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Georgien: Demonstrationen gegen russisches Gesetz – Fragen und Antworten

epa11313469 Georgian opposition party supporters attend a protest against a draft bill on 'foreign agents' in Tbilisi, Georgia, 01 May 2024.The Parliament of Georgia adopted the draft bill o ...
In der Nacht auf Donnerstag wurde in der Hauptstadt Tbilissi weiter demonstriert.Bild: keystone

Zehntausende demonstrieren in Georgien gegen «russisches Gesetz» – 5 Fragen und Antworten

Ein geplantes Gesetz bringt in Georgien Zehntausende auf die Strasse. Die Demonstrierenden fürchten eine mögliche Annäherung an Russland. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
02.05.2024, 12:3402.05.2024, 12:57
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Zehntausende gingen in Georgien am Mittwochabend auf die Strasse. Sie kämpfen für den pro-europäischen Kurs des Landes und fürchten eine Wiederannäherung an Russland.

Die Abgeordneten in der Hauptstadt Tbilissi liessen sich davon jedoch nicht beirren. In der zweiten Lesung nahm das Parlament ein umstrittenes Gesetz an, das die verschärfte Kontrolle von NGOs will.

Doch warum ist das Gesetz so umstritten? Ein Überblick:

Worum geht es im Gesetz?

Die Gesetzesvorlage, die seit gut einem Jahr debattiert wird, will, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, als «ausländische Agenten» registriert werden müssen. Bei Nichteinhaltung würden Strafen drohen. Die Regierung, die für das Gesetz eintritt, behauptet, es gehe darum, Transparenz zu schaffen.

Betroffen wären vor allem Organisationen, die sich für eine pro-europäische Ausrichtung der Südkaukasus-Nation oder Korruptionsbekämpfung einsetzen. Viele Projekte zur Demokratieförderung in der Ex-Sowjetrepublik arbeiten mit Geld aus EU-Staaten oder den USA. Doch auch solche, die sich etwa für sozial schwache Familien einsetzen, kämen auf den Radar.

Wieso ist das Gesetz so umstritten?

Das Gesetz wirkt so, als wäre es direkt von Russland übernommen worden. Dort wurde bereits 2012 ein solches verabschiedet. In der Folge wurden besonders Medien und regierungskritische Organisationen systematisch als ausländische Agenten deklariert. Sie sahen sich Schikane und Unterdrückung ausgesetzt, einige sahen sich gezwungen, Russland zu verlassen.

Letztes Jahr sagte der damalige georgische Ministerpräsident Irakli Garibaschwili über das Gesetz:

«Die Zukunft unseres Landes gehört nicht mehr den Agenten und Dienern anderer Länder. Sie gehört Patrioten.»

Doch wer ein Patriot ist, darüber ist man sich im Land mit 3,7 Millionen Einwohnern offenbar nicht einig. Denn Zehntausende Georgierinnen und Georgier demonstrierten am Mittwochabend zum wiederholten Male gegen das Gesetz.

Sie wissen Salome Surabischwili, die Präsidentin Georgiens, auf ihrer Seite. Das Staatsoberhaupt kündigte bereits letztes Jahr ein Veto an, sollte das Gesetz angenommen werden. Surabischwili wandte sich voriges Jahr an die Demonstrierenden:

FILE - Georgian President Salome Zourabichvili, center, attends a public rally in support of Georgia's EU aspirations in Tbilisi, Georgia, on June 16, 2022. The party that dominates the parliamen ...
Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili zeigt klar, wo sie steht. (Archivbild)Bild: keystone
«Ich stehe an eurer Seite, weil ihr heute das freie Georgien repräsentiert.»
Salome Surabischwili

Ihr Veto dürfte vor allem symbolische Wirkung haben, denn das Parlament kann dieses in der Folge wieder aufheben. Die Regierungspartei Georgischer Traum hat eine absolute Mehrheit im Parlament, das Gesetz dürfte also leichtes Spiel haben.

Was hat die Ukraine damit zu tun?

Die Ukraine und Georgien haben einiges gemeinsam: Beide Länder gehörten zur Sowjetunion, beide grenzen an Russland. 2008 griff Russland Georgien an. Moskau unterstützt Abchasien und Südossetien, zwei abtrünnige Gebiete, die völkerrechtlich zu Georgien gehören und 20 Prozent des georgischen Territoriums ausmachen.

Die russische Armee ist in Abchasien und Südossetien präsent, besetzt also georgisches Gebiet. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine gibt es auch Sorgen, Putin könnte erneut Georgien angreifen.

FILE - Ossetian soldiers on top of an armored personnel carrier enter Tskhinvali, the capital of Georgian breakaway enclave of South Ossetia on Aug. 11, 2008, next to a giant portrait of Prime Ministe ...
Südossetische Soldaten in der Hauptstadt Südossetiens, 2008.Bild: keystone

Die georgische Regierungspartei vertritt zwar einen pro-westlichen Kurs, geht aber auch pragmatisch mit Russland um und hat sich in den letzten Jahren bemüht, die Beziehung mit Moskau zu verbessern.

Im Februar warf der georgische Ministerpräsident Irakli Kobachidse der Ukraine gar vor, den Krieg nach Georgien tragen zu wollen. Georgische Behörden hatten einen Lastwagen gestoppt, der mit Sprengstoff beladen nach Russland unterwegs war. Kobachidse sagte:

«Damit wird einmal mehr bestätigt, was die hochrangigen Beamten der ukrainischen Regierung im Prinzip offen gesagt haben: dass sie eine zweite Front in unserem Land wollen.»

Bei den pro-westlichen Demonstrationen in Georgien waren auch ukrainische Fahnen zu sehen, das angegriffene Land geniesst viel Sympathie in der georgischen Bevölkerung.

Was sagt die EU dazu?

Georgien ist ein EU-Beitrittskandidat. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äusserte sich angesichts der erneuten Eskalation besorgt:

«Ich verfolge die Lage in Georgien mit grosser Sorge und verurteile die Gewalt auf den Strassen von Tiflis [Tbilissi]. Georgien steht an einem Scheideweg. Es sollte seinen Weg nach Europa konsequent fortsetzen.»

Die EU hat ausserdem davor gewarnt, das Gesetz könnte einen EU-Beitritt Georgiens gefährden.

Was sagt Russland?

Moskau ist voll des Lobes für das georgische Gesetz, wie Foreign Policy schreibt. Philosoph und Kreml-Insider Alexander Dugin sagte:

«Georgien ist auf dem rechten Weg.»

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kritisierte derweil den Westen, er schüre «anti-russische Stimmung» in Georgien. Auch der russische Aussenminister Sergej Lawrow verteidigte den georgischen Gesetzentwurf öffentlich.

Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA

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89 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Janster
02.05.2024 13:00registriert März 2021
er schüre anti- russische Stimmung. Lustiger Mann das... Eigentlich wäre Georgien ein freies Land. Und würde sich Russland nicht permanent einmischen gäbe es vielleicht auch weniger Abneigung.
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Tante Karla
02.05.2024 13:32registriert März 2024
Russland ist aggressiv, autoritär, korrupt und hat eine Wirtschaft so gross wie die von Texas - und wundert sich ständig, dass es von Nachbarn nicht gemocht, sondern höchstens gefürchtet wird.
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Callao
02.05.2024 12:44registriert April 2020
Irgendwie macht es mir den Eindruck, als ob sich aktuell das Jahr 1938 wiederholen würde. Was danach geschah dürfte allgemein bekannt sein.
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