Thomas Friedman ist geopolitischer Kommentator bei der «New York Times» und gehört zu den einflussreichsten Journalisten der Gegenwart. Seine Sporen hat er sich als Korrespondent im Nahen Osten abverdient. In Sachen Israel weiss er also Bescheid. Um die Bedeutung des Wahlsiegs von Benjamin Netanyahu auch Nicht-Nahost-Experten vor Augen zu führen, greift er in seiner jüngsten Kolumne zu folgendem Vergleich:
Friedman ist kein einsamer Rufer in der Wüste. In der liberalen Presse des Westens hat der Ausgang der israelischen Wahlen allgemeines Entsetzen ausgelöst. So kommentiert beispielsweise die «Financial Times» heute:
Was ist geschehen?
Vor 18 Monaten hat Netanyahu die Wahlen gegen eine bunt zusammengewürfelte Koalition der nationalen Einheit knapp verloren. Für den ehrgeizigen und machtbesessenen 73-jährigen Mann war dies nicht nur eine narzisstische Kränkung, es war auch eine Bedrohung. Nach wie vor ist ein Verfahren wegen Korruption gegen ihn hängig, das ihn potenziell ins Gefängnis bringen kann.
Die siegreiche Koalition der nationalen Einheit ist in diesem Sommer zerbrochen, die Israeli wurden einmal mehr zur Urne gerufen. Netanyahu setzte alle Hebel in Bewegung, wieder an die Macht zu kommen, und scheute vor den dreckigsten Tricks nicht zurück. Weil er wusste, dass er mit seiner Likud-Partei allein keine Mehrheit in der Knesset, dem israelischen Parlament, erringen konnte, verbündete er sich mit zwei extremen Parteien am äussersten rechten Rand – der Jewish Power Party und der Religious Zionism Party – und konnte die beiden zu einer Fusion bewegen.
Bis anhin waren diese beiden Parteien Parias in Jerusalem. Selbst konservative Politiker gingen auf Distanz, und sie hatten dafür gute Gründe. Itamar Ben-Gvir, der Führer der Jewish Power Party, beispielsweise, pflegte «Tod allen Arabern» zu skandieren.
Dank der Fusion wurden die beiden extremen Parteien, die bisher eine Randerscheinung der israelischen Politik waren, unverhofft salonfähig und zur drittstärksten Kraft. Zusammen mit Likud verfügen sind nun über 64 Stimmen in der 120-köpfigen Knesset.
Mit seiner in der Hölle geborenen Koalition führt Netanyahu Israel nun auf einen ultranationalistischen Pfad. Nicht nur die Zwei-Staaten-Lösung ist damit endgültig gestorben, es besteht gar die Gefahr, dass die Araber mit einem israelischen Pass ausgebürgert und ausgewiesen werden sollen. Dabei sprechen wir von 21 Prozent der Bevölkerung, die einen Fünftel der Ärzte, Krankenschwestern und Apotheker stellen.
Damit nicht genug. Netanyahus extreme Koalitionspartner wollen auch die Westbank vollständig annektieren. Gleichzeitig werden sie alles unternehmen, um die Medien und auch den Obersten Gerichtshof politisch kontrollieren zu können. Mit anderen Worten: Sie ahmen nach, was Viktor Orban in Ungarn vorexerziert hat, angereichert mit offenem Rassismus gegen die Palästinenser.
Abgesehen von massiven Unruhen im Innern und den Palästinensergebieten riskiert Israel damit eine aussenpolitische Isolation. Die Freundschaft mit der Schutzmacht USA wird auf eine harte Probe gestellt werden. Senator Bob Menendez, ein Demokrat und Vorsitzender des aussenpolitischen Ausschusses, soll Netanyahu bereits im Wahlkampf gewarnt haben, dass eine Regierung mit Rechtsextremisten die überparteiliche Unterstützung aus Washington «ernsthaft gefährden» könnte.
Auch die dank des Abraham-Abkommens neu gewonnenen Freunde im Nahen Osten – Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – könnten sich wieder von Israel abwenden.
Bibi Netanyahu ist öfters mit Donald Trump verglichen worden. Israel wird gelegentlich als Versuchslabor, auch für die amerikanische Politik, bezeichnet. Netanyahus Sieg ist daher ein Schock, nicht nur für Israel. Nochmals Tom Friedman:
Das sind jetzt 20 Jahre nix als Rechtsextreme Boomer rund um den Planeten und es wird immer schlimmer. Wie langes soll das eigentlich noch gehen? Wenn man Typen wie Gerhard Schröder und die Clintons noch zu den Guten zählen muss, dann ist echt etwas schief gegangen. Die fackeln uns echt alles unter dem Hintern ab.