Dramatische Szenen am Hamburger Flughafen: Ein bewaffneter Mann durchbrach nach Angaben der Bundespolizei am Samstagabend gegen 20.00 Uhr mit einem Auto ein Tor, fuhr auf das Vorfeld des Airports, schoss in die Luft und warf «eine Art Molotowcocktails» aus dem Wagen. Der Mann hatte seine vierjährige Tochter mit im Auto – vorausgegangen war laut Polizei wohl ein Sorgerechtsstreit mit der Mutter.
Der Flughafen wurde sofort weiträumig gesperrt, die beiden Terminals geräumt. Alle Passagiere in den Flugzeugen wurden aus den Maschinen geholt und in einem nahe gelegenen Flughafenhotel untergebracht. Insgesamt 3200 Passagiere seien betroffen gewesen, sagte ein Polizeisprecher am Samstagabend.
Am frühen Sonntagnachmittag konnte die Geiselnahme nach gut 18 Stunden beendet werden. Wie die Polizei erklärte, wurde der Mann festgenommen und seine Tochter befreit. Dabei leistete der Tatverdächtige keinen Widerstand.
Update:
— Polizei Hamburg (@PolizeiHamburg) November 5, 2023
Die Geisellage ist beendet.
Der Tatverdächtige hatte zusammen mit seiner Tochter das Auto verlassen.
Der Mann wurde widerstandslos von den Einsatzkräften festgenommen.
Das Kind scheint unverletzt zu sein.#HamburgAirport #Hamburg @HamburgAirport
Die Hamburger Polizei verhandelte die ganze Nacht mit dem Mann. Mit dem vermutlich 35-jährigen Mann wurde auf Türkisch verhandelt, sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün. Die Polizei ging davon aus, dass der Täter bewaffnet war. Auf X schrieb sie: «Aktuell müssen wir davon ausgehen, dass er im Besitz einer scharfen Schusswaffe ist und evtl. auch von Sprengsätzen unbekannter Art.»
Update 11:00 Uhr
— Polizei Hamburg (@PolizeiHamburg) November 5, 2023
Unsere Verhandlungsgruppe steht weiterhin in Kontakt mit dem Tatverdächtigen. Aktuell müssen wir davon ausgehen, dass er im Besitz einer scharfen Schusswaffe ist und evtl. auch von Sprengsätzen unbekannter Art.
Unsere oberste Priorität ist der Schutz des Kindes.…
Wie die deutsche Zeitung «Bild» berichtet, hat der festgenommene Mann seine Tochter schon einmal entführt. Im März 2022 soll er mit dem Kind mit dem Auto in die Türkei gefahren sein, wo er sich offenbar sieben Monate lang mit ihr aufhielt. Damals flog die Mutter des Kindes in die Türkei, wo sie mit ihrem Ex-Freund sprach und schliesslich das Kind wieder nach Deutschland zurückbringen konnte. Der Mann musste deswegen eine Geldstrafe zahlen.
Das von dem 35 Jahre alten Mann als Geisel im Auto festgehaltene vierjährige Mädchen ist allem Anschein körperlich unversehrt. «Wir gehen im Moment davon aus, dass es dem Kind körperlich gut geht», sagte Polizeisprecherin Levgrün am Sonntagvormittag der dpa. «Wie es aber seelisch aussieht, darüber mag ich jetzt gar nicht spekulieren.» Auch nach der Befreiung gab die Polizei bekannt, das Kind scheine unverletzt zu sein.
Nach dem Ende der Geiselnahme ist der Flugbetrieb wieder angelaufen. «Der Flughafen hat wieder geöffnet», sagte ein Airport-Sprecher am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Laut der Website flightradar24.com landete als erstes Flugzeug eine Eurowings-Maschine aus Hannover. Bis zum Abend sollten nach Angaben des Sprechers weitere Starts und Landungen folgen.
Es sei aber weiter mit Streichungen und Störungen im Ablauf zu rechnen, sagte der Sprecher. Passagiere sollten ihren Flugstatus überprüfen und sich bei Bedarf an die Airline wenden.
Für Sonntag waren laut Flughafen insgesamt 286 Flüge mit 34 500 Passagieren geplant - 139 Abflüge und 147 Ankünfte. 213 Flüge mussten demnach gestrichen werden. Bereits am Samstag waren 27 Flüge mit rund 3200 Passagieren von der Schliessung des Airports betroffen.
Die Ehefrau des Mannes, die sich in Stade bei Hamburg aufgehalten haben soll, hatte sich zuvor wegen möglicher Kindesentziehung bei der Landespolizei gemeldet, wie der Sprecher der Bundespolizei sagte.
Die Geschichte hatte am Samstag im niedersächsischen Stade begonnen. Nach ersten Erkenntnissen der Polizei geriet der 35 Jahre alte Mann dort aufgrund von Sorgerechtsstreitigkeiten mit seiner 39 Jahre alten Ex-Frau in eine psychische Ausnahmesituation. Vorausgegangen sei ein Streit, in dessen Verlauf der türkische Staatsbürger die Mutter des Kindes zur Seite gestossen habe und dann mit der Vierjährigen im Auto in Richtung Hamburg geflüchtet sei.
«Beängstigend», «gruselig» – so schildern Passagiere, die aus ihren Maschinen geholt wurden, ihre Eindrücke. Eine junge Frau, die am Samstagabend nach Mallorca fliegen wollte, sagte der Deutschen Presse-Agentur: Sie habe ein Feuer gesehen und erst gedacht, das werde schnell wieder gelöscht. Dann habe sie gehört, es gebe einen Amoklauf, das sei schon gruselig gewesen. Tatsächlich hatte der bewaffnete Mann bei seiner Fahrt auf dem Flughafen heraus Brandflaschen geworfen, die auf dem Vorfeld Feuer auslösten.
Eine andere Frau, die ebenfalls nach Mallorca fliegen wollte, sagte, sie habe nur ihre Handtasche mitnehmen dürfen, als das Flugzeug geräumt wurde. Alle hätten sich dabei ruhig verhalten, aber es sei auch beängstigend gewesen, weil man nicht wusste, was los war.
Eine Passagierin schilderte, dass sie beim Einsteigen gesehen habe, dass es auf dem Vorfeld brannte. Zwei Minuten vor dem geplanten Start sei dann die Durchsage gekommen: «Verlassen Sie bitte ruhig das Flugzeug». Dann hiess es plötzlich, alle sollten sich jetzt beeilen.
Bereits im Oktober war der Hamburger Flughafen gesperrt worden, damals allerdings wegen einer Anschlagsdrohung auf eine Maschine von Teheran nach Hamburg.
Im Juli hatten Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation den Hamburger Flughafen für Stunden lahmgelegt. Der Flugbetrieb musste für mehrere Stunden aus Sicherheitsgründen eingestellt werden. Tausende Passagiere waren betroffen. Damals hatte es Forderungen nach einer Verstärkung der Sicherheit gegeben.
Der Flughafen Hamburg sieht trotz der Geiselnahme keine Versäumnisse bei der Sicherung des Geländes. «Die Sicherung des Geländes entspricht allen gesetzlichen Vorgaben und übertrifft diese grösstenteils», sagte eine Flughafensprecherin der dpa. Dennoch könne bei der Grösse des Flughafens - sie entspreche fast 800 Fussballfeldern - nicht ausgeschlossen werden, «dass ein hochkrimineller, unbefugter Zutritt zum Sicherheitsbereich mit brachialer Gewalt erfolgen kann».
Die Sprecherin betonte: «Um die Sicherheit des Luftverkehrs zu gewährleisten, sind neben baulichen Massnahmen auch Alarmketten etabliert, die einwandfrei gegriffen haben.» Der Flugbetrieb sei sofort nach dem unbefugten Zutritt eingestellt und der Täter lokalisiert worden. «Nähere Angaben zu sicherheitsrelevanten Details sind nicht möglich», erklärte die Sprecherin.
Nach Angaben der Flughafensprecherin hat die Analyse des Vorfalls mit den Aktivisten der Letzten Generation - sie hatten sich durch den Aussenzaun geschnitten und waren dann mit Fahrrädern auf das Rollfeld gelangt - keine neuen Erkenntnisse gebracht. «Es liegen noch keine neuen Anforderungen für Einrichtungen der kritischen Infrastrukturen vor», sagte die Sprecherin. Derzeit teste der Flughafen neue Kamera- und Zaunsensorik-Systeme. «Zudem wurde die Bestreifung der Zaunanlage durch Sicherheitskräfte nachhaltig erhöht.»
(dab/jaw/sda/dpa)
Es lief ohne Panik und gesittet ab. Die Kommunikation war auch Top.
Schön ist das Kind frei.
Der Schaden dürfte aber gross sein, den der Vater angerichtet hat.