Spielefans haben derzeit allerlei Gründe, über «Dragon Age: Inquisition» zu diskutieren. Zum Beispiel, dass sich Entwickler Bioware anscheinend Kritik am Vorgänger «Dragon Age II» zu Herzen genommen hat. Das Spiel biete das bislang intensivste «Dragon Age»-Erlebnis, lobt etwa Stefan Weiss von der Zeitschrift «PC Games». Und auch Phil Savage vom US-Magazin «PC Gamer» findet nach etlichen Spielstunden, dass «Inquisition» zu den besten Bioware-Spielen zählt.
Neben der Qualität des Spiels sorgt aber vor allem ein anderes Thema für lobende wie wütende Foreneinträge, und das seit Monaten: die sexuelle Orientierung einiger «Inquisition»-Charaktere.
Wie in den beiden Vorgängern hat der Spieler auch im neuesten Serienteil die Chance, Romanzen mit Spielfiguren einzugehen. Ähnliches erlauben auch andere Bioware-Spiele, die Science-Fiction-Reihe «Mass Effect» bietet sogar Sex mit Aliens. Ein Muss sind die Beziehungen nicht, jedem Spieler steht frei, ob er sich auf Liebschaften konzentriert, oder nur auf Wildnis- beziehungsweise Weltraumschlachten.
In «Dragon Age II» waren alle vier der romantisch verfügbaren Charaktere potenziell bisexuell. Bei «Inquisition» hat Bioware nun entschieden, auch Figuren einzubauen, die sich nur für den Spieler interessieren, wenn er das passende Geschlecht gewählt hat. Ein Magier namens Dorian beispielsweise wurde schon im Sommer als erster ausschliesslich schwuler «Dragon Age»-Charakter beworben, weitere Figuren zeigt unsere Bildergalerie.
Für Nichtspieler mag der Einbau schwuler und lesbischer Figuren unspektakulär klingen, tatsächlich kommen homosexuelle Charaktere aber nur in wenigen Videospielen vor - und wenn, dann gern als überzeichnete Nebenfiguren oder gar als Bösewichte. Glaubwürdig wirkende Figuren wie Bill aus «The Last of Us» sind über praktisch alle Genres hinweg die Ausnahme.
Im Frühjahr hatten Zitate des Ubisoft-Schreibers Lucien Soulban Aufsehen erregt, lange vor der aktuellen Gamergate-Debatte, die sich zumindest teilweise um Frauenfiguren in Spielen dreht. Soulban, selbst schwul, war gefragt worden, wann wohl mal ein Blockbuster-Spiel mit schwuler Hauptfigur auf den Markt komme. Seine Antwort: «Nicht in nächster Zeit, vermute ich, wegen der Ängste, dass es die Verkäufe beeinträchtigen könnte.»
Zumindest bei Bioware, das zu Electronic Arts (EA) gehört, scheinen die Entwickler derartige Bedenken hinter sich gelassen zu haben. Die Romanzen auch zwischen gleichgeschlechtlichen Figuren sind längst ein Spielaspekt, auf den bei Produktpräsentationen explizit hingewiesen wird, ein Marketingvorteil. Schon beim Erstellen des eigenen Charakters haben Spieler viel Freiheit, neben dem Geschlecht lassen sich etwa Dinge wie die Kopfform und das Make-up festlegen. Männliche Spieler können zur vorsichtigen Fernkämpferin werden, weibliche zum muskelbepackten Berserker.
«Uns war Vielfalt in unseren Spielen schon immer wichtig», sagte «Inquisition»-Produzent Cameron Lee im Interview mit SPIEGEL ONLINE, «sowohl was die Geschlechter als auch die Sexualität betrifft.»
Natürlich liest Lee aber auch Kommentare von Spielern, die sich an homosexuellen Charakteren im Fantasy-Universum stören. Unter Dorian-Videos auf YouTube zum Beispiel fallen Sprüche wie «Das ist schlimmer als Frauenrechte und Rechte für Farbige zusammen» und «Lesben sind okay, aber bitte keine Schwulen». «Das stört uns aber nicht», sagt Lee. Seiner Schätzung nach besteht die «Dragon Age»-Spielerschaft übrigens zu 50 Prozent aus Frauen, ein für Blockbuster-Titel ungewöhnlich hoher Wert.
Für das Donnerstag erscheinende «Inquisition» haben sich Lee und sein Team vorgenommen, glaubwürdigere Romanzen zu bieten als etwa in «Dragon Age: Origins». Im ersten Serienteil lief das Anbandeln darauf hinaus, bestimmten Personen passende Geschenke zu machen. «Das war ein System, wie es typisch für Videospiele ist», sagt Lee.
Im neuen Teil sei nun vor allem die Interaktion mit verschiedenen Figuren relevant. Es soll wichtig sein, ob jemand die Aktionen und Entscheidungen des Spielers gutheisst. «Beziehungen bauen sich natürlicher auf, wie in der echten Welt», verspricht der Produzent.
Wie gut das System wirklich funktioniert, wird sich in den kommenden Wochen zeigen, wenn die Spielerschaft ihr Urteil über «Inquisition» fällt. Fest steht schon jetzt, dass neben den homosexuellen Figuren auch ein zweites Thema Diskussionen hervorrufen wird: die geskripteten Sex-Szenen, die es auch im neuen Teil gibt. In den bislang erschienenen Spielen muteten diese Clips eher hölzern an als realistisch. «Bioware war lange Zeit der König der peinlichen Videospiel-Sexszenen», schrieb neulich das Onlinemagazin «Kotaku». Explizite Erotik gibt es auch in anderen Titeln wie denen der in Polen entwickelten «The Witcher»-Reihe. Dort allerdings mit einer Videospiel-typischen und reichlich geschmacklosen Mechanik: Für jede weibliche Spielfigur, mit der die Hauptfigur ins Bett steigt, erhielt man im ersten Teil eine Sammelkarte mit Pin-Up-Motiv.
Dass die vermeintlichen Höhepunkte der Spielbeziehungen nicht überall auf Begeisterung stossen, weiss Cameron Lee: «Es gibt technische Limitationen, die solche Szenen beschränken und sie ein bisschen unbeholfen wirken lassen», sagt er, mit dem Zusatz, dass man bei «Inquisition» nun deutliche Fortschritte gemacht habe. Grundsätzlich sei es aber schlicht einfacher, glaubwürdige Actionsequenzen zu animieren, als Momente voller menschlicher Emotion und Intimität.
Schlagzeilen haben die erotischen Passagen aus «Inquisition» schon am Montag gemacht: Diverse Medien berichteten, Electronic Arts wolle das Spiel unter anderem in Indien gar nicht auf den Markt bringen. Auf seiner Website schreibt der Publisher, er befürchte, das Spiel könne mit Gesetzen zum Schutz vor Obszönitäten kollidieren. Ob das nun wirtschaftlich vernünftige Vorsicht ist oder ein «Sex sells»-Werbegag mit Blick auf andere Märkte, bleibt offen.