern das Grundwasserproblem in Schach gehalten werden kann. «Die SPD kann sich mit Verweis auf die Tesla-Ansiedlung als wirtschaftsfreundliche Partei des Klimaschutzes präsentieren», sagt Neugebauer.

Der Elektroautopionier Tesla hat im dritten Quartal 2020 einen rekordhohen Umsatz erzielt. In deutschen Bundesland Brandenburg baut der US-Konzern eine neue Fabrik. (Archivbild)
Der Tesla-Chef lässt sich in seiner Flügeltüren-Limousine kutschieren.archivBild: sda

Noch steht die abschliessende umweltrechtliche Genehmigung für die Fabrik in der Grünheide aus. Elon Musk hält am ambitionierten Zeitplan fest. Bei seinem letzten Besuch im September 2020 war er voller Vorfreude: Lässig entstieg er aus einem schicken Tesla, ging auf die Reporter zu und rief: «Germany Rocks!».

SPD-Wirtschaftsminister Steinbach kann sein Glück noch immer nicht fassen, dass der Milliardenkonzern in seinem Bundesland eine Gigafactory hinpflanzt: «Darauf bin ich immer noch stolz.»

(aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Wie Elon Musk mit Tesla durchstartete
1 / 20
Wie Elon Musk mit Tesla durchstartete
Tesla Motors, oder kurz Tesla, wurde 2003 von Silicon-Valley-Ingenieuren gegründet. Sie wollten beweisen, dass Elektrofahrzeuge herkömmlichen Autos überlegen sind.
quelle: getty images north america / joe raedle
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Neuseeland sagt Insta-Fotos den Kampf an – und wirbt für Facettenreichtum
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
47 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Stefan003
22.03.2021 19:14registriert Juni 2020
Oh Nein, eine Monokultur, welche zur Zwischennutzung eines Industriegebiets aufgezogen wurde, wird abgeholz. Deutschland demonstriert sich noch ins Mittelalter zurück. Warum ist der deutsche Neat Abschnitt eigentlich nicht fertig ? Wegen nicht abarbeitbaren Lärmklagen. Gut, dass man dem endlich mal entgegen wirkt. Das ständige allen alles Recht machen wollen ist in Deutschland schon fast ein Wahn und lässt momentan ausnahmslos jedes grosse Projekt aus dem Ruder laufen.
15232
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bynaus
22.03.2021 20:35registriert März 2016
Der "Wald" ist eine Plantage. Tesla will zudem die mehrfache Waldmenge anderswo aufforsten. Aber ansonsten, ja: alles hat seinen Preis - auch die Gigafabrik. Man kann aber nun mal nicht alle Vorteile haben, wenn man nicht bereit ist, auch einige Nachteile in Kauf zu nehmen.
9714
Melden
Zum Kommentar
avatar
FrancoL
22.03.2021 18:32registriert November 2015
Wie weltfremd doch Menschen sein können:
«Musk kann nicht auf der einen Seite die Hand aufmachen und öffentliche Fördergelder einstecken, aber bei den Beschäftigten alles daransetzen, sie bei schlanken Löhnen zu beschäftigen, zu miesen Arbeitsbedingungen.»

Doch genau das kann man wenn man keine Skrupel hat und Musk hat nun mal keine Skrupel.
Die Angst dass er abspringen könnte macht alles möglich, das sollte man doch endlich kapieren. Da der nächste bereit steht um den Deal zu machen scheinen die Politiker sich nichts mehr zu getrauen.
Eine schöne Gangart die da gezüchtet wird, traurig.
11538
Melden
Zum Kommentar
47
Elon Musk wundert sich über immer mehr Ausländer in den USA – und erhält die Quittung

«This is crazy!», schreibt Techmilliardär Elon Musk am Freitag auf seiner eigenen Social-Media-Plattform X. Er bezieht sich dabei auf eine Grafik, die einen massiven Anstieg von in den USA lebenden Migranten belegen soll.

Zur Story