Eigentlich wollte Liliane Suter ja nicht mit der Zeitung über ihr Smartphone-loses Leben sprechen. Als sie aber überlegte, wen sie dem Journalisten sonst für ein Interview vorschlagen könnte, kam ihr kaum jemand in den Sinn.
«Ich kenne nur zwei Personen aus meiner Generation, die sich auch lange gegen Smartphones wehrten. Die eine hat mir kürzlich gestanden, dass sie sich eines zugetan hat und mich ‹verlassen› müsse», erzählt die 27-Jährige beim Kaffee in Bern. «Ich bin jetzt fast allein.»
Praktisch alle 16- bis 36-jährigen Schweizer haben heute ein Smartphone. Die Vertreter der sogenannten «Generation Y» können schlicht nicht mehr ohne ihre digitalen Alleskönner im Hosensack. Liliane Suter aber trotzt dem Trend.
Ihr Handy («irgendein Nokia, ich weiss nicht genau was für eins») ist ein Occasion-Modell, ein Geschenk einer Kollegin. «Das Natel bedeutet mir sehr wenig. Manchmal wärs mir lieber, ich hätte gar keins», sagt die angehende Kinderärztin, während sie in ihrem Rucksack nach dem alten Nokia sucht.
Was haben Sie denn gegen Smartphones, Frau Suter? «Gar nichts, wirklich!» Aber dieses ständige Konsumieren, dieses ständige auf-Draht-Sein, das wolle sie einfach nicht mitmachen.
Hätte sie ein Smartphone, dann fände sie keine Ruhe mehr, dann könnte sie auf ihren langen Zugfahrten ins Kantonsspital Bellinzona nicht mehr ungestört Tagträumen und dann könnte sie nicht mehr ohne schlechtes Gewissen einfach mal einen Tag lang warten, bevor sie auf Nachrichten reagiert.
«Jetzt geht das prima.» Wütend geworden sei jedenfalls noch nie jemand über ihren nicht gerade Generation-Y-konformen Antwort-Rhythmus.
Liliane Suter fürchtet sich davor, dass ihre Generation sich zusehends in die soziale Isolation wegbeamt. «Dass die Dinger die Menschen verbinden, ist eine Illusion. Ich habe eher den Eindruck, dass viele ihr Umfeld gar nicht mehr wahrnehmen», sagt sie.
Zudem sei die «Kommunikation» untereinander ja oft «eher bedeutungsarm». Die Frau aus Beinwil AG hat noch nie eine Whatsapp-Nachricht oder eine Snapchat-Message verschickt.
Wenn sie hört, was ihre Bekannten da manchmal über die digitalen Frequenzen absondern, dann erinnert sie das «vermissdi»-, «Ohmeingott»- und «was machsch?»-Gedöns manchmal an ihr Austauschjahr in Texas. Ihr fiel damals auf, dass junge Amerikaner ständig kommunizierten, aber dabei erschreckend wenig sagten.
Damals in Texas hat Liliane Suters Gastschwester ihr einen Facebook-Account eingerichtet, damit sie in Kontakt bleiben können. «Ich war lustigerweise eine der ersten in meinem Bekanntenkreis mit einem Facebook-Profil», erzählt sie.
Ein Foto hochgeladen habe sie aber noch nie. Apropos: Selfies? Handyfotos? Fehlanzeige. Auf ihrem alten Nokia sind drei verwackelte Bilder gespeichert. «Alle von meiner Vorgängerin, offenbar von 2009», sagt Liliane Suter und drückt sich durch die Bildergalerie. Kein Switchen, kein Scrollen, kein Zoomen, sondern zähes Gummitastendrücken.
Über den Selfiewahn ihrer Zeitgenossen kann Liliane Suter nur staunen. «Alle wollen die ganze Zeit alles festhalten und verunmöglichen sich dadurch, den Moment, den sie festhalten, überhaupt zu erleben.»
Es scheine ihr manchmal, als stehe das Erleben sowieso nicht mehr im Zentrum, als gehe es nur noch ums Präsentieren des vermeintlich Erlebten. Been there, done that, pictured it. «Jeder will allen zeigen, wie glücklich er ist. Und damit macht man das Glücklich-Sein irgendwie von der Reaktion der anderen abhängig, und das steht dann alles auf ganz, ganz wackligen Beinen.»
Und die ganzen Pokémon-Jäger, die auf ihren digitalen Jagdausflügen mit starrem Blick auf die blinkenden Screens gemeingefährlich durchs Leben stolpern? «Wow», meint Liliane Suter nur. Sie habe letzthin acht Buben im Botanischen Garten in Porrentruy dabei beobachtet. «Wow.» Langes Kopfschütteln.
Isch das dr Ändpunkt vo’r Entwicklig vo füftuusig Jahr fragte sich schon Mani Matter im Lied «Nei säget sölle mir» und kritisierte die technologische Fremdbestimmung des Lebens. Das war 1973. Und 2016 fragt sich das auch Liliane Suter manchmal.
Eigentlich immer, wenn sie Menschen beobachtet, die reflexartig zu ihren Smartphones greifen, wie Pawlowsche Hunde, konditioniert zwar nicht aufs Sabbern, aber aufs Surfen, Switchen, Snappen. «Ich verurteile diese Menschen aber absolut nicht, ich bin ja nicht anders. Ich habe nur einen einzigen Entscheid anders gefällt.»
Letzte Frage: Was, wenn man ihr ein Smartphone mit unlimitiertem Datenvertrag schenken würde? «Dann lehnte ich dankend ab.» Auch wenn alles gratis wäre: Der Preis, ihren Alltag von einem Smartphone bestimmen zu lassen, wäre ihr viel zu hoch.