Macht Elisabeth Borne Schluss mit einem Grundmerkmal der französischen Politik - ihrer Machokultur? Mit der erfahrenen Ex-Ministerin hat Präsident Emmanuel Macron bewusst eine Frau zur Premierministerin ernannt. Diesen Posten oder auch das Amt des Staatspräsidenten haben in der Fünften Republik bisher nur Männer ausgeübt, wenn man von einer Ausnahme absieht. Die Sozialistin Edith Cresson führte von Mai 1991 bis April 1992 bereits einmal eine Regierung.
Ihre nicht einmal ein Jahr dauernde Amtszeit im Hôtel Matignon, dem Pariser Regierungssitz, war ein Desaster. Nicht etwa wegen Cresson: Die bestandene Berufspolitikerin hatte korrekte Arbeit geleistet. Hingegen wurde sie von der Männerzunft in der Nationalversammlung und zum Teil auch in den Medien nie akzeptiert, sondern ausgegrenzt, ausgebuht, von Beginn weg gedemütigt.
Als Edith Cresson von Präsident François Mitterrand ernannt wurde, kommentierte der Mitte-Politiker François d'Aubert bereits süffisant: «Die Pompadour zieht in Matignon ein.» Das war eine Anspielung auf die bekannteste Mätresse der französischen Könige, die Marquise de Pompadour. Eine Frau im Regierungspalast Matignon - das wollte vielen Politikern nicht in den Kopf.
An der Spitze ihrer Männerwelt war Cresson ein Fremdkörper. Monatelang wurde die Premierministerin als «Favoritin» des Wahlmonarchen karikiert. Bis dieser das Handtuch warf und nach weniger als einem Jahr wieder einen Mann mit der Leitung der Regierungsgeschäfte betraute.
Der Fall Cresson ereignete sich nicht etwa in den Urzeiten des Patriarchats, in denen der französische Landesvater Charles de Gaulle auf die Frage nach einem Frauenministerium noch geantwortet hatte: «Und warum nicht gleich ein Ministerium fürs Stricken?» Nein, es waren die fortschrittlichen 1990er-Jahre. 1995 berief Premierminister Alain Juppé ein Dutzend Frauen in sein Kabinett. Sie erhielten alsbald den Spottnamen «Juppettes», und das nicht nur, weil sie sich elegant kleideten. Und sie waren noch kein halbes Jahr im Amt, als der Premier diese Alibifrauen nicht mehr brauchte und sie kollektiv entliess.
Das sorgte für viel Unmut. Juppés oberster Chef, der Schürzenjäger-Präsident Jacques Chirac, behielt aber seinen Spitznamen «Monsieur zehn Minuten, Dusche inklusiv». Und Minister Dominique Strauss-Kahn seine Reputation, dass es gefährlich sei, als Frau allein mit ihm in den Lift zu steigen.
Als die Sozialistin Ségolène Royal 2007 als Präsidentschaftskandidatin antrat, erntete sie von ihrem Ministerkollegen Laurent Fabius - heute Vorsteher des hohen Verfassungsgerichtes - den Kommentar: «Und wer hütet die Kinder?» Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, der sich heute auf Wahlplakaten mit möglichst vielen Frauen umgibt, machte sich über Royal lustig:
Langsam wurde der Nation klar, dass auf den grassierenden Machismus in Pariser Machtzirkeln beherzte feministische Antworten erforderlich waren. Die im Jahr 2000 eingeführte Geschlechterparität auf Wahllisten für die Nationalversammlung begann zu wirken - vor allem auch in den Köpfen.
2012 ernannte Präsident François Hollande 17 Frauen in seiner 34-köpfigen Regierung, und sie empfanden sich nicht wie die «Juppettes» als Statistinnen. Gewiss: Der bekannte Autor Patrick Besson bezeichnete einzelne dieser Ministerinnen als «die Libertäre», «die Verführerin», «Scheherazade» oder «die Geisha». Das fand aber niemand mehr amüsant.
Elisabeth Borne weiss dennoch, was auf sie zukommt. Cresson, heute 88, wünscht ihr vieldeutig «Bon courage», also guten Mut. Sie meinte, die neue Regierungschefin bringe bemerkenswerte Qualitäten mit und sei auf ihrem neuen Posten «perfekt». Dass Borne ihre Ernennung ihrem Geschlecht verdanken soll - Macron suchte für den Posten erklärtermassen eine Frau -, hält Cresson hingegen für «absurd». «Man findet es nur noch in Frankreich speziell, dass eine Frau diesen Job ausübt», meinte die nachmalige EU-Kommissarin.
Ob sich die Zeiten wirklich nachhaltig geändert haben, wird sich erstmals im Juni zeigen: Nach den Parlamentswahlen könnte Macron bereits eine neue Regierung ernennen. Dass er Borne dann bereits ablösen wird, wie das Mitterrand oder Juppé vorgemacht hatten, scheint heute ausgeschlossen.
Laut einer Umfrage haben sich 74 Prozent der französischen Wählerschaft eine Frau im Hôtel Matignon gewünscht. (aargauerzeitung.ch)