International
Analyse

Wie mächtig sind Russlands Oligarchen? (Spoiler Alert: Nicht so sehr)

FILE - Chelsea soccer club owner Roman Abramovich sits in his box before their English Premier League soccer match against Sunderland at Stamford Bridge stadium in London, Dec. 19, 2015. Chelsea owner ...
Roman Abramowitsch hat den FC Chelsea an eine gemeinnützige Organisation übertragen – wenn er ihn überhaupt je besessen hat.Bild: keystone
Analyse

Wie mächtig sind Russlands Oligarchen? (Spoiler: nicht so sehr)

Putin hat die Wirtschaftsordnung umgekrempelt. Aus einem Wild-Ost-Kapitalismus wurde ein feudaler Staatskapitalismus, aus freien Unternehmern wurden Vasallen.
01.03.2022, 16:0601.03.2022, 16:28
Mehr «International»

Ob London oder Zug und Genf: Überall im Westen werden die Vermögen der russischen Oligarchen blockiert, in der Hoffnung, dass die mächtigen Wirtschaftsbosse Wladimir Putin zur Räson bringen werden. Doch Vorsicht: Haltet nicht den Atem an. Es ist kompliziert. Aber der Reihe nach:

Der Kollaps der Sowjetunion hat nicht nur die Welt, sondern auch den russischen Geheimdienst überrascht. Ungläubig und in Schockstarre mussten die einst allmächtigen KGB-Oberen zusehen, wie sich unter Boris Jelzin in Russland ein Raubtier-Kapitalismus der übelsten Sorte ausbreitete. Sie selbst hatten wenig Ahnung vom Spiel der freien Marktkräfte. Die Musik spielte bei den neuen, cleveren Geschäftsleuten wie Boris Beresowski, Wladimir Gussinski und Michail Chodorkowski.

Boris Jelzin beim Abrocken.
Boris Jelzin in Aktion.Bild: Keystone

Die aufstrebenden russischen Oligarchen verhielten sich, wie sich Kapitalisten nun mal verhalten. In der sogenannten Coupon-Privatisierung übertölpelten sie das gemeine Volk, eigneten sich die Perlen der russischen Wirtschaft für ein Butterbrot an und hielten ihre Steuerrechnung möglichst klein. Sie hielten sich jedoch an die kapitalistischen Spielregeln und das Gesetz. Selbst Jelzin hortete kein Milliardenvermögen, wahrscheinlich auch deshalb, weil er keine Ahnung von Geld hatte.

Es gab jedoch auch damals einen nennenswerten Korruptionsfall. Die Hauptrolle spiele dabei die in Lugano domizilierte Firma Mabatex. Sie war damit beauftragt, die Renovation des Kremls zu überwachen. Dabei sollen die Jelzin-Töchter mit Mabatex-Kreditkarten auf private Shoppingtour gegangen sein.

Der damalige russische Generalstaatsanwalt wollte den Fall untersuchen. Er wurde jedoch rasch gestoppt, denn der Geheimdienst, mittlerweile FSB genannt, veröffentlichte Videos, die ihn mit Prostituierten beim Sex zeigten. Und wie hiess der damalige FSB-Chef? Richtig. Wladimir Putin.

Die Jelzin-Familie bedankte sich bei Putin, indem sie ihn zuerst zum Ministerpräsidenten machte und ihm danach gar auf den Präsidenten-Thron half. Sie hielt ihn für einen der ihren, genauso wie die Oligarchen. Das war ein fataler Irrtum. Putins Loyalität galt einzig den sogenannten Silowiki, den ehemaligen KGB-Kumpels.

Diese waren mittlerweile aus ihrer Schockstarre erwacht und machten sich daran, die Macht wieder an sich zu reissen. Ein erster Coup war ihnen bereits geglückt. In St.Petersburg, wo Putin einst stellvertretender Stadtpräsident gewesen war, hatten sie eine neue Wirtschaftsordnung erfolgreich getestet: eine Zusammenarbeit von Silowiki und der Mafia. Diese Schicksalsgemeinschaft hatte sich bereits den wichtigen Hafen von St.Petersburg unter den Nagel gerissen.

Dieses Modell sollte in der Folge auf ganz Russland ausgedehnt werden. Doch zunächst galt es, die alten Oligarchen auszubooten. Als ersten erwischte es Gussinski. Das war kein Zufall, denn dieser beherrschte die damals wichtigste TV-Station des Landes. Ihm wurde zu verstehen gegeben, dass er die Wahl hatte, mit ein paar hundert Millionen Dollar abzuhauen – oder sich ein Loch im Kopf einzuhandeln. Gussinski verstand und flüchtete via London nach Israel.

Als nächster war Beresowski an der Reihe. Er, der sich einst eingebildet hatte, Putin entdeckt zu haben, wurde ebenfalls ins Exil nach London gedrängt, wo er schliesslich verbittert verstarb.

Der entscheidende Mann war jedoch Michail Chodorkowski. Dieser war damals nicht nur der reichste Mann Russlands. Mit Yukos besass er auch die grösste Erdölgesellschaft. Mit anderen Worten: Er sass auf den russischen Kronjuwelen. Zudem hatte er beste Kontakte zum Westen. Daher mussten die Silowiki sehr vorsichtig vorgehen. Das gelang mit einer gefakten Steuerbetrugsanklage und bestochenen Richtern. Die Angst vor einer Reaktion westlicher Investoren erwies sich als unbegründet, Chodorkowski verschwand sang- und klanglos in einem Straflager in Sibirien.

Mikhail Khodorkovsky, former CEO of the Yukos oil company seen in the defendants' cage during a trial in a Moscow court, Friday, April 8, 2005. Defense lawyers for the oil tycoon who was once Rus ...
Zehn Jahre weggesperrt: Michail Chodorkowski, der einst reichste Mann von Russland.Bild: AP

Die Entmachtung Chodorkowskis war ein entscheidender Wendepunkt in Russland. In ihrem vorzüglichen Buch «Putins Netz» schreibt Catherine Belton dazu: «Das war der Augenblick, in dem sich Russland politisch und wirtschaftlich unwiderruflich von der vom Westen vorangetriebenen globalen Vernetzung abwandte und stattdessen auf Kollisionskurs mit ihm ging.»

Mit anderen Worten: Es war das Ende des Raubtier-Kapitalismus und der Aufstieg eines Mafia-Staatskapitalismus.

Im Zentrum dieses Staatskapitalismus steht eine bis dahin kaum bekannte Bank, eine Art russische Antwort auf Bank Bär oder Vontobel. «Die Bank Rossija sollte das Herz des Finanzimperiums dieser Gruppe bilden, dessen Tentakel ganz Russland durchdrangen und auch weit bis in den Westen hinein reichen», stellt Belton fest.

Über die Rossija Bank werden die riesigen, vom Erdöl- und dem Erdgashandel abgeschöpften Gewinne verteilt. Diese befanden sich mittlerweile ebenfalls unter der Kontrolle der Silowiki. An die Spitze von Rosneft schickte Putin seinen ehemaligen Sidekick Igor Setschin. Nach der Einverleibung von Yukos war dieses Ölunternehmen zum grössten des Landes geworden. In Genf sorgt derweil Gennadi Timtschenko – wahrscheinlich ein ehemaliger KGB-Agent und einer von Putins engsten Freunden –, mit seiner Firma Gunvor dafür, dass das Geld auch in die richtigen Kanäle gelenkt wird.

Das Schicksal von Roman Abramowitsch zeigt beispielhaft, wie stark sich das Klima für die russischen Oligarchen verändert hat. Einst war er im Gefolge von Beresowski reich geworden. Putin schickte ihn zunächst für ein paar Jahre in die Provinz, wo er seine Loyalität zum neuen Regime unter Beweis stellen musste. Erst dann durfte er nach Grossbritannien ausreisen.

Doch auch in London kann Abramowitsch gemäss Belton keineswegs tun und lassen, was er will. Der Kauf des FC Chelsea ist weniger seiner Leidenschaft für den Fussball zuzuschreiben. Es handelt sich vielmehr um eine geglückte russische PR-Aktion. Belton zitiert Sergei Pugatschow, einst Banker von Jelzin und Putins Gnaden, wie folgt:

«Putin hat mir persönlich von seinem Plan erzählt, den Chelsea Football Club zu kaufen, um seinen Einfluss zu erhöhen und die Wahrnehmung Russlands zu stärken, nicht nur bei der Elite, sondern auch beim gewöhnlichen britischen Volk.»

Der FC Chelsea war auch Putins Eintrittskarte in die Fifa. «Er konnte den Club nutzen, um für Moskau als WM-Austragungsort zu werben», so Pugatschow. Inzwischen hat Abramowitsch den FC Chelsea an eine gemeinnützige Organisation übertragen – und die Fifa hat Russland bis auf Weiteres verbannt.

Unter Jelzin sassen die Oligarchen an den Schalthebeln der Macht. Jetzt sind sie Vasallen unter einem neuen Möchtegernzaren. Sie können zwar damit rechnen, in Zeiten der Not von Putin über Wasser gehalten zu werden. Aber sie bezahlen dafür einen hohen Preis. Jedes auch nur geringste Zeichen von Illoyalität wird bestraft – und zwar brutal.

Unter dem Regime der Silowiki leben die Oligarchen so in einem goldenen Käfig, aber auch in permanenter Angst. Jeder bespitzelt jeden, keiner kann dem anderen trauen. Belton führt das Beispiel der Magamedow-Brüder an – einst prominente Oligarchen der Hafenindustrie – und zitiert dazu einen nicht genannt sein wollenden Banker:

«Mittlerweile können sie jeden verschwinden lassen. Oligarchen. Minister. Niemand weiss, was im Fall der Magamedow-Brüder passiert ist. Sie waren Superoligarchen, und jetzt weiss niemand, wo sie sind.»
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Satellitenbilder: Russischer Militärkonvoi in der Ukraine
1 / 19
Satellitenbilder: Russischer Militärkonvoi in der Ukraine
Die 64-Kilometer-Kollonne der russichen Armee rollt auf Kiew zu.
quelle: keystone
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Dieses Video zeigt, wie beharrlich die Ukrainer die russischen Soldaten bekämpfen
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
33 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
FrancoL
01.03.2022 17:41registriert November 2015
Was Putin in seinem Land macht ist eine Schweinerei und der Angriff der Ukraine ist eine Schande und wir nie vergessen werden.

Dass alles ändert nichts an der Tatsache dass die Oligarchen nur durch Diebstahl zu ihrem Reichtum kamen und nun durch noch grössere Gauner rund um Putin bestohlen werden, was doch ein Schmunzeln aufkommen lässt.
800
Melden
Zum Kommentar
avatar
Liebu
01.03.2022 16:48registriert Oktober 2020
Wenn es nur Hampelmänner Putins sind, trifft es ja für einmal die richtigen.
742
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sälüzäme
01.03.2022 16:23registriert März 2020
So sieht es also aus wenn man den Teufel mit dem Belzebub austreiben will.

Könnte einer der Gründe sein warum Schröder sich nicht distanziert und DT Vladi so liebt und lobt, beide sind nicht ganz sauber.
670
Melden
Zum Kommentar
33
Eingefrorene russische Vermögen könnten schon bald die Ukraine finanzieren
Die Regierungen der USA und Grossbritanniens drängen darauf, die Zinserträge eingefrorener russischer Gelder an die Ukraine zu überweisen. Die Gelder würden für Munitionskauf und den Wiederaufbau der Ukraine verwendet.

Die Ukraine braucht dringend Munition und Geld. Der Munitionsmangel ist zu einem Grossteil auf beschränkte Produktionsmöglichkeiten zurückzuführen. Dass Geld fehlt, ist jedoch auf fehlenden politischen Willen zurückzuführen, wie der Economist schreibt.

Zur Story