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Zeugen-Jehova-Schütze offenbar 35-jähriger Mann und Ex-Mitglied

Zeugen-Jehovas-Schütze ist 35-jähriger Mann und Ex-Mitglied

Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde haben Informationen zur Bluttat in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg gegeben.
10.03.2023, 11:5510.03.2023, 15:40
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Philipp F. posiert.
Philipp F. posiert.Bild: pd

Bei den Schüssen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas wurden am Donnerstagabend nach Angaben der Polizei acht Menschen getötet und acht weitere verletzt. Unter den Toten ist nach Angaben der Polizei auch der mutmassliche Täter. Bei dem Mann handele es sich um den 35 Jahre alten Philipp F., ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas. Er habe die Gemeinde vor etwa anderthalb Jahren freiwillig, aber «nicht im Guten verlassen», so Thomas Radszuweit vom Staatsschutz.

F. habe seit dem 6. Dezember 2022 eine waffenrechtliche Erlaubnis und seit dem 12. Dezember legal eine halbautomatische Waffe besessen. Dabei habe es sich auch um die Tatwaffe gehandelt. Im Januar 2023 sei ein anonymer Hinweis eingegangen, dass die waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Mannes überprüft werden müsse, sagte der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.

Der anonyme Hinweisgeber habe von einer nicht diagnostizierten psychischen Erkrankung gesprochen. F. begebe sich aber nicht in ärztliche Behandlung. Er habe laut dem Schreiben eine besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegen die Zeugen Jehovas und auf seinen ehemaligen Arbeitgeber gehegt, sagte Meyer.

Mutmasslicher Schütze nach anonymem Hinweis kontrolliert

Die Beamten hätten dem jedoch zunächst nicht nachgehen können, weil sie den Hinweisgeber nicht erreichen konnten. Man habe aber weiter recherchiert. Anfang Februar sei F. dann von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht worden. Dies sei eine Standardkontrolle gewesen, die nach einem anonymen Hinweis erfolgt. F. habe sich kooperativ gezeigt, sagte Meyer.

Es habe keine relevanten Beanstandungen gegeben. Allerdings habe ein Projektil ausserhalb des Tresors gelegen. Der Mann habe sich einsichtig gezeigt und sich für den Fehler entschuldigt. Die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen. Auch Hinweise auf psychische Probleme hätten sich nicht ergeben. Erkenntnisse über einen möglichen Drogenmissbrauch des Mannes habe die Polizei Hamburg bisher nicht.

Mutmasslicher Schütze verfasste religiöse Schrift

Nach Informationen der dpa war Philipp F. seit 2015 in Hamburg gemeldet. Auf seiner Homepage schreibt er, dass er in Kempten im Allgäu in einem streng evangelischen Haushalt aufgewachsen sei. Nach einer Banklehre habe er Betriebswirtschaftslehre in verschiedenen Städten Deutschlands studiert, seinen Master habe er in München absolviert. Am 22. Dezember veröffentlichte F. ein Buch mit dem Titel «The Truth About God, Jesus Christ And Satan A New Reflected View Of Epochal Dimensions».

F. selbst bezeichnete das Buch als «ein Standardwerk, wenn es um Theologie und Recht geht». Darüber hinaus werde «das Geheimnis des 1000-jährigen Reiches Christi gelüftet und ein fundierter, auf Fakten basierender Ausblick gegeben». Das «1000-jährige Reich» bezeichnet den Glauben an die Wiederkunft Christ, den sogenannten Millenarismus. Der Begriff wird auch allgemein als Bezeichnung für den Glauben an das nahe Ende der gegenwärtigen Welt verwendet.

Social-Media-Post kurz vor der Amoktat

Noch am Donnerstag, wenige Stunden vor der Bluttat in Hamburg, postete F. auf seinem Linkedin-Profil, dass die Verkäufe seines Buches gut liefen. Es habe eine «hundertprozentige Zufriedenheitsrate», kein Exemplar sei zurückgegeben worden.

Auf der Homepage bietet F. zudem Beratertätigkeiten an, unter anderem in den Bereichen «Controlling» und «Theologie». Für seine Dienstleistungen werden laut Internetseite mindestens 250'000 Euro plus 19 Prozent Mehrwehrsteuer pro Tag fällig. Dafür verspricht er seinen Kunden «mindestens 2,5 Millionen Euro» Mehrwert.

Police secured a street outside a Jehovah's Witness building in Hamburg, Germany Friday, March 10, 2023. Shots were fired inside the building used by Jehovah's Witnesses in the northern Germ ...
Bild: keystone

Auf seiner Webseite beschreibe sich der 35-Jährige als «multikulturell» und «bekennender Europäer». Nach bisherigen Informationen der Hamburger Polizei ist Philipp F. selbst unter den Todesopfern. Insgesamt gehen die Ermittlungsbehörden aktuell von acht Toten, darunter der Verdächtige, sowie weiteren Verletzten aus.

Der mutmassliche Todesschütze von Hamburg ist den Behörden nach Informationen aus Sicherheitskreisen nicht als Extremist bekannt gewesen. Dass sein Name dennoch in den Datenbanken der Sicherheitsbehörden auftauchte, hat dem Vernehmen nach keinen kriminellen Hintergrund, sondern liegt an seiner Beantragung einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Dafür ist immer auch eine Abfrage der Zuverlässigkeit nötig, bei der Bezüge zu Straftaten und Extremismus geprüft werden. (aeg/tonline)

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7 Kommentare
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Schnouz
10.03.2023 15:33registriert September 2022
Eben. Wahnsinnig durch religiöse Doktrin und Eifer. Egal ob evangelikal oder sonstwie.
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