Ein Autofahrer hat in der Nähe der Berliner Gedächtniskirche eine Menschengruppe erfasst und eine Lehrerin aus Hessen in den Tod gerissen. Unter den vielen Verletzten waren zahlreiche Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse aus Bad Arolsen. Ein Lehrer wurde nach derzeitigem Stand schwer verletzt. Das teilte die hessische Landesregierung am Mittwoch mit. Die Gruppe war demnach auf einer Klassenfahrt in der Hauptstadt unterwegs. Die Hintergründe waren noch nicht klar, die Trauer und Anteilnahme aus ganz Deutschland enorm. Ein Verdächtiger - ein 29 Jahre alter, in Berlin lebender Deutsch-Armenier - wurde gefasst und in ein Krankenhaus gebracht.
Der Vorfall spielte sich nach bisherigem Stand so ab: Der Mann fuhr den Renault-Kleinwagen am späten Vormittag an der Strassenecke Ku'damm und Rankestrasse auf den Bürgersteig des Ku'damms und in die Menschengruppe. Dann fuhr er auf die Kreuzung und knapp 200 Meter weiter auf der Tauentzienstrasse Richtung Osten. Kurz vor der Ecke Marburger Strasse lenkte er den Wagen erneut von der Strasse auf den Bürgersteig, touchierte ein anderes Auto, überquerte die Marburger Strasse und landete im Schaufenster einer Parfümerie.
Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres zitierte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Abend bei Twitter mit den Worten: «Bin wieder in meiner Lagezentrale: Nach neuesten Informationen stellt sich das heutige Geschehen an der #Tauentzienstrasse als eine Amoktat eines psychisch beeinträchtigten Menschen dar.» Mehr Details dazu nannte sie nicht.
Innensenatorin Iris Spranger: "Bin wieder in meiner Lagezentrale: Nach neuesten Informationen stellt sich das heutige Geschehen an der #Tauentzienstrasse als eine Amoktat eines psychisch beeinträchtigten Menschen dar."
— Senatsverwaltung Inneres, Digitalisierung & Sport (@Innensenatorin) June 8, 2022
Ein Sprecher der Berliner Polizei sagte der Deutschen Presse-Agentur am Abend: «Es gibt Indizien, die die Theorie eines psychischen Ausnahmezustands stützen.» Es handle sich aber um eine von mehreren möglichen Versionen, daher ermittele man in alle Richtungen weiter. Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte zuvor im RBB ebenfalls die Offenheit der Ermittlungen betont: Man schliesse im Moment «gar nichts» aus, sagte sie. Die Ermittlungen würden von einer Mordkommission geführt. Unter anderem wurde die Wohnung des Fahrers in Charlottenburg durchsucht. Viel versprechen sich die Ermittler auch von Videos und Fotos von Zeugen.
Im Wagen wurden neben Schriftstücken auch Plakate mit Aufschriften gefunden. «Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht», sagte Innensenatorin Spranger. Zuvor hatte es aus Polizeikreisen geheissen, es sei ein Bekennerschreiben gefunden worden. Spranger sprach von «Plakaten», auf denen Äusserungen zur Türkei stehen würden. Der Fahrer war nach dpa-Informationen mit einem Auto unterwegs, das seiner älteren Schwester gehört. Er soll der Polizei wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein, jedoch nicht in Zusammenhang mit Extremismus.
Bei dem tödlichen Auto-Vorfall nahe der Berliner Gedächtniskirche sind nach derzeitigem Kenntnisstand der Polizei neben der getöteten Lehrerin 14 Menschen verletzt worden. Bei den Verletzten handele es sich ausschliesslich um Menschen aus der Schülergruppe, mit der die Lehrerin aus Hessen in Berlin unterwegs gewesen war, sagte eine Polizeisprecherin der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochabend. Fünf oder sechs Menschen davon seien lebensbedrohlich verletzt worden, drei weitere schwer verletzt. Wegen der dynamischen Lage schwankten die Angaben noch, hiess es.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach dem Vorfall von einer Amoktat gesprochen. «Die grausame Amoktat an der Tauentzienstrasse macht mich tief betroffen», schrieb der SPD-Politiker am Mittwochabend bei Twitter. «Die Reise einer hessischen Schulklasse nach Berlin endet im Alptraum. Wir denken an die Angehörigen der Toten und an die Verletzten, darunter viele Kinder. Ihnen allen wünsche ich eine schnelle Genesung.»
Die grausame Amoktat an der #Tauentzienstraße macht mich tief betroffen. Die Reise einer hessischen Schulklasse nach Berlin endet im Alptraum. Wir denken an die Angehörigen der Toten und an die Verletzten, darunter viele Kinder. Ihnen allen wünsche ich eine schnelle Genesung.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) June 8, 2022
Die Bundesregierung, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigten sich bestürzt über das Geschehene. «Meine Gedanken sind bei den schwer und sehr schwer Verletzten, bei dem Todesopfer», erklärte Steinmeier. «Und sie sind bei denen, die Schreckliches erleben mussten. Mein tiefes Mitgefühl gilt ihnen, allen Angehörigen und Hinterbliebenen.» Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte den Betroffenen Unterstützung zu.
Am Abend um 19 Uhr haben zahlreiche Menschen in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche der Toten und Verletzten gedacht. Unter den Gästen waren unter anderem Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (beide SPD), aber auch Einsatzkräfte der Feuerwehr und Polizei. Auch viele Bürgerinnen und Bürger drückten bei der Andacht ihre tiefe Anteilnahme aus.
Nach dem Ereignis am #Breitscheidtplatz brennen die Kerzen für die Verwundeten an Leib und Seele. Tröstende und heilende Hände halten wir ihnen entgegen.
— Tilman Reger (@TilmanReger) June 8, 2022
Danke für Zuflucht in der #gedaechtniskirche, Danke für Trost und Zuspruch für die Helfenden und Rettungskräfte. pic.twitter.com/IBYwwxEAMB
Auf arglose Menschen sei bei dem Vorfall am Mittwoch «brutale Gewalt» eingebrochen, sagte die Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein bei der Andacht. «Eine solche Situation verschlägt uns die Sprache.» Viele Zeugen und Betroffene hätten noch die Schreie der Menschen in den Ohren, sagte Trautwein.
Der Unfallort befindet sich unweit der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz in Berlin-Charlottenburg. Dort war im Dezember 2016 ein islamistischer Attentäter in einen Weihnachtsmarkt gefahren. Dabei und an den Spätfolgen starben insgesamt 13 Menschen, mehr als 70 wurden verletzt.
Die Gegend, in der sich der tödliche Vorfall am Mittwoch ereignete, ist wegen der vielen Geschäfte, Cafés und Sehenswürdigkeiten oft sehr belebt. Sie ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland.
Der Fall weckte in Berlin auch Erinnerung an eine Amokfahrt auf der Stadtautobahn A100 im August 2020, als ein Autofahrer gezielt drei Motorradfahrer rammte. Er wurde vom Gericht in die Psychiatrie eingewiesen. (sda/dpa)
Mein tiefstes Mitgefühl an alle Opfer, deren Angehörige und auch an die Helfer und Augenzeugen.
So etwas sollte niemand erleben....