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Fake-Stellengesuchen von ungeimpften Pflegekräften in Zeitungen

Fake-Stellengesuche von ungeimpften Pflegekräften erzürnen Deutschland – der AfD gefällts

Um die Impfpflicht im Gesundheitswesen zu stoppen, versuchen ungeimpfte Pflegekräfte in Deutschland den Eindruck eines Massenexodus zu erwecken. Dabei geht es nicht mit rechten Dingen zu.
24.01.2022, 09:0024.01.2022, 09:10
Lars Wienand / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Am 29. Januar sollen in der «Heilbronner Stimme» viele Stellengesuche von Pflegekräften erscheinen. Das steht jetzt schon fest, weil es in entsprechenden Gruppen auf Telegram besprochen wird. «Wichtig ist, ungeimpft hervorzuheben, und eine möglichst lange Berufserfahrung», heisst es in der Gruppe zur Anleitung.

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Bild: ontage: t-online/imago images

Deutschlandweit stossen Leser von Lokalzeitungen und Anzeigenblättern auf Bleiwüsten mit Stellengesuchen von Gegnern der Corona-Impfung aus dem Gesundheitswesen. Betroffene haben sich wie in Heilbronn dazu verabredet. Es geht auch nicht vordringlich um neue Jobs.

Pflegekräfte mit Angst machen Angst

Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erregen und Stimmung zu machen. Die Botschaft: Impfpflicht im Gesundheitswesen bedeutet nach dem 15. März massenhaft das berufliche Aus von Menschen, die bisher engagiert Kranke und Alte versorgen. Pflegefachkräfte mit Angst vor der Impfung schüren also die Angst vor einer Lage, in der sie wegen der Impfpflicht nicht mehr arbeiten dürfen.

Tatsächlich fürchten viele Impfverweigerer unter dem Pflegepersonal genau das. Manche lieben ihren Job, haben in der Corona-Zeit den Beifall und lobende Worte gehört, aber wenig gespürt von gewachsener Wertschätzung und sind weiter bis an die Belastungsgrenze gegangen. Jetzt vor die Tür gesetzt zu werden, obwohl selbst eine Impfung Übertragungen nicht ausschliesst: Darüber sind einige verbittert und enttäuscht und gehen auch überzeugt zu den «Spaziergängen» der Corona-Gegner und -Leugner.

Andere sammeln Stimmen. Eine Bloggerin hat eine Collage mit inzwischen mehr als 2'000 zugesandten Berufsurkunden von Pflegekräften erstellt. Sie seien alle entschlossen, sich nicht impfen zu lassen und werden ihre Berufe nicht mehr ausüben können. Es gab die Hoffnung, damit auf die Titelseite der «Bild» zu kommen.

Seit Anfang Januar koordinierte Annoncen

Weil das zumindest bisher nicht klappte, haben die Anzeigenschaltungen von Impfgegnern bisher die grösste Aufmerksamkeit bekommen. Sie laufen seit Anfang Januar koordiniert. Dazu gibt es regen Austausch auf Telegram: So kam eine Anfrage aus Sachsen an «die Rosenheimer»: «Die Gruppe Pirna sucht Kontakt. Besonders ansprechen möchten wir die Kollegen, welche durch ihre Annoncen im Traunsteiner Tageblatt diese grosse Welle des Anzeigenschreibens in Gang gebracht haben. Auch die Sachsen beteiligen sich nun daran und legen nach.»

Im «Traunsteiner Tageblatt» lief die erste Anzeigenaktion, die aufgefallen ist. Schon einige Tage zuvor war der Vorschlag für solche Anzeigen aber etwa in einer Chat-Gruppe des nach Tansania geflohenen Arztes Bodo Schiffmann zu lesen.

Und in den vergangenen Tagen zog dann Sachsen nach, tatsächlich erschienen in vielen Medien in dem Land viele solcher Anzeigen. Von Pirnaern fanden sich etliche Stellengesuche am Donnerstag im Dresdener «Wochenkurier». 

Besonders auffällig war es aber im «Oberlausitzer Kurier»: mehr als 120 Stellengesuche von angeblichen Mitarbeitern im Gesundheitsbereich.

Das Problem: Viele sind Fake, eben ausgedachte Fälle. Und das ist aufgefallen.

Die Anzeigenseite hatte zunächst auch auf den RBB-Redakteur Andreas Rausch den Eindruck gemacht, den sich die Initiatoren wohl erhofft haben. Er schrieb auf Twitter zu einem Foto der Seite voller Anzeigen: «Was macht die Impfpflicht mit dem Gesundheitssystem? Antworten wohl ab März.» Dann schaute er sich die Annoncen genauer an, fast 80 von ihnen mit Handy-Nummern. Das ist dort 11 Euro billiger als eine Anzeige mit Chiffre-Nummer.

Reporter wählte viele Nummern an

Bei Anrufen unter den Nummern in den Anzeigen war er nicht sehr erfolgreich. Rausch: «Die Hebamme, die auch artfremde Tätigkeiten annehmen würde, hat leider keine gültige Nummer, nicht vergeben ist diese auch bei der Anzeige der Schwester mit 29 Berufsjahren, dem Rettungssanitäter, der interessanterweise dieselbe Nr. hat wie die 34-jährige Physiotherapeutin».

t-online hat das Ergebnis mit eigenen Recherchen und dem auf Analysen bei Telegram spezialisierten Twitterer @Datenliebe1 nachvollziehen können. Allerdings sind unter den Fakes auch echte Nummern, die zum Teil auf Telegram oder Facebook Accounts haben und im Gesundheitsbereich tätig sind. Hinter der Nummer einer «Schwester Olivia» verbirgt sich allerdings ein männlicher Rammstein-Fan.

Im Anzeigenblättchen ist sogar ein Stellengesuch ohne jede Kontaktmöglichkeit abgedruckt: Die «Krankenschwester, ungeimpft, braucht leider neues Betätigungsfeld. Über 20 Jahre Berufserfahrung» wird so wohl kein Betätigungsfeld finden.

Der «Bautzener Bote» des AfD-Landtagsabgeordneten Frank Peschel hat sich die Anzeigen aber so genau nicht angeschaut. Die Geschichte mit den massenhaften Anzeigen Ungeimpfter war dort der Aufmacher: «Offenbar hat die Politik nicht mit einer derart hohen Anzahl an Pflegekräften gerechnet, welche eine Impfung (und somit einen Eingriff in ihren Körper) ablehnen», heisst es im Text. In Peschels Agenda passt das voll: Durch Impfpflicht sieht er die Versorgung Kranker und Alter vor dem Zusammenbruch.

Nur 54 Prozent der Beschäftigten mit Grundimmunisierung

Niemand kann sicher sagen, wie realistisch solche Sorgen sind. Selbst 120 Berufsaussteiger wie in den Anzeigen wären keine hohe Zahl bei fast 15'000 Menschen, die laut Land Sachsen in medizinischen und pflegerischen Berufen im Kreis Bautzen tätig sind – Selbständige noch nicht mitgezählt. Wenn es Probleme gibt, dann könnten sie sich hier aber am deutlichsten zeigen.

In der Oberlausitz haben sich seit Mitte Dezember 30 Prozent mehr Menschen arbeitssuchend gemeldet als im Vormonat, berichtete die Arbeitsagentur Bautzen. Die meisten kämen aus Gesundheits- und Pflegeberufen und seien dort zurzeit noch beschäftigt. Aber auch da gibt es unter Impfgegnern Aufrufe, sich bei der Arbeitsagentur zu melden, weil die Impfpflicht bei vielen Meldungen gekippt werden könne.

Es gibt aber harte Zahlen, die bedenklich stimmen können: Nur 54 Prozent der Beschäftigten in Alten- und Pflegeheimen im Kreis Bautzen hatten Mitte Januar eine Grundimmunisierung. Für Kliniken gibt es keine genauen Zahlen, dort läuft die Abfrage. Generell wird sie deutlich höher geschätzt als in Heimen. Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) sagte in der vergangenen Woche, im medizinischen und pflegerischen Bereich seien 65 Prozent geimpft, Sachsen ist Impfschlusslicht in Deutschland.

AfD: Landräte sollen Impfpflicht ignorieren

Ein Problem, das für die Gesundheitsministerin eng mit der AfD  zusammenhängt: Die Partei beeinflusse massgeblich einen relevanten Teil Menschen, der teilweise nicht für das Impfen zu gewinnen sei, hatte sie in einem Interview gesagt. 

Das von der AfD selbst mitverursachte Problem liefert der Partei Stoff für eine neue Kampagne. Sie schlägt Impfpflicht-Alarm: Weil viele nicht geimpft sind, drohe der Notstand, wenn Impfnachweise vorausgesetzt werden. Landesweit haben sächsische AfD-Politiker auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte Petitionen eingereicht und fordern, dass die Impfpflicht nicht umgesetzt werden soll, um einen Versorgungs-Notstand abzuwenden.

Landräte und Oberbürgermeister sollen ihre Gesundheitsämter daran hindern, für Ungeimpfte Betretungsverbote auszusprechen, wenn sie nach Einführung der Impfpflicht noch ungeimpft zur Arbeit erscheinen wollen.

Petitionsersteller ist Verlagschef

Erst durch diese Verbote der Gesundheitsämter bekommt die Impfpflicht Zähne. Köpping hat allerdings auch bereits angekündigt: Dass schlagartig jemandem gekündigt werden müsse, werde es in Sachsen nicht geben

Petitionen und die Hoffnung auf ein Aussetzen könnten aber Wankelmütige davon abhalten, sich impfen zu lassen, und die Angst vor zusammenbrechenden Kliniken und Heimen den Widerstand gegen die Impfpflicht wachsen lassen. 

Im Kreis Bautzen hat die Petition seit ihrem Start am 16. Januar 2'000 örtliche Mitzeichner gefunden und ist damit eine der erfolgreichsten. Hinter ihr steckt der AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban – gemeinsam mit dem «Bautzener Bote»-Besitzer Franke Peschel, der auch Pressereferent der Landtagsfraktion ist.

Und sein «Bote» hat nicht nur die Fake-Anzeigen aus dem «Oberlausitzer Kurier» als Alarmsignal zum Top-Thema gemacht. Auf dem Online-Portal des «Boten» ist auch ein AfD-Leitfaden für Ungeimpfte aus Heil- und Pflegeeinrichtungen abrufbar. 

Peschel ist für eine Stellungnahme angefragt.

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147 Kommentare
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glöbeli
24.01.2022 09:30registriert Januar 2020
Wie immer spiele die Faschos mit den Ängsten der Menschen. Sieht man auch in unserem Land auf Plakaten bestimmter Parteien....
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Unicron
24.01.2022 09:30registriert November 2016
"Impfpflicht im Gesundheitswesen bedeutet nach dem 15. März massenhaft das berufliche Aus von Menschen, die bisher engagiert Kranke und Alte versorgen."

Ich will eigentlich gar keine Leute im Gesundheitswesen welche nicht kapieren wie eine Impfung funktioniert.
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Ali mini äntli
24.01.2022 09:14registriert September 2021
Wer seine Patienten nicht den bestmöglichsten Schutz zukommen lässt, ist im falschen Job.
Würde ein Patient an Covid sterben, müssen sich ungeimpfte Pfleger sich unangenehme Fragen stellen, auch wenn die Infektion von anderswo kommt.
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