International
Asien

Brüchige Waffenruhe in Berg-Karabach – Moskau und Berlin appellieren

epa08735931 Azerbaijan rescuers work on the devastated houses allegedly damaged by recent shelling in Ganja, Azerbaijan, 11 October 2020. Foreign Ministers of the Republic of Azerbaijan and the Republ ...
Aserbaidschanische Rettungskräfte suchen nach Verletzten in zertrümmerten Häusern in Ganja.Bild: keystone

Brüchige Waffenruhe in Berg-Karabach – Moskau und Berlin appellieren

11.10.2020, 17:27
Mehr «International»

In der Krisenregion Berg-Karabach haben sich die verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan nach den schwersten Gefechten seit Jahrzehnten auf eine Waffenruhe geeinigt. Allerdings war die Feuerpause, die seit Samstagmittag offiziell in Kraft ist, sehr brüchig. Beide Seiten warfen sich am Wochenende gegenseitig vor, dagegen zu verstossen. Russland als Vermittler erinnerte die zwei ehemaligen Sowjetrepubliken an ihre Zusagen, die unbedingt eingehalten werden müssten. Die Krise im Süden des Kaukasus hat international grosse Sorge ausgelöst.

Aserbaidschan berichtete am Sonntag von Artillerieangriffen der armenischen Seite auf eine Wohnsiedlung in Ganja, der zweitgrössten Stadt des Landes. Dabei sollen mindestens sieben Menschen getötet und mehr als 30 weitere verletzt worden sein. Unter den Opfern seien auch Kinder. Armenien dementierte. Man halte sich an die Waffenruhe, hiess es vom Militär. Hingegen habe Aserbaidschan erneut Angriffe auf Stepanakert gestartet, der Hauptstadt Berg-Karabachs. Die Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht bestätigt werden.

Die Feuerpause kam in der Nacht zum Samstag nach mehr als zehnstündigen Verhandlungen in Moskau unter Vermittlung des russischen Aussenministers Sergej Lawrow zustande. Beteiligt waren die Aussenminister aus Aserbaidschan und Armenien, Jeyhun Bayramov und Sohrab Mnazakanjan. Mit der Vereinbarung sollte auch gewährleistet werden, dass Gefangene ausgetauscht und tote Soldaten in die Heimat überstellt werden können. Der Plan wurde jedoch nicht umgesetzt.

Seit Beginn der neuen Gefechte in Berg-Karabach Ende September wurden mehrere Hundert Menschen getötet. Aserbaidschan macht bislang keine Angaben zu Verlusten in den eigenen Truppen, spricht aber von etwa 30 getöteten Zivilisten. Zudem sind Tausende auf der Flucht. Das Auswärtige Amt in Berlin appellierte an beide Seiten, den Waffenstillstand einzuhalten und weitere Opfer «unbedingt zu vermeiden».

Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan: Darum geht's

Video: watson/jah

Lawrow bezeichnete die erzielte Vereinbarung als Grundlage für weitere Verhandlungen unter Führung der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Gruppe wird von Russland, den USA und Frankreich angeführt. Dass Russland beide Seiten überhaupt an den Verhandlungstisch brachte, wurde auch von unabhängigen Kommentatoren gelobt.

Wann sich die Lage beruhigen könnte, ist trotzdem nicht absehbar. Die Moskauer Erklärung sei eigentlich ohne Alternative, sagte der russische Politologe Arkadi Dubnow. Sowohl das arme Armenien als auch das ölreiche Aserbaidschan verfügten nicht über genug Ressourcen, um die Gefechte länger fortzusetzen. Nur deshalb hätten sich beide auf Verhandlungen eingelassen. «Äusserst schwierig wird es aber, beide zu einem echten Friedensabkommen zu bringen», sagte Dubnow im Radiosender Echo Moskwy.

Die Wurzeln des Konflikts reichen lange zurück. Anfang der 1990er Jahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion, sagte sich die überwiegend von Armeniern besiedelte Region in einem Krieg von Aserbaidschan los. Damals gab es 30 000 Tote und Hunderttausende Flüchtlinge. Die Führung in Baku wirft dem Nachbarland bis heute vor, völkerrechtswidrig aserbaidschanisches Gebiet besetzt zu halten. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Kämpfe. Aktuell sind sie aber so heftig wie seit 1994 nicht mehr.

Russland hat zu beiden Ex-Sowjetrepubliken Verbindungen, besonders aber zu Armenien. Dort hat Russland auch eine Militärbasis. Moskau fürchte auch, dass islamistische Terroristen in der Region stark werden könnten, sagte der Aussenpolitik-Experte Dmitri Trenin. Auch die Türkei, die mit Aserbaidschan verbündet ist, könnte ihren Einfluss ausbauen. «Deshalb kann Moskau bei dem Konflikt nicht einfach wegschauen und hier einen Krieg toben lassen.»

Über die Türkei sollen auch ausländische Söldner und Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Libyen an den Gefechten beteiligt sein. Eindeutige Beweise gibt es dafür nicht. Das türkische Aussenministerium erklärte, Verhandlungen seien keine langfristige Lösung. Armenien müsse die «besetzten Gebiete» aufgeben. Die Türkei verurteilte die Raketenangriffe auf die Stadt Ganja und warf Armenien durch «aggressive Aktionen» einen Verstoss gegen die Waffenruhe vor. Der im Süden angrenzende Iran begrüsste die Feuerpause. (sda/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So sieht es in der Geisterstadt Agdam heute aus
1 / 12
So sieht es in der Geisterstadt Agdam heute aus
Die Stadt Agdam wurde im Krieg weitgehend zerstört.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Armenien im Ausnahmezustand – Paschinjan kündigt Proteste an
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
1
«Sehr nette Atmosphäre»: Polens Präsident Duda zu Besuch in Trumps Wohnung

Polens Präsident Andrzej Duda hat bei einem gemeinsamen Abendessen mit Donald Trump in New York seine Freundschaft zu dem ehemaligen US-Präsidenten bekräftigt.

Zur Story