Die Techniker des Datacube arbeiten daran, sich überflüssig zu machen. In diesen Tagen schliessen sie die Projektphase ab. Danach soll der fensterlose Quader aus Chromstahl ohne menschliche Präsenz funktionieren. Die Maschinen übernehmen die Kontrolle.
Der geheimnisvoll schimmernde 24-Millionen-Bau in Münchenstein BL ist ein Rechenzentrum der Superlative. Es sei das innovativste der Schweiz, wirbt Bauherrin Quickline, die zweitgrösste Kabelnetzbetreiberin der Schweiz nach UPC Cablecom. Die Bauzeit von elf Monaten sei zudem die kürzeste, in der je ein Datencenter aus dem Boden geschossen sei. Die technische Entwicklung ist allerdings noch schneller. Nach einem Jahr in Betrieb ist das Konzept bereits überholt.
Der Datacube wird als «Luxushotel für Server» angepriesen. Die Kunden bringen ihre eigenen Server und bezahlen rund 2000 Franken für die Lagerung in einem Rack mit Platz für 54 Servereinheiten. Der FC Basel mietet davon gleich ein paar.
Doch inzwischen sind nicht nur Lagerplätze für Server gefragt, sondern vermehrt Speicherkapazitäten für die Cloud. Die Kunden wollen nicht ihre eigenen Server ins Rechenzentrum bringen, sondern ihre Daten auf bestehenden Servern speichern. Der Datacube rüstet nun um. Die Prospekte, die im Eingangsbereich aufliegen, der natürlich «Lounge» heisst, müssen umgeschrieben werden.
Bei der Eröffnung vor einem Jahr frohlockte die Firma, bis Ende Jahr die Gesamtfläche vermietet zu haben. Davon ist sie weit entfernt. Der Hauptmieter ist gemäss Informationen der «Schweiz am Sonntag» der Pharmakonzern Roche, der ein gesamtes Stockwerk und damit knapp die Hälfte der 2500 Quadratmeter reserviert hat. Effektiv belegt hat er 600 Quadratmeter. Auf der anderen Etage füllen die übrigen Kunden wie der FCB erst einen Zehntel der verfügbaren Fläche. Der Datacube spürt den Konkurrenzdruck eines rasant wachsenden Marktes.
Der Boom der Schweizer Rechenzentren begann vor sechs Jahren und erreichte einen ersten Höhepunkt mit der NSA-Affäre 2013. Die USA gelten seither endgültig nicht mehr als zuverlässige Datenwächter. Die Schweiz hingegen wurde als sicherer Datenhafen in Europa entdeckt. Sie hat sich zum Land der Daten-Tresore entwickelt dank der Errungenschaften, die einst den Erfolg des Finanzplatzes begründeten: politische Stabilität und Datenschutz. Mittlerweile werden hierzulande 20 Prozent des europäischen Datenvolumens verwaltet. Über eine Milliarde Franken wurden in den vergangenen fünf Jahren in neue Rechenzentren investiert.
Franz Grüter, Verwaltungspräsident von Green.ch, ist der Pionier im Schweizer Datencenterbau. Er erinnert sich: «Es gab schon früh Kritiker, die vor einem Schweinezyklus und ersten Konkursen warnten.» Eingetroffen sei das Gegenteil. Mittlerweile sei das Wachstum zwar abgeflacht, aber es gehe weiter.
Grüter hat durch die grossen Streiks in Frankreich Kunden gewonnen. Gleich zwei Konzerne hätten danach ihre Rechenkapazitäten in die Schweiz verlegt. Bei der Rede über Europa zeigt Grüter sein zweites Gesicht, jenes des SVP-Nationalrats. Er sagt: «Je turbulenter es in der EU zugeht, desto attraktiver wird die Schweiz.» Der Gedanke an sein Portemonnaie lässt ihn aber auch von SVP-Positionen abweichen. Er kämpft für Datenschutz und sagt: «Um unseren Standortvorteil zu behalten, dürfen wir den Überwachungsstaat nicht zu stark ausbauen.»
Die Währung auf dem Schweizer Datenmarkt ist die Sicherheit. Im Münchensteiner Datacube überwacht kein Portier den Zugang, sondern eine Sicherheitsmaschinerie wie aus einem James-Bond-Film. Mit dem Badge lassen sich nur die ersten Türen öffnen. Danach erreichen die Kunden, die rund um die Uhr Zugang haben, eine Schleuse mit einem Handvenen-Scanner. Er gleicht das Muster des Venenprofils der Handinnenflächen mit einem Referenzprofil ab. Diese Methode gilt als sicherer als Fingerabdrücke. Auch blutige Szenarien sind berücksichtigt: Mit einer abgehackten Hand lässt sich der Scanner nicht überlisten, da das Blut in den Venen zirkulieren muss.
Der Fingerabdruck eignet sich ausserdem nicht für jedermann: Just ein Kunde des Datacube hat einen seltenen Gendefekt, der zu fehlenden Fingerprofilen führt. Einige Datencenter setzen auch auf Iris-Scanner, die allerdings Identifizierungsprobleme haben können bei veränderten Pupillen, etwa durch Alkoholkonsum. Gesellschaftlich sind sie weniger akzeptiert: Lichtstrahlen im Auge sind unbeliebt.
Im Datacube überwacht zudem eine Infrarotkamera, dass sich nur eine Person in der Schleuse aufhält, und speichert eine Ganzkörperaufnahme. Sie wird mit einem laufend aktualisierten Wärmeprofil verglichen. Wäre die Person viel dicker als beim letzten Besuch, bliebe die Tür geschlossen.
Der Rundgang durch den Datacube, an dem die «Schweiz am Sonntag» teilnimmt, wird von der Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst organisiert. Kunstdozent und Medienforscher Jamie Allen will seine Studenten mit dem Besuch an den Ort führen, wo das Internet zu Hause ist, und damit ein Bewusstsein für Infrastrukturen schaffen. Er erklärt: «Beim Poulet fragen wir uns, woher es kommt. Nicht aber bei den Daten.» Labels gibt es auch für sie, etwa über den Stromverbrauch. Der Datacube verbraucht etwa so viel Strom wie ein Dorf. Alle Rechenzentren zusammen verbraten 2,8 Prozent der Schweizer Elektrizität.
An der Präsentation der Sicherheitselemente stellt der Künstler fest, dass die Sicherheitsgadgets eine theatralische Komponente hätten. Die Quickline-Manager lachen und lassen die Behauptung im Raum stehen. Bisher sei es in der Schweiz jedenfalls zu keinem physischen Angriff auf ein Datencenter gekommen. Die grössere Gefahr ist virtuell: Hackerangriffe.
Für den Schutz milliardenteurer Pharmaforschung lohnt sich ein Hochsicherheitstrakt. Weniger sensible Daten könnten ebenso gut in einem einfacheren Rechenzentrum gelagert werden. Ein Datacenter ist aber auch eine Versicherung. Einige Kunden nehmen eine Überversicherung in Kauf. So verfügt der Datacube über einen Disaster-Recovery-Room. Sollte ein Erdbeben den Rocheturm in Schutt und Asche legen, könnten die Pharma-Informatiker hier Notarbeitsplätze beziehen.
Der Ort, wo das Internet zu Hause ist, ist ein inszenierter Ort. Der Datacube wurde zur Kunstform erklärt. Kürzlich erhielt er den Award für Marketing und Architektur, eine Auszeichnung für «Corporate Architecture». So wie eine Bank mehr ist als ein Lagergebäude für Geld, ist das Datencenter mehr als ein Serverraum. Der Chromstahlbau ist ein Statement über ein neues Geschäftsmodell der Schweiz.
Wenn man den FC Basel bei einem Datencenter als Kunden nennen muss, hat man vermutlich nicht sehr viele weitere. Schlussendlich ist der Verein nämlich "nur" ein KMU wie jedes andere auch...