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5200 Tote in China: Gewinnt Xi tatsächlich in Sachen Corona?

FILE - This combination image shows U.S. President Joe Biden in Washington, Nov. 6, 2021, and China's President Xi Jinping in Brasília, Brazil, Nov. 13, 2019. Americans are increasingly seeing Ch ...
Joseph Biden (links) und Xi Jinping: Welcher Staatschef hat sein Land besser durch die Pandemie gebracht?Bild: keystone

1 Million Tote in den USA, nur 5200 in China: Gewinnt Xi tatsächlich in Sachen Corona?

So gegensätzlich die Bilanz der Pandemie in China und in den USA ausfällt, so unterschiedlich gingen die Supermächte mit der Bedrohung um. Wer aber steht letztlich besser da?
13.05.2022, 21:51
Fabian Kretschmer, Peking und Renzo Ruf, Washington / ch media
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Wie reagierten die Länder auf die Pandemie?

China:

Auf die ersten Alarmmeldungen chinesischer Mediziner hat die Regierung mit Zensur und Vertuschung reagiert. Whistleblower, die vom «neuartigen Coronavirus» berichteten, wurden einbestellt. Angehörigen von Covid-Patienten in Wuhan, dem ersten Epizentrum des Virus, wurde verboten, mit ausländischen Medien zu sprechen.

Dann jedoch griffen die Behörden härter durch als in den meisten anderen Ländern der Welt. Wuhan wurde für mehrere Wochen vollständig abgeriegelt. Bis zum Sommer 2020 war das Infektionsgeschehen mit rigiden Lockdowns und einer disziplinierten Bevölkerung vollständig eingedämmt. Die vorläufig funktionierende «Null Covid»-Strategie sorgte dafür, dass sich das Alltagsleben in China schon früh weitgehend normalisierte.

USA:

Als die Regierung von Präsident Donald Trump die Pandemie endlich ernst nahm und am 13. März 2020 den nationalen Notstand verhängte, da hatte sich das Virus bereits mehr als zwei Monate lang fast ungehindert im Land ausgebreitet.

Trump wusste zwar, wie gefährlich Corona war, er wollte im Wahljahr aber keine Panik verbreiten. Also schaute er bloss zu, und zog noch Anfang März launige Vergleiche zwischen dem Virus und der gewöhnlichen Grippe. Der Präsident verhängte dann zwar den Notstand; der föderalistische Staatsaufbau Amerikas verunmöglichte aber ein koordiniertes Vorgehen sämtlicher Behörden. Das Resultat: ein Flickenteppich von Vorschriften, ohne klare Eckpfeiler.

Wie sieht es aktuell aus?

China:

epa09915835 A woman bikes along an area under lockdown in Chaoyang district, Beijing, China, 29 April 2022. Beijing continues its tough restrictions with mass testing and recently closing down more es ...
Mitten in der Pandemie: Mehr als zwei Jahre nach dem Lockdown in Wuhan verhängt China erneut Lockdowns über seine Städte, wie auf dem Bild in Peking.Bild: keystone

Zuletzt meldete die nationale Gesundheitskommission weniger als 1900 Infizierte, der grösste Teil davon «asymptomatisch». Innerhalb der letzten 24 Stunden sind laut offiziellen Angaben lediglich fünf Menschen am Virus gestorben, seit Ausbruch der Pandemie liegt der Wert bei etwas über 5200. Jedoch ist Skepsis angebracht.

Insbesondere zu Beginn des Lockdowns in Wuhan 2020 und zwei Jahre später in Schanghai lag die Dunkelziffer wohl deutlich höher. Dennoch steht fest, dass sich auf eine Gesamtbevölkerung von 1.4 Milliarden hochgerechnet extrem wenige Menschen infizierten. Weitgehend unbekannt sind allerdings die Toten aufgrund der Massnahmen selbst: Beispielsweise starben viele Bewohner, weil sie aufgrund der Ausgangssperren nicht rechtzeitig ins Spital gelangen konnten. Auch nahm die Zahl der Suizide deutlich zu.

USA:

Amerika befindet sich im fünften Wellental seit Beginn der Pandemie. Welle Nummer sechs scheint bereits anzurollen. Gegen 100'000 Covid-Ansteckungen werden im gesamten Land, in dem gegen 333 Millionen Menschen wohnen, täglich registriert – Tendenz stark steigend. Immerhin: Der Krankheitsverlauf ist nun weit milder als im Katastrophenwinter 2020/21; landesweit befinden sich nun etwas mehr als 2000 Menschen auf einer Intensivstation.

Immer noch aber sterben jeden Tag 300 bis 400 Menschen an der Folge einer Covid-19-Erkrankung. Seit Beginn der Pandemie beläuft sich die Zahl der Toten auf rund 1 Million, gemäss der offiziellen Statistik. Forscher der Weltgesundheitsbehörde allerdings gehen davon aus, dass bereits mehr als 1.1?Millionen Menschen in den USA an Covid gestorben sind.

Hat sich das Gesundheitssystem bewährt?

China:

Die chinesischen Restriktionen sind nicht zuletzt deshalb so rigide, weil das Gesundheitssystem auf eine flächendeckende Pandemie nur unzulänglich vorbereitet war. Laut Schätzungen verfügt die Volksrepublik – auf die Bevölkerungsgrösse gerechnet – über weniger als ein Drittel aller Intensivbetten im Vergleich zur Schweiz. Zudem leidet das Gesundheitssystem unter extremen regionalen Ungleichheiten.

Wirklich versagt hat das System jedoch vor allem dabei, die älteren Bevölkerungsgruppen mit Impfstoffen zu schützen. Rund ein Drittel der Senioren gelten als nicht ausreichend geimpft, was vor allem mit einer generellen Skepsis und Fehlinformationen zu tun hat. Zudem hat sich die politische Führung bislang geweigert, ausländische mRNA-Impfstoffe zuzulassen - offensichtlich aus nationalistischem Stolz und ökonomischem Protektionismus.

USA:

Das profitorientierte Gesundheitssystem Amerikas wurde in der Pandemie bis zur äussersten Grenze belastet. Es hielt dieser Belastung aber selbst während der ersten, furchtbaren Coronawelle im Frühjahr 2020 stand. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: In aller Deutlichkeit zeigte sich während der Pandemie, wie schwerfällig das System ist, das in vielen Landesteilen zu Tod gespart wurde.

Und Amerikanerinnen und Amerikaner mussten am eigenen Leib erfahren, dass sämtliche Akteure des Gesundheitswesens – vom Arzt über den Dienstleister im Spital bis hin zur Krankenversicherung – vor allem an sich denken. Wie lässt sich sonst erklären, dass einige Kliniken im vergangenen Winter bis zu 500 Dollar für einen ganz normalen Coronatest verlangten?

Wie hat sich die Wirtschaft geschlagen?

China:

2020 sorgte die «Null Covid»-Strategie dafür, dass China als einzige grosse Volkswirtschaft trotz der Pandemie wuchs - um immerhin 2.3 Prozent. 2021 stieg das Bruttoinlandprodukt gar um über acht Prozent an. Doch spätestens mit Aufkommen der hochinfektiösen Omikron-Variante hat sich das Blatt gewendet: Chinas Nulltoleranzstrategie wirkt nun als ökonomische Vollbremse.

Weite Teile des Landes mussten wieder Lockdowns verhängen, darunter die Handelsmetropole Schanghai. Die Wirtschaft befindet sich im freien Fall: Der Binnenkonsum ist eingebrochen, auch die Industrieproduktion geht zurück und die Exporte sind so schwach wie seit Anfang 2020 nicht mehr. Die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass China im zweiten Jahresquartal in eine Rezession hineinschlittert.

USA:

Die Pandemie hat die grösste Volkswirtschaft der Welt grundlegend verändert. Zwar gingen im April 2022 erneut gegen 164 Millionen Menschen in den USA einer bezahlten Arbeit nach - etwa gleich viele wie vor Beginn der Gesundheitskrise. Auch ist die Arbeitslosenquote auf 3.6 Prozent gesunken.

Aber einige Branchen haben sich nicht erholt, vor allem im schlecht bezahlten Dienstleistungssektor. So stöhnen Gastronomen und Hoteliers über Personalmangel. Weil die Wirtschaft zudem unter Lieferengpässen und einer hohen Inflationsrate leidet, stottert die Konjunktur. Im ersten Quartal sank das Bruttoinlandprodukt um 0.4 Prozent.

Welche Forschungsdurchbrüche sind gelungen?

China:

China hat mit Sinovac und Sinopharm als eines der ersten Länder zwei Totimpfstoffe auf den Markt gebracht, die im eigenen Land und zeitweise im globalen Süden ausgegeben wurden. Doch insbesondere angesichts von Omikron gelten die Vakzine nur als zweite Wahl. Bislang ist es heimischen Pharmafirmen jedoch noch nicht gelungen, einen mRNA-Impfstoff herzustellen. Experten rechnen damit, dass es frühestens in mehreren Monaten zu einem Durchbruch kommt.

USA:

Der abgewählte Präsident Trump erinnert regelmässig an die «Operation Warp Speed», einer Partnerschaft zwischen privaten Unternehmen und Amtsstuben in Washington. In der Tat ermöglichte diese Partnerschaft, die den Steuerzahler anfänglich einen zweistelligen Milliardenbetrag kostete, die Entwicklung von neuen Impfstoffen im Schnellzugstempo - wobei sich vor allem die beiden mRNA-Impfungen im Kampf gegen Corona bewährt haben.

Die moderne Technologie, auf denen die Moderna- und Pfizer-Impfstoffe beruhen, stiess allerdings in der amerikanischen Bevölkerung auch auf grosse Skepsis. Noch heute halten sich absurde Theorien über mögliche Spätfolgen. Auch deshalb haben sich bloss 30 Prozent der US-Bevölkerung eine Booster-Impfung setzen lassen.

Welche politischen Folgen hatte die Pandemie?

China:

Zunächst sah es so aus, als ob die propagandistisch ausgeschlachtete Pandemie Präsident Xi Jinping in die Hände spielt: Die Staatsmedien feierten den eigenen Sieg über das Virus, während das westliche Ausland im angeblichen Chaos zu versinken drohte. Mittlerweile jedoch hat sich das Blatt gewendet, und Xis stures Festhalten an «Null Covid» gilt als bisher grösster Fehler in seiner politischen Laufbahn.

Doch ob das wirklich seinem Machtanspruch gefährden kann, ist fraglich. Denn die Pandemie hat nicht nur zu einer radikalen Isolation des Landes geführt, sondern auch zu einer dystopischen sozialen Kontrolle: Unter dem Vorwand des Infektionsschutzes hat der Sicherheitsapparat einen digitalen Überwachungsstaat aufgebaut, der noch vor wenigen Jahren undenkbar schien.

Auch für ausländische Journalisten ist immer schwieriger geworden, unabhängig zu berichten. Weite Landesteile sind derzeit vollkommen abgeschirmt.

USA:

Die Polarisierung, unter der Amerika schon lange leidet, hat noch zugenommen. Das Land spaltete sich in zwei etwa gleich grosse Gruppen. Die eine hatte Angst vor der Pandemie, und die Mitglieder dieser Gruppe versuchten, unter Rückgriff auf bisweilen absurde Mittel, gesund zu bleiben. Die andere Gruppe hingegen war zunehmend der Meinung, die Eliten, die das Land im Griff hätten, nutzten Covid-19 bloss als Vorwand, um ihre politischen Ziele durchzudrücken.

Eine Folge dieser Polarisierung: Präsident Trump verlor 2020 zwar die monumentale Schlacht um eine zweite Amtszeit. Er tauchte anschliessend aber nicht in die Versenkung ab, sondern beherrscht seine Republikanische Partei noch immer. Sein alter Gegenspieler Joe Biden wieder hingegen trat mit grossen Vorschusslorbeeren an. Der Präsident verlor aber rasch an Zustimmung, auch weil seine Regierung von den Covid-Mutanten auf dem falschen Fuss erwischt wurde.

Wo stehen die Länder heute?

China:

China steht vor den wirtschaftlich grössten Herausforderungen seit mehreren Jahrzehnten, und auch politisch ist das Land zunehmend isoliert. Als wahrscheinlichstes Szenario gilt, dass Xi Jinping auf den erhöhten Druck mit weiteren Repressionen im Inland reagieren wird. Kommenden Herbst wird der 68-Jährige zudem beim 20. Parteikongress seine dritte Amtszeit ausrufen - und damit endgültig zum Führer auf Lebenszeit.

Bis dahin, so sind sich Experten sicher, werden sich die strikten Corona-Massnahmen definitiv nicht lockern. Ob die Öffnung des Landes im Frühjahr 2023 erfolgen wird oder China seine Grenzen auf Jahre verschliesst, lässt sich derzeit kaum seriös beantworten.

USA:

Die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner haben mit der Pandemie abgeschlossen und wollen von Corona und Covid-19 nichts mehr hören. Sie freuen sich auf unbeschwerte Sommerferien. So einfach ist es aber nicht, auch weil das Virus einigen Landesteile im Griff hat. Auch halten die Umwälzungen in der Wirtschaft an: Inflation und Lieferengpässe werden den Alltag noch monatelang beherrschen.

Die Pandemie mag zwar zu Ende sein, zumindest in den Augen von Wissenschaftern wie dem Präsidentenberater Anthony Fauci. Aber auch die nächste Phase, eine Endemie, wird massive Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Amerikanern haben. (aargauerzeitung.ch)

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So hat Wuhan in acht Tagen ein Spital gebaut
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So hat Wuhan in acht Tagen ein Spital gebaut
Vor neun Tagen machte dieses Bild die Runde um den Globus. Es zeigt, wie Bagger den Boden für zwei neue Spitäler in Wuhan vorbereiten.

quelle: epa / yuan zheng
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53 Kommentare
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Varanasi
13.05.2022 22:21registriert August 2017
Wer glaubt die Zahlen aus China? Ich zumindest nicht.
Will nicht wissen, was da alles vertuscht wurde und wird.
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Fred_64
14.05.2022 00:07registriert Dezember 2021
Ich will weder Trump noch Xi, ich war sehr froh um unseren Berset.
Er hat sich weder von den Angsthasen noch von den Schwurbler gross beeinflussen lassen, sondern den pragmatischen Weg durchgezogen.
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FrancoL
13.05.2022 22:41registriert November 2015
Da steht:
„ Die vorläufig funktionierende «Null Covid»-Strategie sorgte dafür, dass sich das Alltagsleben in China schon früh weitgehend normalisierte“
Was heisst den da normal? Überwacht, mit Redeverbot, eingeschüchtert, mit gezinkten Zahlen operieren, ist das die Normalität?
Ich denke nicht.
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