Als ein einfach gestrickter Holzfäller nach einem Tagesausflug in sein trautes Heim zurückkehrt, steht er plötzlich vor den Trümmern seiner Existenz. Die Wut ist gross, der Hass brodelt im Bauch und der wortkarge Einsiedler schwört blutige Rache. Mehr über die Hintergründe sollen hier nicht verraten werden, denn das Spiel entwickelt den bestmöglichen Sog ohne die geringsten Vorkenntnisse. Nicht vorhersehbare Wendungen und Story-Details werden euch regelmässig mit grossen Augen vor dem Bildschirm zurücklassen. Versprochen!
Gegen wen oder was ist unsere Spielfigur eigentlich so wütend? Und warum wurde gerade er zum Ziel eines scheusslichen Aktes? Und was hat es mit der mysteriösen Waffe auf sich, die zurückgelassen wurde? Fragen über Fragen. Sicher ist nur, dass der Gepeinigte die Gunbrella schnappt und in Richtung Stadt marschiert, um Antworten zu finden. Also, alles nur eine simple Rachegeschichte? Oh nein!
Schon in den ersten Minuten wird klar, das ist kein lustiger Pixel-Spass, der uns durch quietschbunte 2D-Levels begleiten wird. Dunkle Farben, tiefe Töne und schlechtes Wetter machen uns klar, dass diese Geschichte kein heiterer Spaziergang werden wird. Die titelgebende Gunbrella wird uns in diesem Side-Scrolling-Abenteuer begleiten und uns helfen mit roher, blutiger Gewalt Antworten zu finden.
Die Waffe, eine Mischung aus Schrotflinte und Schutzschirm, wird zu unserem besten Freund. Mit ihm können wir auf höhere Ebenen hüpfen, gleiten, schweben, schwingen und tauchen. Und wenn wir wollen, dürfen wir die Waffe bei Händlern upgraden, stärker machen und andere Kugelvariationen aus ihr herauskitzeln. Wahrlich ein perfekter Begleiter, der uns in den kommenden düsteren Stunden oftmals das Leben retten wird.
Doch «Gunbrella» ist noch viel mehr als diese unkonventionelle Waffe und geschmeidige, butterweiche Plattform-Kunst. Der Durst nach Rache führt uns in eine Stadt, die in unterschiedliche Sektoren unterteilt ist und jeweils zusätzliche Abschnitte besitzt, die vorerst nicht passierbar sind. Einfach durchrennen und durchballern geht also nicht.
Wie ein Detektiv muss der Holzfäller mit den Bewohnern sprechen, ihnen auf den Zahn fühlen, bestimmte Informationen aus ihnen herauskitzeln, um zu erkennen, wie er von A nach B kommt. Mal reicht es ein bestimmtes Ticket zu ergattern, mal muss er sich konkret um Menschen kümmern, die verschwunden sind oder bestimmte Gegenstände auftreiben, damit sich der Weg zum Weiterkommen öffnet.
Auf der Spurensuche gelangen wir immer tiefer hinein in eine krude Welt, die wir beginnen Schritt für Schritt, Abschnitt für Abschnitt genauer zu verstehen. Wir werden Zeuge einer kaputten Gesellschaft, welche unter den Folgen einer ausbeuterischen Industrialisierung leidet und wie die Politik zum Schosshund einer okkulten Gruppierung wurde.
Die Gesetzeshüter wurden zu überheblichen Menschen in schicken Uniformen, die Mitbürger tyrannisieren. Gangster und Monster schleichen Hand in Hand in der versifften Stadt umher. Und mittendrin huscht unser Holzfäller durch die Gassen auf der Suche nach Antworten, nach der Erlösung und nach dem Gunbrella-Macher.
«Gunbrella» ist ein Genuss. Schon in den ersten Minuten umhüllt uns eine düstere Stimmung und zieht uns trotz niedlicher Pixelgrafik immer tiefer hinab in eine Welt, die vor Negativität nur so strotzt. Da mag es noch so witzige Dialoge und knuffige Charaktere geben, die unseren Weg kreuzen, die Message ist klar: In dieser dreckigen Welt voller falscher Menschen möchte man nicht leben.
Je tiefer man ins Spiel hineindringt, desto mehr Informationen geraten an die Oberfläche und treiben unsere Motivation an, alles aus den Figuren zu holen, die gesamte Hintergrundgeschichte um eine verkorkste Klassengesellschaft und fehlgeleiteter Wissenschaft aufzudecken und dem knurrigen Holzfäller endlich seine Erlösung zu schenken.
Trotz düsterer Atmosphäre und sozialkritischen Hieben in die Magengrube, die uns während den ca. zehn Stunden Spielzeit regelmässig zum Sinnieren verleiten, entwickelt das Spiel mit seiner geschmeidigen Spielweise einen wunderschönen Sog. Unser Holzfäller lässt sich punktgenau durch die Levels steuern, bewegt sich mit grosser Anmut über die Spielwiese und hüpft, gleitet und ballert aus einem Guss über unseren Bildschirm, dass wir davon kaum genug bekommen.
Zusätzlich werden unsere Ohren mit einem fantastischen Soundtrack gesegnet, der dazu führt, dass wir an einigen Stellen der Spielfigur eine Ruhepause gönnen, um einfach nur der Musik zu lauschen. Dumpfe Industrial-Klänge paaren sich mit Retro-Synthwave-Stücken und werden mit jazzigen Sounds umwoben. Ein Audio-Fest für die Sinne.
Fazit: «Gunbrella» ist ein spielmechanisches und audiovisuelles Pixel-Fest, das zusätzlich mit inhaltlichen Höhepunkten serviert wird. Die Geschichte, wo eine verkorkste Gesellschaftsordnung uns auch noch in den Träumen heimsucht, zieht uns mit vielen Fragen und Mysterien immer tiefer hinein und präsentiert eine schaurig schöne Welt, die mit einem wahnsinnig guten Artdesign plausibel und detailverliebt an uns herangetragen wird. Die Steuerung ist punktgenau, samtweich, lässt uns bei der grössten Hektik nie im Stich und empfängt den Spielspass jederzeit mit offenen Armen. «Gunbrella» ist manchmal schweisstreibend, knallhart und dann wiederum wohlwollend und wuselig. Ich liebe es!
«Gunbrella» ist erhältlich für Nintendo Switch und PC. Freigegeben ab 16 Jahren.