Wenn Journalisten Ärger wollen, schreiben sie unvorsichtig von den «kriminellen Haidern» des «Mobbing-Opfers» Rainer Winkler. Winkler ist der mit YouTube bekannt gewordene «Drachenlord», und die «Haider» sind seine Antifans, die sich nach seiner fränkischen Aussprache von «Hater» (Hasser) selbst so genannt haben.
Es sind Menschen, die seit Jahren jeden Schritt Winklers verfolgen und im Netz kommentieren, mit dem Ziel, Winkler maximal zu demütigen. Sein Leben mit vielfältigen Problemen konsumieren sie wie eine Soap – immer in gespannter Erwartung von Peinlichkeiten und Ärger durch Provokationen.
Seit Jahren geht das so, und das hört auch deshalb nicht auf, weil Winkler für sein Geschäftsmodell Aufmerksamkeit und dafür Konfrontationen vor den Kameras braucht.
Ohne das ungleiche Kräftemessen mit den «Haidern» wäre es um den bald 34-Jährigen schnell ruhig – und das will er auch nicht. Durchaus trotzig erklärt er auch immer wieder Haidern den Krieg, sieht sich auf ewig «unbesiegt» und schlägt Hilfsangebote in den Wind.
Wer öffentlich für Winkler Partei ergreift und die Haider reizt, dem kann es passieren, in das menschenverachtende «Drachengame» einbezogen zu werden. Dann werden schon einmal massenhaft Pizzen an die Adresse des Unterstützers bestellt.
Rainer Winkler ist nun allem Anschein nach gerade Opfer krimineller Haider geworden. Im Netz prahlten die mutmasslichen Täter sogar.
Winkler wurden Andenken und alte Videos gestohlen, die er bei einem der grössten privaten Lagerraumanbieter abgestellt hatte. Sie sind aus dem Standort von MyPlace‐SelfStorage in Nürnberg entwendet worden. Winklers geliebtes Masterschwert aus der Videospiel-Reihe «The Legend of Zelda» ist weg. Er vermisst auch den silbernen «Play Button» von YouTube, eine Auszeichnung, die er für 100'000 Abonnenten erhalten hatte.
Winkler hat Anzeige erstattet, die Polizei ermittelt – und das finden jetzt auch viele aus der Szene richtig. In den Chats attackieren manche die Tatbeteiligten, andere räumen zumindest ein: Es ist wieder jemand zu weit gegangen. Es ist ein Lehrstück über verrutschte Massstäbe, Sensationsgeilheit und Hoffen auf Applaus.
Dabei sind die «Haider» keine homogene Masse: Als Rainer Winkler wegen Übergriffen gegen Störer vor seinem Haus und wegen Polizistenbeleidigung vor Gericht stand, sassen auf den wenigen Zuschauerplätzen für Haider auch Akademiker.
Auch dort finden sich Menschen, die in der freien Zeit jede Regung des Drachenlords und die Reaktionen darauf verfolgen: nicht so dumm, selbst Strafbares zu unternehmen – skrupellos genug, um als begieriger Zuschauer die fragwürdige Unterhaltungsshow am Laufen zu halten, wie Winkler auf Nachstellungen reagiert und mit Versprechungen über Veränderungen in seinem Leben scheitert.
Einer, der seit Langem in der Szene ist und dort einen Namen hat, erklärt T-Online: «Man sagt im Game, du veränderst nicht den Drachenlord, sondern der Drachenlord verändert dich.»
Das sei auch bei dem Diebstahl der Fall. Die Moral- und Gesetzesvorstellungen seien verrutscht, «wenn ich sehe, wie ein paar Leute einfach meinen, Einbruch und Diebstahl ist okay, wenn's um den Drachenlord geht».
Aber weil einer der Beteiligten auch Anhänger habe, «die ihn verteidigen, egal, was er macht», will der Drachenlord-Kenner hier nicht mal mit seinem Pseudonym im Netz auftauchen. «Das ist Ärger, den ich mir ersparen möchte.»
Haider fürchten andere Haider.
Die Haltung der mutmasslichen Täter ist dabei ziemlich klar: Eine mehrköpfige Gruppe hatte nichts Besseres zu tun, als Fotos zu machen, wie sie im Lager unterwegs ist. Sie rühmten sich mit den erbeuteten Trophäen aus Winklers Bestand und berichteten, dass sie danach an die «Drachenschanze» gefahren seien, Winklers früheren Wohnsitz. Dort hinterliessen sie auch noch wie eine Visitenkarte den Schriftzug des mutmasslichen Haupttäters Klonter77 und machten davon Fotos.
Viele der Postings und ganze Accounts sind inzwischen verschwunden. Der Account «Speergruesse» hat allerdings die in sozialen Netzwerken kursierenden Prahlereien gesammelt, mit denen die Gruppe sich selbst belastet hatte. Auf Twitter und YouTube veröffentlichte er sie. Seine Erklärung zu T-Online:
Winklers Elternhaus, in dem er viele Jahre lebte, ist heute abgerissen. Er hatte es der Gemeinde Markt Emskirchen verkauft, die endlich Ruhe im Ortsteil Altschauerberg haben wollte: Winklers Adresse war Pilgerstätte. Teils weit angereiste Besucher riefen nach ihm und er brüllte Drohungen zurück.
Er strahlte nachts taghell Richtung Strasse, liess Alarm losheulen und stellte Livebilder einer Überwachungskamera ins Netz. Als er schliesslich Ende Februar 2022 aus dem Haus auszog und zunächst mit einem Ford durch Deutschland tourte, brauchte er zumindest ein wenig Lagerfläche.
Und dort stand jetzt offenbar Klonter77 mit bis zu sieben weiteren Haidern. Auf einem Discord-Server verbreitete er sogar noch in Details zur Tat: «Einfach mit Schlüssel und Code aufgemacht und ausgeräumt. War dem Personal dort auch maximal egal», schrieb er. Die Pressestelle hat auf eine Anfrage dazu nicht reagiert. Wie er an Schlüssel kam, ist unklar.
Auf die Kritik aus der eigenen Szene reagierte der mutmassliche Täter Klonter77, indem er in die Offensive ging: «Jetzt wird hier Moral geheuchelt, aber jeder will die Rudi-Tapes sehen. Wenn es euch nicht gefällt, warum mache ich das überhaupt?»
Die «Rudi-Tapes» sind Videos aus Lebzeiten von Winklers inzwischen verstorbenem Vater Rudi, die offenbar Klonter77 auch zum Herunterladen für andere bereitstellte. An die habe sich doch kaum jemand erinnert. Bei Winkler «wären sie verrottet», man habe sie «geborgen».
Offenbar haben sich die Täter als Dienstleister für die Haider gesehen und gedacht, dass sie mit ihrer Aktion auf uneingeschränkten Applaus stossen würden.
Doch viele Haider finden die Aktion «nicht okay». Das ist das zumindest das Stimmungsbild unter rund 500 Kommentaren. Der Kanal «Der heilige Ofenkäse» hatte um Meinungen gebeten, nur etwa jeder Fünfte reagierte mit «okay». Die, die den Diebstahl kritisieren, waren dabei aber nicht unbedingt getrieben von Gesetzestreue: Die Aktion sei schlecht, weil sie Winkler Mitleid und Spenden bringe, schrieben manche.
Der mutmassliche Rädelsführer Klonter77 erklärt T-Online, er habe «eine ganz andere Moralvorstellung als die meisten, wenn es um den Drachenlord geht»: «Ich konnte dort das ganze Geschrei nicht ganz nachvollziehen.» Winklers Anzeige sei vielleicht gar nicht «gültig», weil die Gegenstände ihm möglicherweise gar nicht mehr gehörten, da er vielleicht das Lager nicht bezahlt habe und auch gar nicht selbst der Mieter gewesen sei. Eine verwegene Interpretation.
Klonter77 hat in der Vergangenheit selbst mehr als 20'000 Abonnenten bei YouTube gesammelt, und das vor allem mit Videos, in denen er Winklers Auftritt kommentiert. Dabei zeigt er auch sein Gesicht in die Kamera, Winkler kennt ihn offenbar auch: Zumindest beendete der «Drachenlord» einen eigenen Beitrag über den Diebstahl mit einem Gruss an Klonter77: «Wir sehen uns vor Gericht.» Und: «Es gibt auch genug Anhaltspunkte, wer es war.»
Diese Hinweise dürften die Polizei Mittelfranken in Nürnberg beschäftigen. Offiziell richten sich die Ermittlungen bislang noch gegen unbekannt, so ein Sprecher zu T-Online.
Angezeigt worden sei die Tat am 22. Juni. Zugetragen habe sie sich demnach im Laufe des 17. Juni. Das ist der Tag, an dem auch Klonter77 und weitere mit Fotos der Gegenstände prahlten und an Winklers früherer Adresse ihre Spuren hinterliessen.
Umfang des Diebesguts sowie das Vorgehen des Täters oder der Täter seien Gegenstand der Ermittlungen, so die Polizei. Wahrscheinlich wurde es ihr selten so leicht gemacht.
(t-online/dsc)