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Wollte Donald Trump seinen Vize Mike Pence entführen lassen?

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Bild: sda
Analyse

Wollte Donald Trump seinen Vize Mike Pence entführen lassen?

Neue Enthüllungen rund um die Ereignisse von 6. Januar zeigen, dass der Ex-Präsident wirklich sehr nahe an einem Staatsstreich war.
27.04.2022, 13:5427.04.2022, 14:18
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Jamie Raskin ist Professor für Verfassungsrecht und einer der führenden Abgeordneten der Demokraten. So hat er das zweite Impeachmentverfahren gegen Donald Trump geleitet. Er ist auch Mitglied des Ausschusses, der die Ereignisse rund um den 6. Januar abklärt.

Derzeit befindet sich der amerikanische Kongress wieder in Session, und zum Auftakt hat Raskin eine bemerkenswerte Äusserung getan: Bei den im Juni zu erwartenden Hearings werde «das Dach vom Kapitol» fliegen, kündigte er an. Das deutet darauf hin, dass in den bald 1000 Interviews, welche der Ausschuss mittlerweile mit Zeugen durchgeführt hat, spektakuläre Dinge zutage getreten sind.

FILE - Rep. Jamie Raskin, D-Md., speaks during the House select committee hearing on the Jan. 6 attack on Capitol Hill in Washington on July 27, 2021. In his book, Raskin discusses the devastating dea ...
Der Abgeordnete Jamie Raskin.Bild: keystone

Schon aus den bereits bekannten Dingen geht hervor, dass der Sturm auf das Kapitol keineswegs eine aus dem Ruder gelaufene Demonstration war, wie konservative Medien glauben machen wollen. Er war vielmehr der Höhepunkt eines geplanten Staatsstreiches, und dieser konnte nur in letzter Minute verhindert werden. Aber der Reihe nach:

Als Trumps Wahlniederlage feststand, traten zunächst seine Anwälte in Aktion. Sie überschwemmten die Gerichte in den entscheidenden Swingstates mit Klagen über angeblichen Wahlbetrug. Mehr als 60 solche Klagen wurden eingereicht, bis auf eine unbedeutende Ausnahme wurden alle abgeschmettert, teils von Richtern, die von Trump eingesetzt worden waren.

Als das Trump-Lager realisierte, dass vor Gericht kein Blumentopf zu gewinnen war – und ein paar peinliche Auftritte von Rudy Giuliani später –, wurde eine zweite Verteidigungslinie aufgebaut. In den Swingstates Michigan, Pennsylvania, Wisconsin, Arizona und Georgia erstellten die Republikaner alternative Elektorenlisten und reichten diese auch bei den zuständigen Stellen in Washington ein. Die dort aufgeführten Elektoren hätten selbstredend alle für Trump gestimmt und damit dem Ex-Präsidenten zu einer zweiten Amtszeit verholfen.

FILE - Chapman School of Law professor John Eastman testifies on Capitol Hill in Washington, on March 16, 2017, at a House Justice subcommittee on Courts, Intellectual Property and the Internet hearin ...
John Eastman. Der konservative Jurist verfasste ein Paper, in dem er den Coup rechtfertigen wollte.Bild: keystone

Gleichzeitig bastelte ein dubioser konservativer Verfassungsjurist namens John Eastman an einer vermeintlichen Rechtfertigung dafür, dass der Vize-Präsident Mike Pence die Zertifizierung der rechtmässigen Elektorenstimmen verweigern und stattdessen die illegalen Duplikate der Republikaner anerkennen konnte. Nach reichlicher Überlegung und Konsultationen mit Verfassungsexperten lehnte Pence jedoch ab und tat dies Trump auch am Vorabend des 6. Januars in aller Deutlichkeit kund.

Nun zündete das Trump-Team die letzte Stufe, den Sturm auf das Kapitol. Der Mob war zuvor planmässig nach Washington gerufen worden. Dann hielt Trump seine legendäre Rede, in der er zu einem Protest vor dem Kapitol aufrief. Dann wurde der Mob schliesslich zum Kapitol geleitet, das sich keineswegs gleich um die Ecke befindet, sondern rund drei Kilometer vom Ort der Demonstration entfernt ist.

Der Trump-Mob war gut organisiert. Vertreter rechtsextremer Gruppierungen wie der Proud Boys oder der Oath Keepers brachten Bärenspray, Seile und gar Nylon-Handschellen mit. Andere errichteten einen symbolischen Galgen, an dem der Vize-Präsident hätte gehängt werden sollen. Dieser wurde derweil zusammen mit den Abgeordneten und den Senatoren gezwungen, in Schutzräume zu fliehen.

All dies hatte zum Zweck, den Vize-Präsidenten zur Flucht zu bewegen. Ja, es kursiert neuerdings gar die Spekulation, Pence hätte vom Trump-hörigen Sicherheitsdienst entführt und auf einen Militärstützpunkt in Alaska gebracht werden sollen. Trump hätte daraufhin den Notstand ausgerufen und die National Guard einberufen. Unter dem Schutz dieser Truppen hätten die falschen Elektoren ihn dann für eine zweite Amtszeit bestätigt. Pence weigerte sich jedoch, in das bereitstehende Auto des Sicherheitsdienstes einzusteigen.

Die These der Entführung ist zwar noch spekulativ, doch Raskin macht bereits Andeutungen, die darauf hindeuten, dass etwas daran sein könnte. Er bezeichnet die Weigerung von Mike Pence als die «sechs furchterregendsten Wörter, die ich in dieser Sache bisher gesehen habe» und fügt hinzu: «Er (Pence) wusste genau, dass dies ein geplanter Inside-Coup war. Es war ein Coup, der vom Präsidenten dirigiert und gegen den Vize-Präsidenten und den Kongress gerichtet war.»

Zwei Reporter der «New York Times», Alexander Burns und Jonathan Martin, sind auch im Besitz zahlreicher Tonbänder, auf denen die Telefonate der Spitze der Grand Old Party rund um den 6. Januar aufgezeichnet sind. Sie zeigen, dass die Rennleitung der Republikaner die Schnauze voll hatte von Trump und seinen militanten Anhängern im Kongress.

FILE - House Minority Leader Kevin McCarthy, R-Calif., speaks to reporters at his weekly news conference, at the Capitol in Washington, March 18, 2022. McCarthy's handling of the Capitol attack,  ...
Hatte kurzzeitig kalte Füsse gekriegt: Kevin McCarthy, der Minderheitsführer der Republikaner im Abgeordnetenhaus.Bild: keystone

So ist auf diesen Tonbändern zu hören, wie Kevin McCarthy, der Minderheitsführer der Republikaner im Abgeordnetenhaus, erklärt, er werde nun Trump auffordern, zurückzutreten. Gleichzeitig werde er alles daran setzen, die Hitzköpfe wie Matt Gaetz, Rick Scott und Mo Brooks an die Leine zu nehmen. «Das Land ist derzeit zu verrückt», hört man ihn sagen. «Ich will nicht dereinst zurückschauen und mir vorwerfen lassen, dass wir etwas ausgelöst oder etwas übersehen hätten und dass deswegen Menschen zu Schaden gekommen sind. Ich will nichts damit zu tun haben.»

Inzwischen ist McCarthy längst wieder bei Trump zu Kreuze gekrochen und der ungekrönte König der GOP hat ihm verziehen. Ob der Burgfrieden innerhalb der Republikaner anhält, wird sich zeigen. Vielleicht bekommt Jamie Raskin ja recht – und das Dach des Kapitols fliegt in die Luft.

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Trump-Anhänger stürmen Kapitol
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Trump-Anhänger stürmen Kapitol
Am 6. Januar 2021 wurde das Kapitol in Washington von Trump-Anhängern gestürmt.
quelle: keystone / manuel balce ceneta
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AOC erklärt, was ihr während der Kapitolstürmung passiert ist
Video: extern / rest
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82 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ReMoo
27.04.2022 14:16registriert Dezember 2020
Was braucht es eigentlich noch um Trump und seine Spinner wegzusperren?
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stormcloud
27.04.2022 15:17registriert Juni 2021
Trump musste wegen Hochverrats angeklagt werden.
Aber ich fürchte, dass gibt wieder nur ein Geplänkel und Trump kommt mit verbalen Rüffeln davon...
Ich glaube, viele Amerikaner haben gar nicht realisiert, wie gefährdet ihre Demokratie war.
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Cpt. Jeppesen
27.04.2022 14:48registriert Juni 2018
Was ich faszinierend finde ist, dass immer jemand die Gespräche aufzeichnet. Es muss ja jemand aus dem inneren Zirkel sein, dem am Ende doch nicht wohl bei der Geschichte war.

An der Sache mit dem unterwanderten Secret Service könnte wirklich was dran sein. Bei der Amtsübernahme von Biden gab es wohl einige personelle Veränderungen im Secret Service.

Auch beim Militär scheint Mitverschwörer gegeben zu haben.

Bin gespannt was da noch kommt. Hoffentlich versauen es die Dems nicht wieder, im November sind Midterms.
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