Nach extrem langwierigen Verhandlungen haben die Europäische Union und Grossbritannien an Heiligabend doch noch einen Brexit-Handelspakt vereinbart. Damit ist ein harter wirtschaftlicher Bruch zum Jahreswechsel in letzter Minute abgewendet. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Premierminister Boris Johnson zeigten sich zufrieden. Bundeskanzlerin Angela Merkel mass dem Vertrag historische Bedeutung zu.
Das Abkommen soll die Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent ab Januar 2021 neu aufstellen. Wichtigster Punkt ist, Zölle zu vermeiden, unbegrenzten Handel in beide Richtungen zu erlauben und Reibungsverluste so weit wie möglich zu begrenzen. Der Vertrag umfasst aber auch den Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen. Da die Brexit-Übergangsphase bereits am 31. Dezember endet, war der Zeitdruck am Ende enorm.
“We have finally found an agreement. It was a long and winding road but we have got a good deal to show for it”
— BBC Breaking News (@BBCBreaking) December 24, 2020
European Commission President Ursula von der Leyen says "it is fair, it is a balanced deal and it is the right and responsible thing to do"https://t.co/OmEeMh6LuI pic.twitter.com/oTk2nnnQfu
In London äusserte sich Premierminister Johnson ähnlich. «Ich glaube, das ist ein guter Deal für ganz Europa», sagte er. Und er fügte hinzu: «Wir werden euer Freund sein, euer Partner, euer Unterstützer, und nicht zu vergessen, euer Nummer-Eins-Markt.»
Aus Sicht seiner Regierung ist mit dem Abkommen alles erreicht, was die britische Öffentlichkeit mit dem Brexit-Referendum von 2016 wollte. «Wir haben wieder Kontrolle über unser Geld, unsere Grenzen, unsere Gesetze, unseren Handel und unsere Fischgründe zurückgewonnen», erklärte die Regierung. Zugleich gewähre das Abkommen Zollfreiheit und unbegrenzte Exporte in die EU.
BREAKING: Boris Johnson’s tie is covered in fish pic.twitter.com/ZOfz7SoBMC
— Politics For All (@PoliticsForAlI) December 24, 2020
Grossbritannien hat die EU schon Ende Januar verlassen und ist nur noch in einer Übergangszeit bis 31. Dezember Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Dann kommt der wirtschaftliche Bruch. Ohne Abkommen wären Zölle und aufwendigere Kontrollen notwendig geworden. Wirtschaftsvertreter auf beiden Seiten warnten vor Verwerfungen und dem Verlust Zehntausender Jobs.
Die Verhandlungen hätten eigentlich schon im Oktober abgeschlossen werden sollen, doch sie zogen sich immer weiter in die Länge. Mehrfach standen sie wohl kurz vor dem Scheitern. Nun kann der Vertrag auf EU-Seite nicht mehr rechtzeitig ratifiziert, sondern nur noch vorläufig angewendet werden. Um die nötigen Vorbereitungen zu treffen, berief die deutsche Ratspräsidentschaft für Freitag eine Sitzung der EU-Botschafter ein. Auf britischer Seite hat die Regierung angekündigt, das Parlament zu befassen.
Bundeskanzlerin Merkel würdigte die Einigung in Berlin. «Mit dem Abkommen schaffen wir die Grundlage für ein neues Kapitel in unseren Beziehungen», sagte die CDU-Politikerin. «Grossbritannien wird auch ausserhalb der Europäischen Union weiterhin ein wichtiger Partner für Deutschland und für die Europäische Union sein.» Auch Aussenminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich erleichtert.
Im Gegenzug für einen Handel ohne Zölle und ohne Mengenbegrenzung verlangt die EU faire Wettbewerbsbedingungen – das sogenannte Level Playing Field. Gemeint sind gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards. Die Frage blieb bis zum Schluss ein höchst komplizierter Streitpunkt. Gesucht wurde ein Weg, fairen Wettbewerb auch für die Zukunft sicherzustellen und anderenfalls gegensteuern zu können. Das sei gelungen, sagte von der Leyen.
Danach blieb noch ein allerletzter Knackpunkt: der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern. Die Klärung der letzten Einzelheiten zog sich über viele Stunden bis Donnerstagmittag hin. Schliesslich fand man auch hier einen Kompromiss.
L’unité et la fermeté européennes ont payé. L’accord avec le Royaume-Uni est essentiel pour protéger nos citoyens, nos pêcheurs, nos producteurs. Nous nous assurerons que c’est bien le cas. L’Europe avance et peut regarder vers l’avenir, unie, souveraine et forte.
— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) December 24, 2020
Zuletzt hatte die Zuspitzung der Corona-Pandemie in Grossbritannien weiteren Druck aufgebaut. Nachdem eine mutierte Variante des Coronavirus entdeckt wurde, hatte Frankreich zeitweise seine Grenzen für Verkehr aus Grossbritannien geschlossen. Deshalb stauten sich auf britischer Seite Tausende Lastwagen – aus Sicht von Kritikern ein Vorgeschmack auf die Lage bei einem No-Deal-Brexit.
Die britischen Wähler hatten 2016 mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Premierminister Johnson gewann 2019 die Parlamentswahl unter anderem mit der Ansage, den Brexit nun tatsächlich durchzuziehen. Als zentralen Punkt nannte er immer wieder, Souveränität und Kontrolle über die eigenen Grenzen und Gesetze wiederzuerlangen. Das britische Parlament soll am 30. Dezember über den Brexit-Handelspakt zwischen Grossbritannien und der EU abstimmen. (sda/dpa)
Jetzt bin ich aber auf die Einzelheiten gespannt.
Schlussendlich überwiegt Vernunft das politische Säbelrasseln - und das ist auch gut so.