Ein Impeachment-Verfahren gegen einen amtierenden amerikanischen Präsidenten ist keine Polit-Show. Es ist ein Instrument, das nur dann zu Anwendung gebracht werden darf, wenn triffige Gründe und vor allem Fakten vorliegen. Im Fall von Bill Clinton war dies das Kleid von Monica Lewinsky und die Tatsache, dass der Präsident einen Meineid begangen hatte. Im ersten Impeachment gegen Donald Trump gab es den legendären Telefonanruf an Wolodymyr Selenskyj, im zweiten Trumps Rolle beim Sturm auf das Kapitol.
Für ein Impeachment-Verfahren gegen Joe Biden gibt es keine überzeugenden Fakten. Kevin McCarthy, der Führer der Republikaner im Abgeordnetenhaus, hat trotzdem eine Voruntersuchung (impeachment inquiry) angekündigt, ein Vorgehen, das fast zwangsläufig in einem Impeachment-Verfahren münden wird. Es handelt sich also um eine sogenannte «fishing expidition», will heissen, die Republikaner werden alle mögliche und unmöglichen Beschuldigungen an die Adresse von Biden richten, in der Hoffnung, dass irgendetwas hängen bleibt.
Im Fall von Hillary Clinton und Bengasi hatte diese Taktik Erfolg. Obwohl der ehemaligen Aussenministerin keinerlei Verfehlungen beim Angriff von Terroristen auf die US-Botschaft in der libyschen Stadt nachgewiesen werden konnte, kam dabei die Sache mit den gelöschten E-Mails zutage, die Clinton wahrscheinlich die Wahl gekostet hat.
Ob dieser Trick auch bei Biden funktionieren wird, ist fraglich. Was McCarthy an Fakten zu bieten hat, ist jämmerlich. Das Einzige, was er konkret vorweisen kann, ist eine Aussage Bidens im TV-Duell mit Donald Trump. Damals erklärte Biden, sein Sohn Hunter habe nie Geschäfte mit China getätigt. Das war falsch.
Dabei ist Hunter Biden tatsächlich ein Problembär. Seine Geschäfte in der Ukraine und in China haben, wie der Schwabe sagt, ein «Geschmäckle». Das bestreitet auch niemand, selbst Hunter Biden nicht. Er hat sich in einer Autobiografie kübelweise Asche über das Haupt gestreut. Doch es gibt bisher keinen einzigen Beweis, dass Vater Biden von diesen Geschäften gewusst oder gar davon profitiert hat.
Alle Versuche der Republikaner, dies zu erhärten, haben sich als peinliche Flops erwiesen. Ein angeblicher Kronzeuge tauchte unter, weil er inzwischen selbst wegen unlauterer China-Geschäfte angeklagt wird. Soeben hat auch ein hoher FBI-Beamter den Vorwurf, die Untersuchungen gegen Hunter Biden seien vom Justizdepartement behindert worden, dementiert.
Nicht die Sorge um das Wohl der Amerikanerinnen und Amerikaner ist der Grund für das nun angekündigte Impeachment-Verfahren. Es dient einzig dazu, Trumps Rachegefühle zu befriedigen und seinen Anhängern «red meat», will heissen, politisches Fastfood, vorzuwerfen. Es sind die «Verrückten» wie Marjorie Taylor Greene und Matt Gaetz, welche das Impeachment-Verfahren um jeden Preis durchboxen wollen. Angesichts der minimen Mehrheit, über welche die Republikaner im Abgeordnetenhaus verfügen, können sie sich auch durchsetzen. Sie haben den Speaker McCarthy in der Hand.
Dabei wissen auch die besonnenen Republikaner – es gibt noch ein paar wenige, aber es handelt sich um eine aussterbende Spezies –, dass dieses Impeachment-Verfahren nicht nur unsinnig ist, sondern sich möglicherweise als Bumerang erweisen wird. Zu den Warnern gehört selbst Newt Gingrich, ein Mann, der sonst vor keiner Schandtat zurückschreckt.
Die Demokraten hingegen sind geradezu erfreut. Sie wissen, dass das Impeachment-Verfahren zu einer Bühne für die «Crazies» werden wird, und dass deren Spektakel bei den unabhängigen Wählerinnen schlecht ankommt. John Fetterman, der volksnahe Senator aus dem Bundesstaat Pennsylvania, bezeichnet das Vorgehen der Republikaner denn auch als «a big circlejerk on the fringe right». (Mein Chef und der Anstand verbieten es mir, dies wörtlich zu übersetzen.)
So gesehen dürfte das Impeachment-Verfahren das kleinste Problem sein, mit dem Joe Biden derzeit zu kämpfen hat. Trotz seines eindrücklichen Leistungsausweises und der Tatsache, dass die amerikanische Wirtschaft die Covid-Krise ohne Rezession überstanden hat, sind seine Beliebtheitswerte im Keller. Jüngste Umfragen zeigen, dass nicht einmal 40 Prozent der Amerikaner mit seiner Amtsführung zufrieden sind. Besonders erschreckend dabei ist die Tatsachen, dass Trump etwa gleichauf mit dem Präsidenten liegt.
Sicher haben Umfragen zu diesem Zeitpunkt einen sehr beschränkten Aussagewert. Doch allen Erfolgen der Biden-Regierung zum Trotz kann die alles entscheidende Tatsache nicht unter den Teppich gekehrt werden: Der Mann ist alt, und man sieht es. Dazu kommt, dass er mit der Wahl von Kamala Harris zur Vize-Präsidentin keine glückliche Hand hatte. Will er seine afroamerikanische Wählerschaft nicht vergraulen, kann er sie jedoch nicht auswechseln.
Die Demokraten geben sich bisher noch gelassen. Amtierende Präsidenten hätten zu diesem Zeitpunkt traditionell schlechte Umfragewerte, erklären die Partei-Strategen und verweisen auf das Beispiel von Barack Obama, dessen Werte 18 Monate vor seiner Wiederwahl noch mieser waren. Trotzdem tönen diese Erklärungen immer mehr nach Pfeifen im Walde.
Biden hat seinerzeit seine Präsidentschaftskandidatur damit begründet, dass er um jeden Preis eine Wiederwahl von Donald Trump verhindern wolle. Dieses Ziel hat er erreicht und obendrauf kann er einen eindrücklichen Leistungsausweis vorweisen. Jetzt aber warnt David Ignatius in der «Washington Post»: «Biden bringt seine grösste Tat in Gefahr, Trump zu stoppen.»
Deshalb könnte Biden seiner jetzt schon glorreichen Präsidentschaft die Krone aufsetzen: Er könnte einem jüngeren Kandidaten – oder vielmehr einer jüngeren Kandidatin – Platz machen.